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Ein beliebter Emigrant

Ein beliebter Emigrant

Monika Dittmann
Ein Beitrag von Monika Dittmann, Katholische Seelsorgerin im Altenheim, Flörsheim am Main

„Was ist für Sie ‚typisch Deutsch‘?“ habe ich im Gesprächskreis im Seniorenheim gefragt. Da sind viele Ideen gekommen: „Gartenzwerge – Pünktlichkeit – Kartoffeln …“ „Kartoffeln?“ habe ich gefragt und mich gleichzeitig an eine Ausstellung im Museum für Weltkultur erinnert.

Sicher, wir verspeisen die Kartoffel in vielen Variationen. Und sie gilt als „urdeutsch“. Tatsächlich aber ist sie ja ursprünglich aus Amerika eingewandert – also ein Emigrant. Wir sind ins Gespräch gekommen und haben festgestellt: Vieles, was wir für selbstverständlich halten, was wir heute benutzen, verkosten und lieben, das stammt ursprünglich aus anderen Kulturen.

Zu allen Zeiten waren und sind Menschen unterwegs, sie bewegen sich weg von daheim – hin zu anderen Orten. Sie tun das nicht nur, weil sie vor Kriegen fliehen; auch Hungersnöte haben Menschen in Bewegung gebracht, auch  Wetter- und Klimakatastrophen sind ein Grund für den Aufbruch in die Fremde, bringen Menschen in Bewegung. Und mit den Menschen wandern auch Lebensstile, Sprachen, Musik, Kunst und Handwerk – und auch Essgewohnheiten. Vieles, was für eine Kultur als „authentisch“ gilt, erweist sich auf den zweiten Blick als „Import“. Vieles, was uns vertraut ist, ist ein Kultur-Einwanderer.

Dadurch wird unser Leben reicher und vielfältiger; manchmal auch einfacher und sicherer. Wir leben vom Austausch – wir, alle Menschen auf der Welt. Wo wir Begegnung verhindern, wenn wir Fremdes aussperren und Menschen ablehnen, verpassen wir die große Chance, dass sich unser Leben anreichert. Wir leben vom Austausch, wir brauchen das Neue – nicht nur für unseren Wohlstand, auch für unsere Weiterentwicklung und unsere Bildung.

Wir haben im Seniorenheim lange über all das gesprochen – und wir haben gestaunt über den Reichtum, der unser Leben ausmacht, der aus der Fremde kommt. Uns ist aufgegangen: Wir leben gut, weil Menschen, Kulturen, Religionen sich begegnet sind.

Nicht nur die Kartoffel, die unseren Speiseplan bereichert, ist ein Fremdling, den wir gerne aufgenommen und in unser Leben integriert haben. Was für die Kartoffel gilt, sollte auch für Menschen gelten: Im 3. Buch Mose ist zu lesen:

„Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde gewesen." (3 Mose 19,34)

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