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Die Aussendung der Zwölf
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Die Aussendung der Zwölf

Simone Gerlitzki
Ein Beitrag von Simone Gerlitzki, Katholische Pastoralreferentin, Frankfurt

Wir sind mitten in den hessischen Sommerferien. Demnächst geht es auch bei mir auf Reisen – und davor packe ich sorgfältig meine Taschen und Koffer. Bei größeren Reisen oder in fremde Länder brauche ich dazu immer eine Checkliste. Habe ich auch wirklich alles dabei, was ich dort brauchen könnte? Kosmetikartikel, Ersatzkleidung, Medikamente für alle Fälle, Bücher und Spiele gegen die Langeweile, Reiseproviant für unterwegs, eine Kamera für tolle Urlaubsfotos, den Ausweis, genügend Geld, eine Kreditkarte. Und manchmal mache ich die Erfahrung: Ich habe nur einen Bruchteil dessen gebraucht, was ich eingepackt habe. Viel zu viel Ballast war in den Taschen und Koffern drin. Unter Umständen kann das eine Reise sehr beschwerlich machen.

Im Evangelium, das heute in allen katholischen Kirchen verkündet wird, findet sich der Text, wie Jesus seine Jünger auch auf eine Reise schickt. Er sendet sie. Relativ weit vorne im Markusevangelium ist von der Aussendung der zwölf Jünger die Rede. Da heißt es: „Er gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld, kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen.“ (Markus 6,8) Das war’s. Wenn ich das lese und höre, kann ich das Evangelium nehmen und zuschlagen, mich zurücklehnen und denken: nichts für mich! Das, was ich auf eine solche Reise mitnehmen würde, wäre bedeutend mehr, als das, was Jesus da im Evangelium aufzählt. Vor allem Geld möchte ich nicht vergessen. Gut also, dass dies nicht mir, sondern den zwölf Jüngern gesagt wird – und das noch vor 2000 Jahren in einer ganz anderen Zeit und in anderen gesellschaftlichen Verhältnissen, als wir sie heute haben. Ich kann mich jedenfalls davon nicht angesprochen fühlen.

So kann ich zunächst durchaus denken und fühlen, wenn ich diese Worte höre. Aber wenn ich mir diese Bibelgeschichte genauer anschaue: Dann entdecke ich darin doch etwas, was mir auch heute zu denken gibt. Für meine Reisevorbereitungen und für mein Leben allgemein.

Bevor Jesus seinen Jüngern sagt, was sie auf ihre Reise nicht mitnehmen sollen, wird gesagt, was er ihnen mit auf den Weg gibt. Im Evangelium gibt es zwei Bewegungen: die eine, die auf die Einfachheit hin ausgerichtet ist, und die andere, die eine Voraussetzung dafür schafft. Für mich stecken darin zwei wichtige Aspekte: Jesus fordert zur Einfachheit auf, er will, dass die Jünger mit leichtem Gepäck unterwegs sind. Aber er schafft auch die Voraussetzung dafür, dass sie so einfach losziehen können: Er stattet sie nämlich mit etwas Wichtigem aus: „Er gab ihnen Vollmacht….“ (Markus 6,7), heißt es im Evangelium.

Das ist ein wichtiger Satz, finde ich, der da vorausgestellt wird: Die Jünger sind nicht einfach so unterwegs, sondern mit Jesu Vollmacht, ausgesandt. Das bedeutet für mich: Er traut ihnen etwas zu, er will, dass sie in seinem Namen reden.

Mit Vollmacht sind sie unterwegs. Und das, obwohl die Jünger wahrhaftig keine ausgebildeten Theologen sind, die Rhetorikkurse mitgemacht hätten, die ihnen ein ansprechendes Reden garantieren würden. Jesus stattet sie mit Vollmacht aus, obwohl sie noch längst nicht alles von ihm verstanden haben. Das wird auch deutlich, wenn die Bibel erzählt, wie die Jünger zurückkommen und erzählen, was sie alles erlebt haben. Auch da wird klar: Die Jünger sind mit ihrem Wissen und dem, was sie selber leben und verstanden haben, noch lange nicht fertig. Und trotzdem werden sie mit Vollmacht und in seinem Namen ausgesandt. Warum?

Ich glaube: Jesus wollte seine Freunde dazu bringen, nicht nur Worte über ihn zu hören, sondern auch selbst Worte über ihn zu sprechen. Weil sie mit dem Selber-Reden ganz neue Erfahrungen machen.

Auch heute erlebe ich das. Die meisten Kirchenbesucher haben sonntags schon sehr viele Predigten gehört. Aber wenn man dort im Gottesdienst zusammenkommt, ist jeder erst mal mit seinem eigenen Leben und den Themen des eigenen Alltags beschäftigt. Es ist noch lange nicht ausgemacht, dass selbst die beste Predigt in diese konkreten Alltagserfahrungen hineinreicht. Ganz oft fliegt dann das Wort an mir vorüber, weil es – zumindest im Moment – nichts mit mir zu tun hat.

Ganz anders ist es mit dem selber gesprochenen Wort. In den Glaubenskursen, die es in meiner Pfarrei gibt, erlebe ich es immer wieder. Wenn ich selber einen Gedankengang innerlich mitgehe, ihn gar ausspreche, hat das eine ganz andere Wirkung und innere Bedeutung, als wenn ich das Wort nur höre.

Der Sprecher lernt von dem, was er sagt, also selber. Manchmal sogar am meisten.

Wenn Jesus seine Jünger ausschickt, dann wohl, damit sie im Aussprechen das vertiefen, selber mehr verstehen, was sie an Botschaft gehört haben. Für mich steckt darin auch: Ein Gesandter im Namen Jesu bin ich nicht erst dann, wenn ich meine, alles verstanden zu haben, sondern auch und gerade dann, wenn ich auch noch auf der Suche bin, wenn ich Lernender bin. Jesus jedenfalls sendet nicht die los, die schon alles wissen und glauben. Er setzt auf die, die noch unsicher sind und noch lernen.

Mit Vollmacht sendet Jesus seine Jünger aus, ohne, dass sie schon alles können und wissen von ihm. Das ist für mich ein wichtiger Aspekt in dieser Erzählung aus der Bibel über die Aussendung der Jünger. Und noch etwas anderes ist mir aufgefallen. Jesus schickt seine Jünger zu zweit auf den Weg. Keiner von ihnen muss alleine gehen. Ein Wort hat Gewicht, wenn zwei Zeugen dafür geradestehen. Wer unterwegs ist, weiß einen guten Weggefährten zu schätzen. Von einem Freund, der gerne in die Berge geht, weiß ich, dass er so manche große und schwierige Tour nur mit einem ganz bestimmten Weggefährten macht. Er hat mir einmal gesagt: „Bei solch einer Tour musst du dich einfach ganz gut verstehen und aufeinander eingespielt sein. Sonst wird es riskant.“ Das konnte ich gut nachvollziehen. Wenn ich in schwierige Situationen komme, dann habe ich auch gerne verlässliche Menschen an meiner Seite: jemanden, mit dem ich mich abstimmen und beratschlagen kann, der mir mit Erfahrungen, Freuden, Ängste und Nöte teilt.

In guter Weise zu zweit unterwegs sein bedeutet aber auch, dass ich mich immer wieder öffne für die Wünsche, Gedanken und Pläne des anderen. Ich kann nicht einfach meine eigenen Vorhaben in die Tat umsetzen. Abstimmung ist nötig, bis der Tag, die Stunden einen gemeinsamen Klang haben und nicht Selbstbehauptung, Machtkampf oder Willkür ein Unternehmen stören. Wo eine gute Abstimmung gelingt, Menschen aufeinander hören, sich in den anderen einfühlen, da wächst Achtsamkeit für das, was mir im anderen begegnet. Mein Leben wird um viele Erfahrungen reicher, die ich alleine nicht machen kann.

Solch eine geübte Achtsamkeit hilft den Jüngern auch, ihr aufgetragenes Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren: Sie sollen in Jesu Namen und Vollmacht unreine Geister – Dämonen - austreiben.

„Er gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben…“, so heißt es im Evangelium, das heute in den katholischen Gottesdiensten vorgetragen wird. (Mk 6,7d) Unreine Geister, Dämonen: das sind keine Spukgeister, die sich unter einem Bett verkriechen oder die man im Schrank suchen müsste, um sie dann mit magischen Formeln zu bannen. Dämonen sind die Geister, die mir Angst und mein Leben dadurch klein machen. Es sind die Widerspruchsgeister in jedem Menschen, die innere Zerrissenheit, die mich nicht ganz sein lassen, widersprüchliche Emotionen etwa oder ein falsches Selbstbild. Die Botschaft Jesu aber führt in das Vertrauen, in die Weite.

Für mich sind das auch die Geister, die immer „aber“ sagen, die nichts stehen lassen und ganz sein lassen können. Sie führen in die Enge, in die Kleinheit und in die Angst.
Die Botschaft der Jünger, mit der sie ausgesandt werden, ist also: habt Vertrauen! Habt keine Angst! Lasst euch nicht von bösen Geistern in die Enge treiben! Wo immer auch die Jünger sprechen und handeln, dort wirkt Jesu Kraft und Macht. Sie treten auf wie Jesus selbst und geben damit nicht nur mit Worten, sondern auch mit ihrer ganzen Haltung und Art Zeugnis von ihm: Sie wenden sich den Menschen zu, sie sind für sie da und heilen sie. In seinem Namen kommen die Jünger mit leeren Händen, bittend und bedürftig. Sie bringen Heilung, Leben, Gesundheit an Leib und Seele mit und nähern sich dem anderen trotzdem ganz behutsam, achtsam, selbst bedürftig. Menschen erleben Heilung, wenn sie sich wirklich begegnen, wenn sie in ihren Beziehungen wachsen.

Auf diesem Weg zu den Menschen haben die Jünger sicher verschiedene Erfahrungen gemacht. Sie konnten erleben, wie gut und schön es ist, angeschaut, beachtet, eingeladen, angenommen zu werden. Aber sie haben sicher auch erlebt, dass sie schief angeschaut und zurückgewiesen wurden, sie haben auch harte Worte erfahren und sind aus Häusern und Städten vertrieben worden auf ihrer Reise.

Jesus ermutigt seine Jünger aber immer wieder neu aufzubrechen, nicht sitzen zu bleiben auf dem Erfahrenen, sondern sich mit neuer Offenheit, mit neuem Vertrauen auf den Weg zu machen. Schlechte Erfahrungen sollen ihren Blick und ihr Tun nicht gefangen halten. Sie sollen und dürfen weiter und immer wieder neu Ausschau halten nach den guten Erlebnissen, die ihnen auch begegnen, die ihnen Mut und Kraft für ihr Leben und ihre Sendung geben.

In dieser Geschichte von der Aussendung der Jünger durch Jesus stecken für mich drei große Themen: Gemeinschaft, Vollmacht und Vertrauen. Und ich habe den Eindruck: Diese drei Themen können die Menschen auch in der heutigen Zeit gut gebrauchen. Vertrauen zum Beispiel: Wie viele Menschen fühlen sich heute existenziell unsicher und ohne Vertrauen, weil ihnen lange vor dem Ruhestand gekündigt wird und sie keine neue Arbeit mehr finden. Wie viele Menschen werden mutlos und unsicher, weil ihnen das stetig wachsende Arbeitstempo und die Anforderungen des Alltags mehr abverlangen als sie geben können. Jugendliche suchen nach geeigneten Arbeits- und Ausbildungsplätzen und wissen nicht, welchen Weg sie einschlagen sollen. Ältere und alte Menschen erleben, wie sie vieles hinter sich lassen müssen an Lebensplänen, Hoffnungen, Wünschen, wenn Krankheit, sinkende Lebenskraft, Pflegebedürftigkeit neue Lebensorientierungen nötig machen. Sie müssen vielleicht in ein Heim umziehen, die Möglichkeit, sich sinnvoll zu beschäftigen und mit anderen in Kontakt zu sein, wird immer kleiner. Jesu Botschaft an die Jünger kann da, finde ich, helfen: Geht zusammen los! Traut euch selbst etwas zu! Habt Vertrauen!

Wenn ich unterwegs nicht allein bin, mich nicht zurückziehe, sondern mich aufmache mit leichtem Gepäck und Weggefährten suche, dann kann das Ansporn und Lebenshilfe sein. Ich kann dann Erfahrungen mit anderen teilen, ich kann Tipps bedenken. Menschen werden füreinander Hilfe und Stütze, wo äußere Stützen wegfallen.

Dieses Evangelium von der Aussendung: Mich ermutigt es, immer wieder so aufzubrechen, wie es Jesus damals empfiehlt: mit leichtem Gepäck. Mit Menschen an meiner Seite. Und im Vertrauen auf das, was mir Gott mitgegeben hat, an Fähigkeiten und Vollmacht.

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