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Von einem Patron, seinem Helfer und dem Geist der Nächstenliebe
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Von einem Patron, seinem Helfer und dem Geist der Nächstenliebe

Till Martin Wisseler
Ein Beitrag von Till Martin Wisseler, Evangelischer Pfarrer, Langenselbold

Vor kurzem haben wir einige Tage in einem französischen Bergdorf verbracht.
Ein Landwirt vermietet dort Gästezimmer - dazu gibt es klare Luft, ruhige Nächte und gutes Essen. Ein junger Mann, Mitte zwanzig, kümmert sich um die Gäste. Fragt nach den Wünschen, erklärt Ausflugsmöglichkeiten und bereitet die Mahlzeiten vor. Immer wieder spricht er auch vom Patron, seinem Chef, dem Landwirt. Den sehen wir kaum, denn der ist viel unterwegs, auf dem Feld, in der Stadt, wo auch immer. Für uns und die anderen Gäste ist der junge Mann da: freundlich, aufmerksam und hilfsbereit. Auch am letzten Tag. Dann wie üblich für die Abrechnung. Wir stehen im Büro und ich merke, der junge Mann kann schlecht lesen und noch weniger rechnen. In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken: Wie kommt es, dass er solche Schwächen hat? Hat er ein Handicap von Geburt an, haben sich die Eltern nicht gekümmert, war er auf der falschen Schule? Dann fasse ich mir ein Herz und biete meine Hilfe an. Wir gehen gemeinsam die Preisliste durch und berechnen Kost und Logis. Anschließend verabschieden wir uns, freundlich, zugewandt, wie jeden Tag. Dann rein in das gepackte Auto und los geht's. Unterwegs muss ich immer wieder an den jungen Mann denken: Leseschwäche, Rechenschwäche. Was aus dem einmal werden soll, werden sich seine Lehrer gefragt haben. Und ich frage mich, wie es wohl den Eltern mit ihrem Jungen ergangen ist. Und während ich so nachdenke, fallen mir glücklicherweise wieder seine Gastfreundschaft ein und seine engagierte Art, mit uns Gästen umzugehen. Und ich denke auch an den Patron, seinen Chef. Der hat dem jungen Mann die Möglichkeit gegeben, seine Fertigkeiten und Fähigkeiten einzusetzen. Und vor allem hat der Chef ihm das Vertrauen geschenkt, trotz alledem: Ich vertraue dir meine Gäste an! - Gut, dass es solche Menschen gibt, wie den Patron. Er hat gemerkt, was der junge Mann gut kann und wie er mit seiner Art für die Gemeinschaft wichtig ist.
Ich jedenfalls freue mich, dass es uns möglich war, einige schöne Tage in der französischen Bergwelt zu verbringen. Und dass wir auf diesem Hof den Geist der Nächstenliebe spüren durften.

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