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Umarmen hat seine Zeit
helena Lopes/pexels

Umarmen hat seine Zeit

Dr. Peter Kristen
Ein Beitrag von Dr. Peter Kristen, Evangelischer Pfarrer und Studienleiter, Religionspädagogisches Institut Darmstadt
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Sie tut gut, sie fördert die Gesundheit, aber sie ist selten geworden, die Umarmung.

Vier Umarmungen am Tag brauchen wir zum Überleben

Vier Umarmungen am Tag brauchen wir zum Überleben, sagt Virginia Satir, eine Pionierin der Familientherapie. Acht, um uns gut zu fühlen und zwölf Umarmungen zum persönlichen Wachstum.“ Ich fürchte, in den letzten Monaten haben die wenigsten von uns die acht zum Wohlfühlen erreicht.

Ich war damit auch sehr sparsam. Selbst zu ihrer diamantenen Hochzeit habe ich meine Eltern nicht umarmt, aus Sorge davor, sie vielleicht anzustecken. „Fühlt euch umarmt“, hab‘ ich gesagt, aber das ist natürlich nicht dasselbe.

Bei einer Umarmung entsteht ein wohltuender Raum für einen intensiven Kontakt

Eine Umarmung braucht körperliche Nähe: Zwei schauen sich von weitem an, gehen aufeinander zu und legen einander die Arme um den Hals, den Rücken oder die Taille. In den vier bis fünf Sekunden, die eine Umarmung dauert, entsteht ein wohltuender Raum für eine intensive und sehr private Kommunikation meist ohne ein Wort. Wer umarmt wird, kann Vertrautheit spüren, Freundschaft, Liebe.

„Ich gehöre zu dir, ich erkenne dich an“, kann das heißen. „Ich möchte dich unterstützen, ich ermutige dich und will dich trösten.“

Umarmen in Zeiten von Corona

Wenn man’s richtig macht, kann eine Umarmung überraschend ungefährlich sein. Das hat Linsey Marr, eine amerikanische Spezialistin für Aerosole untersucht. Das wichtigste, sagt sie, ist eine Maske zu tragen und aneinander vorbei, über die Schulter des jeweils anderen zu schauen.

Alles hat seine Zeit

Umarmen hat seine Zeit. Wie so manches. Im Predigerbuch in der Bibel steht, dass Pflanzen seine Zeit hat. Ausreißen auch. Geboren werden hat seine Zeit und Sterben. Es ist eine ganze Liste, die da aufgeführt wird. „Sich Umarmen“ gehört auch dazu und „die Umarmung loslassen“.

Es ist schwer aufs Umarmen zu verzichten

Ich glaube, besonders wenn Worte schwerfallen, wenn wir überwältigt sind von Glück oder Leid, oder wenn die Worte - wie bei Kindern - nicht ausreichen, hat das Umarmen seine Zeit. Darum ist es so schwer, in der Pandemie darauf zu verzichten. Sich umarmen hat jetzt gerade nicht seine Zeit. Leider. In Schulen und am Arbeitsplatz ist es sogar verboten. Bleibt uns also nur, die mit denen wir leben, absichtsvoll und genießerisch zu umarmen, damit wir wenigstens auf die viermal kommen, die wir zum Überleben brauchen.

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