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Sarah Connor: Vincent
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Sarah Connor: Vincent

Anke Jarzina
Ein Beitrag von Anke Jarzina, Katholische Pastoralreferentin in der Pfarrei St. Peter und Paul in Wiesbaden
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Da haben doch einige gestutzt, damals im Sommer vor drei Jahren, als der Song „Vincent“ von Sarah Connor rauskam. Dabei singt sie von etwas, worum es in den allermeisten Popsongs geht, nämlich von Liebe. Allerdings geht es auch um gleichgeschlechtliche Liebe – und das bringt die Sängerin gleich in der ersten Zeile unzweideutig auf den Punkt, wenn es heißt: „Vincent kriegt keinen hoch, wenn er an Mädchen denkt.“

Provokativ und direkt auf den Punkt

Manche haben diese sexualisierte Sprache als skandalös und unangemessen empfunden. Es gab sogar Radiosender, die den Song entweder gar nicht oder nur in einer zensierten Version abgespielt haben. Und es stimmt natürlich: Die Geschichte von Vincent ließe sich auch erzählen ohne diese explizite Körpersprache.

Aber ich bin ehrlich: Wenn ich so eine Provokation am Anfang höre, will ich auch wissen, wie es weitergeht. Also höre ich mal genauer hin:

Vincent kriegt kein‘ hoch, wenn er an Mädchen denkt
Er hat es oft versucht und sich echt angestrengt
Alle seine Freunde spielen GTA
Vincent taucht lieber ab und tanzt zu Beyoncé
Er denkt nur an ihn, und an den Tag
Als er ihn zum ersten Mal sah
So cool stand er da, und Vincent war klar
Dass das jetzt wohl Liebe war

Das Anderssein setzt mich unter Druck

Na bitte: Vincent ist verliebt, in einen Jungen. Auch sonst ist er ein wenig anders als seine Freunde: Er mag keine rasanten Computerspiele, sondern bewegt sich lieber zu rhythmischer Musik. Unterschiedliche Vorlieben eben. Aber das „Anderssein“ in Bezug auf die Liebe wiegt aus irgendeinem Grund schwerer als die anderen Unterschiede. Vincent fühlt sich unter Druck gesetzt. Er ist gezwungen, eine Haltung zu sich selbst und seiner sexuellen Prägung zu entwickeln: „Entweder versuch ich mich weiter anzustrengen und etwas zu sein, das ich nicht bin – oder ich steh zu mir und meiner Natur.“

Ab wann gilt es als normal?

Wer schwul oder lesbisch ist, muss immer noch viel Selbstbewusstsein und Mut aufbringen, um seine Neigung zu akzeptieren und öffentlich dazu zu stehen. Gleichgeschlechtliche Liebe gilt immer noch nicht als selbstverständlich – und das finde ich ehrlich gesagt skandalöser als den Einstieg in diesen Song! Laut Statistik ordnet sich immerhin rund jeder Vierzehnte in Deutschland dem sogenannten LGBTQ-Spektrum zu, bezeichnet sich also selbst als lesbisch, schwul, bisexuell oder Transgender, das sind 7 Prozent.[1] Aber: zu 7 Prozent der Bevölkerung zu gehören reicht scheinbar nicht, um als „normal“ zu gelten.

Einfach dazu stehen können

Sarah Connor hat mal erzählt: Es gibt Vincent wirklich. Sie sagt: „Es ist der Sohn einer Freundin von mir, der sich kürzlich geoutet hat, dass er schwul ist. Ich finde es stark, dass der einfach so mitten in der Pubertät mit 15 Jahren zu seiner Mutter sagt: So ist es – akzeptiert das, lebt damit."[2]  Ja, das finde ich auch stark. Aber es wäre doch toll, wenn ich gar nicht besonders stark sein müsste, um anders als die meisten sein zu können. Die Sängerin selbst sieht ihren Song als Appell. Sie sagt: „Ich würde gerne jedem Vincent und jeder Vincenta da draußen sagen: Wenn das so ist, steh zu dir, und deine Mama liebt dich trotzdem!"

Da ist jemand, dem ich alles sagen kann

Die Mama ist es auch, die im folgenden Refrain des Songs die Hauptrolle spielt. Die Musik wird zum Gospel – und Gospel bedeutet eigentlich „good spell“, also „gute Nachricht“ oder „Evangelium“. Das Gute dabei ist zuallererst: Da ist jemand, dem ich mich anvertrauen und dem ich alles sagen kann:

Mama, ich kann nicht mehr denken
Ich glaub', ich hab' Fieber
Ich glaube, ich will das nicht
Mama, was soll ich jetzt machen?
Ich glaub', ich muss sterben
Was, wenn mein Herz zerbricht?

Bedingungslose Mutterliebe

Die angesprochene Mama antwortet – und tut es in einer Haltung, die tatsächlich eine großherzige und bedingungslose Liebe zu ihrem Kind zeigt und ihm so Rückhalt gibt:

Nein, mein Kind, das wird es nicht
Und bitte glaub mir, Schatz, du stirbst auch nicht
Es ist nur Liebe, und da hilft keine Medizin, oh-oh
Beim ersten Mal tut's richtig weh
Doch auch das geht vorbei, du wirst schon sehen
Es ist nur Liebe, und da hilft keine Medizin

So sein dürfen, wie Gott mich geschaffen hat

So will ich als Mama auch gerne mit meinen Kindern reden. Noch sind sie recht klein und wissen wahrscheinlich noch gar nicht so richtig, ob sie Jungs oder Mädchen anziehender finden. Aber ehrlich: Ist das nicht auch völlig egal? Ich will, dass meine Kinder glücklich sind. Und ich bin davon überzeugt: Das können sie nur sein, wenn sie einfach sie selbst sein dürfen. Denn ich glaube auch: Gott hat sie so gemacht. Er hat sie so geschaffen, wie sie sind, braun- oder blauäugig, hetero- oder homosexuell.

Wie kann ich dir helfen, du selbst zu sein?

Schwul oder lesbisch sein ist für mich völlig ok. Und selbst wenn sich meine Kinder in eine Richtung entwickeln würden, die ich nicht ok finde - wenn sie zum Beispiel menschenverachtende Haltungen an den Tag legen würden -, dann interessiert mich - hoffentlich - zuallererst: „Warum tust du das, warum tickst du jetzt so? Wie kann ich dir helfen, wieder du selbst zu werden?“

Ich will, dass du bist

Dem heiligen Augustinus wird der Satz zugeschrieben: „Lieben heißt: Ich will, dass du bist.“ Für mich ist das die schönste und zugleich einfachste und nachvollziehbarste Definition von Liebe überhaupt. „Ich will, dass du bist.“ Das ist eine klare Haltung dem anderen gegenüber. Ich finde diesen Satz so schön und wichtig, dass ich ihn großformatig als Druck in unserem Hausflur aufgehängt habe. Er erinnert mich jeden Tag daran, worum es mir gerade auch als Christin geht: So will ich Menschen begegnen, egal wer und wie sie sind. Jesus ist mir in dieser Haltung ein Vorbild. Er hat sich auf Menschen eingelassen, so, wie sie sind. Er hat ihnen das Gefühl gegeben: „Ich will, dass du bist.“ Er hat sogar ganz offen gefragt: „Was willst du, das ich dir tun soll?“ (Lukasevangelium, Kapitel 18,41). Jesus hat niemanden nach irgendwelchen Kriterien ausgegrenzt, sondern ist völlig angstfrei mit dem umgegangen, was da ist. Das ist Liebe.

Jesus nimmt die Menschen, wie sie sind

Das, was Jesus getan und Augustinus so schön ins Wort gebracht hat, überzeugt mich! Ausgerechnet von der Bibel fühlt sich Sarah Connor aber nicht so richtig verstanden. Sie singt: Von der Liebe hat auch die Bibel keinen Plan. Vielleicht steckt darin ein Vorwurf: Mit der Bibel in der Hand wurden und werden Homosexuelle verurteilt oder sogar verfolgt. Das find ich furchtbar, denn: Die Bibel, wie ich sie verstehe, tut das ganz und gar nicht. Die Bibel und Jesus: Sie nehmen die Menschen, wie sie sind.

Du kannst die Deutsche Bank verklagen
Die Bibel lesen, Whitney fragen
Von der Liebe haben sie alle keinen Plan, ah
Nicht ich, nicht du, nicht er, nicht sie
Was du jetzt fühlst, fühlen manche nie
Es ist nur Liebe, dafür gibt's keine Medizin

Die Haltung, mit der ich mir und anderen begegne

Ich glaube: Im Kern geht es in dem Lied gar nicht so sehr um das Gefühl der Liebe. Diese Liebe kommt und geht. Ich glaube: In dem Song „Vincent“ geht es um die Haltung der Liebe. Um die Art und Weise, wie ich mir selbst und anderen begegne. Diese Liebe kann ich – im Gegensatz zu dem Gefühl – einüben und zu einem Teil meiner Persönlichkeit machen.

Die Kunst des Liebens erlernen

Dieser Überzeugung war zum Beispiel auch der Psychoanalytiker Erich Fromm. Er hat in den 1960er Jahren ein Buch über die „Kunst des Liebens“ geschrieben. Liebe – so verstanden – kann dauerhaft glücklich machen, während das Gefühl oft nur für ein kurzes „Verknalltsein“ sorgt.

Vincent hat eine Mutter, die ihn so nimmt, wie er ist. Das macht ihn stark. Deshalb kann er diese liebevolle Haltung auch sich selbst gegenüber einnehmen: „Du darfst sein, wie du bist. Ich will sogar, dass du bist, wie du bist.“

Ich will, dass du bist, wie du bist – das ist Liebe

Das ist Liebe, wie ich sie mir wünsche, wie ich sie selbst auch leben und als Haltung einüben will – und wie ich sie an allen Ecken und Enden in der Bibel wiederfinde. Das Geschlecht spielt dabei keine Rolle. Gerade deshalb macht es mir zu schaffen, dass die katholische Kirche ein Problem mit gleichgeschlechtlicher Liebe hat. Von einer Kirche, die sich selbst „Mutter“ nennt, erwarte ich mehr Haltung im augustinischen Sinn - und an ihre Kinder die Botschaft: „Ich will, dass du bist“ - und nicht „Ich will, dass du so bist, wie ich meine, dass du sein sollst.“ Wenn ich will, dass du bist, wie du bist, dann ist es Liebe.

Mama, ich kann nicht mehr denken
Ich glaub', ich hab' Fieber
Ich glaube, ich will das nicht
Mama, was soll ich jetzt machen?
Ich glaub', ich muss sterben
Oh, was, wenn mein Herz zerbricht?
Nein, mein Kind, das wird es nicht
Und bitte glaub mir, Schatz, du stirbst auch nicht
Es ist nur Liebe, und da hilft keine Medizin, ah
Ich weiß, es tut beschissen weh
Doch auch das geht vorbei, du wirst schon sehen
Es ist nur Liebe, und da hilft keine Medizin

 


[1]https://de.wikipedia.org/wiki/LGBT (Ergebnis einer Online-Studie von 2016, 10.2.2021)

[2]https://www.t-online.de/unterhaltung/musik/id_85883726/sarah-connor-das-sagt-der-schwulenverband-zum-song-vincent-.html (10.2.2021)

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