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Rituale helfen uns zu erinnern
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Rituale helfen uns zu erinnern

Uwe Groß
Ein Beitrag von Uwe Groß, Katholischer Diakon, Pfarrei St. Peter und Paul, Wiesbaden
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„The last Post“ spielen sie nun schon seit dem 1. Mai 1929 jeden Abend um acht Uhr in der belgischen Stadt Ypern. „The Last Post“ kann man als „der letzte Posten“, aber auch als „der letzte Beitrag“ übersetzen.

Es ist der Name für ein mit trompetenartigen Hörnern gespieltes Militärsignal am Abend. Und zwar jeden Abend - seit jenem 1. Mai 1929. Über 30.000 Mal haben die Leute von der Freiwilligen Feuerwehr in dieser kleinen belgischen Stadt dieses Zeremoniell, das man auch als Zapfenstreich bezeichnen kann, nun schon begangen.

Die Bläser wechseln sich dabei wochenweise ab. Es sind sechs Hornbläser und jeder von ihnen ist an 26 Wochen im Jahr dran - ehrenamtlich. Das Zeremoniell dauert etwa drei Minuten. Die Menschen in Ypern wollten damit zehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ein Zeichen setzen. Sie sagen bis heute: „Wir haben euch nicht vergessen, ihr Soldaten, die ihr für unsere Freiheit gekämpft habt und dafür gefallen seid: Wir haben euch nicht vergessen, und wir werden euch nicht vergessen.“

Im November habe ich in einer Zeitung von diesem Zeremoniell gelesen. Der Artikel handelte vom Jahrestag des Ersten Weltkrieges: dem 11. November. Und die Geschichte der Menschen in Ypern hat mich berührt.

Da gehen Menschen jeden Abend an ein Stadttor in einer Kleinstadt. Jeden Abend - egal ob es nebelig ist, regnet oder schneit. Jeden Abend gehen die ehrenamtlichen Hornbläser der Freiwilligen Feuerwehr dahin und blasen den Zapfenstreich, um die Erinnerung wachzuhalten. An Sommertagen drängen sich natürlich viele Touristen rund um das Stadttor. Sie kommen nicht nur aus dem Umland, sondern sogar aus England, Südafrika und Australien. Ur-Urenkel von Soldaten, die hier gestorben sind.

An Herbst- und Wintertagen ist deutlich weniger Betrieb. Und man macht weiter. So wie zum Beispiel Raf Decombel, ein Architekt. Er ist Ende 50 und vor einigen Jahrzehnten nach Ypern gezogen. Und als ein Platz bei den sechs Hornbläsern frei wurde, hat er sich beworben, einer von denen zu werden - und spielt nun schon seit über 20 Jahren mit. Er hat über 3000 Einsätzen schon hinter sich.

Ja, das berührt mich, dass manche Menschen so etwas tun, um die Erinnerung wachzuhalten. Und ich glaube, um Erinnerung wachzuhalten, braucht es Rituale und auch Orte. Ich denke daran, wieviel Jahre ich nun schon an die Gräber meiner Großeltern gehe, wenn ich in meinem Heimatort bin. Das gehört dann dazu. Das ist ein Ritual. Und dieses Ritual ist wichtig für meine Identität. Es sagt mir, wo ich herkomme und wo auch ich einmal hingehe.

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