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Multitasking
Bildquelle: rawpixel/Pixabay

Multitasking

Johannes Meier
Ein Beitrag von Johannes Meier, Evangelischer Pfarrer und Journalist, Kassel
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Ich red' mit Fred und sims dabei mit Klaus,
telefonier dabei mit Pia und seh' unterfordert aus.
Ich bin Multitasker!

Ich fahr mit dem Rolls Royce mit 200 Sachen,
les' dabei James Joyce und kann Onlinebanking machen.
Ich bin Multitasker!
(...) 

Während ich Mails checke, kann ich schnell was essen,
während ich den Tisch decke, kann ich Fieber messen,
während ich dir zuhör', Zitronen pressen.
Während, während, während, ich bin Mister währenddessen!
Ich bin Multitasker!

Dieser Text stammt nicht von mir, sondern vom Kabarettisten Rainald Grebe. Vor kurzem habe ich ihn bei einem großen Musikfestival live erlebt. Seine absurde Tirade übers Multitasking trägt er auf der Bühne als gehetzten Song vor, atemlos. Mit weit aufgerissenen Augen stiert er dabei wie irre ins Publikum.

24 Stunden hat ein Tag, das ist viel Zeit,
mein Hirn hat so viel Terrabyte.
Meine Eltern haben sich über mich gewundert,
aber die ham' ja noch Hirne aus dem 20. Jahrhundert.
Ich bin Multitasker!

Und du, und du? Bist du auch so ein Mu-
Und du, und du? Bist du auch so ein Mu-
Gib es zu, gib es zu, du bist auch so ein Mu-
So ein Mumumumumu
Multitasker.

Während Rainald Grebe diese Zeilen auf der Bühne so urkomisch herunterrattert, starre ich parallel auf mein Handy, um schon mal die nächsten Festival-Acts zu checken. Soll ich nach Grebe erstmal zu der Band auf der Hauptbühne – oder doch lieber direkt zum DJ im Elektrogarten gehen? Na, am liebsten Beides natürlich!

Schließlich bin doch auch ich ein Mumumu-Multitasker, oder etwa nicht!?

Der Begriff Multitasking kommt übrigens eigentlich aus der Informationstechnik, kurz IT, und bezeichnet ein Betriebssystem, bei dem mehrere Prozesse nebeneinander laufen. Auf einem Computer können gleichzeitig verschiedene Programme geöffnet sein und verschiedene Rechenoperationen laufen. Computer sind also tatsächlich Multitasker – im Gegensatz zu uns Menschen. Dass wir nun mal keine Maschinen sind, belegen aktuelle Studien. Denn: Zu viel auf einmal tun macht uns krank!

Die Ergebnisse zeigen, dass man sich mit Multitasking keinen Gefallen tut. Denn Stress und Multitasking können Kopfschmerzen, Verspannungen und Erschöpfung auslösen. Mehr noch: Das Gehirn kann sich infolge des Stresses sogar verändern. Eine Studie der Stanford-Universität verglich Multitasker mit Nichtmultitaskern – mit überraschendem Ergebnis. Multitasker hatten größere Schwierigkeiten, wirklich Wichtiges von eher Unwichtigem zu unterscheiden. Sie ließen sich leichter ablenken und hatten Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Die Vermutung liegt nahe, dass sich Multitasker Oberflächlichkeit quasi aktiv antrainieren.

Auf dem Festival bin ich dann nach Reinald Grebe weder zur Band noch zum DJ gegangen, sondern habe stattdessen mit ein paar Freunden ein Bier getrunken. Ganz in Ruhe und ohne Ablenkung. Dass inzwischen mein Handyakku leer war, hat dabei vielleicht geholfen.

Ich bin Multitasker!

Ich bin ganz dicht und dabei ganz offen,
ich kann bekifft sein und gleichzeitig besoffen.
Ich bin Multitasker!

Es passiert so viel gleichzeitig,
ich hab' für meinen Kaktus einen Newsticker eingerichtet.
Ich bin Multitasker!

„Besser“, „schneller“, „effektiver“. Immer mehr Angebote finden sich auf dem Markt, mit deren Hilfe wir Multitasker unser Leben in kürzester Zeit wieder zum reibungslosen Funktionieren bringen sollen, wenn wir mal nicht mehr wissen, wo uns gerade der Kopf steht, wenn unser Betriebssystem mal nicht so läuft. Die Grippe kann angeblich über Nacht wieder verschwinden, der Kopfschmerz ist nach der entsprechenden Pille wie weggeblasen. Und ein Wochenende Wellness oder eine halbe Stunde Relax-Massage in der Mittagspause machen uns in kürzester, effektiv genutzter und keineswegs vertrödelter Zeit wieder fit.

Wer sich Zeit nimmt, macht sich verdächtig, der hat wahrscheinlich nicht genug geleistet. – Ist der etwa kein Multitasker!?

Das Gegenteil von Multitasking heißt Achtsamkeit. Auch so ein Modewort. Aber im Kern geht es dabei darum, die Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Sache zu richten. Das kann das Atmen, ein Gefühl, ein Gedanke oder ein körperliches Empfinden sein. Meditation oder Beten – das sind klassische Achtsamkeitsübungen.

Natürlich gibt es auch hierzu moderne wissenschaftliche Untersuchungen: Bei Menschen, die täglich eine halbe Stunde Achtsamkeitsübungen praktizierten, konnten nach acht Wochen eine höhere Dichte der grauen Substanz in bestimmten Hirnregionen gegenüber einer Kontrollgruppe gemessen werden. Im Hippocampus zum Beispiel nahm sie zu. Hier werden Gedächtnis, Lernen und Emotionen wie Selbstgefühl und Empathie gesteuert. Im Mandelkern hingegen nahm die graue Masse ab – so heißt die Hirnregion für negative Gefühle wie Angst und Stress.

Ich erinnere mich an den Vortrag eines Notarztes in einem Kurs zur Notfallseelsorge, den ich als Pfarrer besuchte. Bereitschaftsärzte, die mit Blaulicht von einem Einsatzort zum nächsten rasen müssen, um dort dann womöglich Herzinfarkt-Patienten oder Kreislaufzusammenbrüche zu behandeln, sind typische Vertreter einer gehetzten Multitasking-Gesellschaft, dachte ich. Denkste.

„Wenn ich nachts, von einem Notruf aus dem Schlaf gerissen werde, dann versuche ich alles fast wie in Zeitlupe zu machen,“ erzählte der Notarzt. „Dann stehe ich bewusst langsam auf und schnüre mir in aller Ruhe die bereitgestellten Schuhe. Ich renne nicht die Treppe zum Einsatzfahrzeug hinunter, sondern ich gehe Stufe für Stufe. Ich atme tief durch und achte auf meinen Herzschlag. Das ist fast wie eine kleine Meditation. Ich weiß, dass jede Minute zählt, aber eine ruhige Minute gibt mir eben viel mehr Zeit, als eine kopflose, gehetzte. Ich möchte mich als Arzt nicht mitreißen lassen, von der allgemeinen Hektik und der Panik, die dann am Einsatzort oft herrscht.“ – Achtsamkeit anstelle von Multitasking.

 

Ich bin Multitasker!

Ich liege in der Wanne, denk' dabei an Anne,
während ich duschi, denke ich an Uschi.
Mein Hirn hat so viel Kammern, die kann man alle füll'n
mit eins, mit null, mit Wichtigem, mit Müll.

Ich bin Multitasker!

So wie Rainald Grebe, der Musikkabarettist mit gespielt panischem Blick übers Piano ins Publikum stiert, scheint ihm der besungene Multitasking-Wahnsinn ja ganz offensichtlich nicht gut zu bekommen. Wir lachen uns schlapp – und ich muss später an die Geschichte vom Holzfäller denken. Die geht so:

Hastig und sehr angestrengt ist ein Holzfäller dabei, einen auf dem Boden liegenden Baumstamm zu zerteilen. Er stöhnt und schwitzt und scheint viel Mühe mit seiner Arbeit zu haben. – Zwei Mädchen beobachten ihn eine ganze Weile dabei. Und schließlich treten sie näher heran und nachdem sie dem Holzfäller noch eine ganz Zeit zugeschaut haben, fasst sich die eine ein Herz und fragt: „Hör mal, deine Säge ist ja ganz stumpf. Warum schärfst du sie denn nicht?“ – Der Holzfäller schaut nur kurz auf und zischt durch die Zähne: „Dazu habe ich keine Zeit, ich muss sägen!“

Mir geht’s oft ganz ähnlich wie dem Holzfäller. Lieber schufte ich gehetzt mit der abgestumpften Säge weiter, immer schon die nächsten Stämme und Äste im Blick, die da vor mir aufgestapelt sind. Zu selten nehme ich mir Zeit zum Innehalten und Neuschliff.

Was ist wichtig, was ist Müll?

In meiner Ausbildung im theologischen Studienseminar für angehende Pfarrerinnen und Pfarrer habe ich ein altes Ritual kennen gelernt: Immer zur Mittagszeit, wenn um 12 Uhr die Glocke der nahen Kirche läutete, unterbrachen wir unser Kursprogramm. Ganz egal worum es gerade ging. Wir unterbrachen. Wir nahmen uns eine kurze Auszeit vom Alltagsgeschäft, wurden still – und hörten auf das Glockengeläut. Drei Minuten lang saßen wir einfach schweigend da. – Am Anfang kam mir diese Sache fremd, ja sogar albern vor. Ist doch Zeitverschwendung! Lasst uns am Thema dranbleiben, das ist jetzt wichtiger! Aber mit der Zeit habe ich unser tägliches Schweigen beim Mittagsläuten schätzen gelernt. Als Zeit für mich – und für Gott. Als Raum für frei schwebende Gedanken – oder Gebete.

Schon lange vor unsere Zeit hat man erkannt, wie wichtig Stille in unserem Leben ist, um dann wieder angemessen zu handeln.

In der Bibel heißt es bei dem Propheten Jesaja. Denn so spricht Gott der HERR, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.

Das Wichtige vom Unwichtigen unterscheiden. Durch Stille, durch Achtsamkeit. Das probiere ich heute am freien Sonntag mal aus. Nein, ich muss kein Multitasker sein, Gott sei Dank. Und auch in der vollen neuen Woche läuten für mich täglich zur Mittagszeit wieder die Glocken. Und für Dich auch.

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