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Epidemie
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Epidemie

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer i. R., Kassel
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Mühselig haben wir lernen müssen, mit den bedrohlichen Viren zu leben. Auch wenn solche Beschränkung der persönlichen Freiheit niemals zur Gewohnheit werden kann. Ein Begriff wie Epidemie geht bereits Schulkindern leicht über die Lippen. Er gehört zum Alltagsvokabular. Aber was verbirgt sich hinter diesem Wort „Epidemie“?

"Epidemie" hieß im antiken Griechenland das, was "auf das Volk" kommt

Sprachlich lässt es sich aus dem Griechischen ableiten. Erstaunlich ist allerdings: Es stammt aus einer Zeit, in der man weder Viren kannte noch Infektionskrankheiten. In Griechenland der Antike meinte Epidemie das, was „auf das Volk“ kommt. Aber was war damit gemeint, wenn doch Viren genauso unbekannt waren wie Impfkampagnen?

Die "Epidemien" waren rituelle Feiern zu Ehren der Götter

Zuerst war der Ausdruck Epidemie der gelebten Religion vorbehalten. Das, was da über die Menschen kam, waren eben die Götter. Um deren Niederkunft auf die Erde gebührend zu zelebrieren, wurden mit großem kultischen Aufwand Opfer dargeboten. Und genau diese rituellen Feiern waren mit den „Epidemien“ gemeint.

Diese Bedeutung wurde später auf medizinische Angelegenheiten übertragen

Erst später wurde diese Bedeutung auf medizinische Angelegenheiten übertragen. Ein naheliegender Gedankenschritt, denn die Götter des Olymps waren nun einmal für alles verantwortlich, also auch für die Krankheiten, die über die Menschen kamen.

Das Bild des strafenden Gottes ist zum Glück überwunden

Dass die Epidemie in den sprachlichen Wurzeln mit dem Götter-Kult zusammenfällt, muss heute eher irritieren. Kaum jemand nennt heute ernsthaft Krankheiten und speziell Epidemien eine göttliche Strafe. Das Bild von einem strafenden Gott, der Unheil über die Menschen bringt, ist zum Glück überwunden.

Der Glaube als Brückenbauer

Und doch ist damit der Glaube nicht aus der Verantwortung entlassen. Wir brauchen ihn nicht als Schuldzuweisung, auch nicht als Mittel der apokalyptischen Mahner. Wir brauchen ihn als Brückenbauer. Es gibt so viele offene Fragen, die sich nicht allein durch wissenschaftliche Forschung und Medizin klären lassen. Etwa: Wie soll die Solidarität aussehen zwischen Gefährdeten und weniger Gefährdeten? Welche Privilegien kann es für Geimpfte geben? Wieviel Rücksicht ist geboten und wieviel Bewegungsfreiheit ist notwendig?

Es gibt Fragen, die ohne religiöse Perspektive nur schwer zu klären sind

Ich bin überzeugt: Es gibt Fragen, die ohne religiöse Perspektive nur schwer zu klären sind, weil sie die Moral betreffen. Und die Kirchen sind gefragt, als Vermittlerin zwischen den medizinisch erforderlichen Entscheidungen und den menschlichen Bedürfnissen nach Nähe, Gemeinschaft und Seelenheil. Gesundheit ist eben mehr als nur angewandte Hygiene und Impfschutz. Nicht minder wichtig ist es, geistige Viren abzuwehren.

Wir brauchen Seelsorge, die auch den Geist umfasst

Was wir gerade jetzt brauchen, ist ein Glaube, der uns mit dem Ungewissen versöhnt.  Ein Glaube, der immun macht gegen vereinfachende Scheinwahrheiten der Verführer. Und wir brauchen Seelsorge, die dafür sorgt, dass Gesundheit nicht nur den Körper, sondern auch den Geist umfasst. Damit wir eine Epidemie auch ohne seelischen Schaden überstehen.

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