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Ein Bild neben meinem Sarg

Ein Bild neben meinem Sarg

Dr. Peter Kristen
Ein Beitrag von Dr. Peter Kristen, Evangelischer Pfarrer und Studienleiter, Religionspädagogisches Institut Darmstadt

Zur Goldenen Hochzeit haben wir unseren Nachbarn ein fotographisches Gästebuch geschenkt. Alle, die zu der Feier gekommen sind, haben wir gebeten, sich in einem großen Bilderrahmen fotografieren zu lassen. Einzeln, in Paaren und Grüppchen oder als Familie haben die Gäste den üblichen Widerstand schnell überwunden und dann freundlich und fröhlich in die Kamera gelächelt. Es sind schöne Bilder geworden.

Auch ein älteres Paar hatte schon nach dem Rahmen gegriffen, für das Foto Perlenkette und Krawatte zurechtgerückt, freundlich geschaut und sich dann einen Platz an einem der Tische gesucht. Da kommt die Frau noch einmal alleine zurück. „Würden sie mich auch noch einmal einzeln fotografieren“, fragt sie mich etwas zögerlich. „Wissen sie, wenn ich mal versterbe, da stellt man heute ja ein Bild des Verstorbenen neben den Sarg. Da hätte ich gerne ein schönes Bild von mir.“

„Sehr gerne“, hab ich gesagt und war froh, dass ich, bis alles neu arrangiert war, einen Augenblick Zeit hatte, mit meiner Gänsehaut klarzukommen. Überrascht war ich, gerührt und beeindruckt. Die Frau hat die Gelegenheit klug genutzt. Festlich angezogen und schön zurechtgemacht war sie für die Feier ohnehin. Aber auch innerlich war sie offenbar vorbereitet: Ganz selbstverständlich und unbefangen hat sie den Gedanken an ihren Tod in sich wachgehalten, selbst an diesem sonnigen und festlichen Tag.

Klug sein, das heißt gescheit sein und schlau. Klug ist es auch, den Gedanken an den eigenen Tod mit im Lebensplan zu haben und deshalb anders zu leben: gelassen, zuversichtlich und dankbar. Für mich lebt diese Frau vor, worum ein Beter im Psalm bittet: "Gott, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden." (Psalm 90,12) Es scheint, als hätte Gott ihr diese Bitte erfüllt.

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