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Drei beliebte Vermeidungsstrategien
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Drei beliebte Vermeidungsstrategien

Claudia Rudolff
Ein Beitrag von Claudia Rudolff, Rundfunkpfarrerin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel
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Das muss doch mal gesagt werden!“ – Mit diesem Finale lässt der Mann, der auf dem Parkplatz neben mir steht, seinen langen Monolog zur Lage der Nation ausklingen. Eigentlich wollte ich nur den Einkaufswagen wegbringen - aber jetzt weiß ich, wo Angela Merkel falsch liegt, wie Ausländer ticken und dass die Welt im Grunde genommen nicht mehr lange bestehen wird-.
Außer es wird bald umgesetzt, was von meinem Gegenüber „doch mal gesagt werden musste!“
Ehrlich gesagt: Als ich mit meinem Einkauf im Auto nach Hause fahre, haben sich viele der gehörten Worte wie durchs offene Seitenfenster verflüchtigt.
Aber der letzte Satz fährt auf dem Beifahrersitz mit:
„Das muss doch mal gesagt werden!“ -

Was muss eigentlich wirklich mal gesagt werden? Je länger ich darüber nachdenke, merke ich: Es gibt einige wirklich lebensnotwendige Sätze, die unbedingt mal gesagt werden müssen. „Ich liebe Dich!“, ist so ein Satz. Man tut es gut, den zu hören! Und echt schön, wenn man das jemandem von ganzem Herzen sagen kann. Wertschätzung pur.
Das muss doch mal gesagt werden! Der nächste Satz gehört für mich, wenn Anlass dazu, besteht auch unbedingt dazu:
„Ich entschuldige mich“. Noch vor ein paar Jahrzehnten hätte der Satz „Ich entschuldige mich für das und das“ für Verwirrung gesorgt;
Entschuldigen, also die Schuld abnehmen, das konnten logischerweise nur die „Opfer“. Also diejenigen, die unter einem Missgeschick oder einer bösen Tat leiden.  Keinesfalls der Urheber, der „Täter“ solcher Dinge. Der musste sagen „Ich bitte um Entschuldigung“ – und bekam sie dann gewährt oder auch nicht. Sich selber entschuldigen galt als eine Anmaßung!
Die Zeiten ändern sich, Sprache ändert sich, und wir wissen ja alle, was und wie das gemeint ist, wenn jemand sagt „ich entschuldige mich“.
Manchmal allerdings wird das schnell so dahin gesagt und das Herz steht nicht dahinter.

„Ich entschuldige mich!“ Schnell dahin gesagt, heißt das im Klartext: Eigentlich bin ich unschuldig.
Beim Umgang mit Schuld beobachte ich oft, auch bei mir selbst, drei beliebte Vermeidungsstrategien.
Sollten Sie also etwas ausgefressen haben und wollen Sie Ihren Kopf aus der Schlinge ziehen, dann beachten Sie diese drei Vermeidungsstrategien: Die erste: Zeigen Sie mit dem Finger auf andere.
Ja, es mag ja nicht so astrein gewesen sein, was Sie getan haben, aber andere sind noch viel schlimmer!

Achten Sie dabei darauf, nicht zu überziehen, und wählen Sie Vergleiche, die rund zehn bis 20 Prozent verabscheuungswürdiger sind, nicht mehr! Wenn Sie sich damit herausreden wollen, dass Sie den Rückspiegel am geliehenen Auto abgefahren haben, dann erinnern Sie den Besitzer dezent daran, dass es ja nicht ganz so schlimm ist wie der eingedrückte Kotflügel, den jemand anderes neulich verschuldet hat.

Die zweite Vermeidungsstrategie geht so: Entschuldigen Sie sich für etwas ganz anderes als Ihr eigentliches Missgeschick. Das ist der Klassiker bei Politikern. Da sagt jemand etwas unglaublich Dummes oder Taktloses, wird anschließend unter Druck gesetzt und zu einer Entschuldigung genötigt. Und dann: Er entschuldigt er sich nicht für seinen Satz, sondern dafür, dass alle anderen ihn falsch verstanden haben. Beispiel: „Meine Damen und Herren, es tut mir sehr leid, dass bei Ihnen der Eindruck von Rassismus entstanden ist, als ich Chinesen als Schlitzaugen bezeichnet habe. Hier wird das Problem geschickt verschoben. Es geht nicht mehr um die fragwürdige Wortwahl. Schuld ist nicht mehr derjenige, der „“Chinesen als Schlitzaugen“ bezeichnet hat, sondern diejenigen, die das in den falschen Hals bekommen haben.

Und die dritte Vermeidungsstrategie ist die: Sich vom Täter zum Opfer zu machen. Wenn jemand einen Fehler eingesteht, erwarten wir eine Erklärung, wie es dazu kommen konnte. Aus so einer Erklärung lässt sich unauffällig eine Rechtfertigung machen. So in etwa: „Ich habe den Außenspiegel an deinem Auto abgefahren, weil der andere so saublöd geparkt hat, dein Kind auf dem Rücksitz gequengelt hat und du immer darauf bestehst, dass ich vorwärts in die Parklücke fahre, nur damit du besser an den Kofferraum kommst.“

Mit dem Finger auf andere zeigen, sich falsch verstanden wissen und anderen die Schuld an ihrem Fehlverhalten gegeben zu haben - allen drei Vermeidungsstrategien ist eins gemeinsam: Durch ein paar leichte Handgriffe werden Täter und Opfer vertauscht.
Wo wir uns an diese drei grundsätzlichen Strategien halten – Vergleich, Ablenkung, Ich bin-hier-das-Opfer – kann uns so schnell keiner was.
Auf eine Nebenwirkung muss dennoch hingewiesen werden: Unsere Schuld behalten wir, wenn wir so damit umgehen.

Wer frei werden möchte von Schuld, muss zu seinen Fehlern stehen und um Verzeihung bitten.
Das wird mir deutlich an der Geschichte von Susanne und Barbara:
Susanne sucht mit einer Kollegin Barbara einen Termin für eine Besprechung. Manches, was ihre gemeinsame Arbeit betrifft, muss dringend geregelt werden. Nach langem Hin und Her finden sie einen freien Abend und verabreden sich. Dann bekommt Susanne einige Tage später einen Einladung von ehemaligen Schulfreunden - genau für diesen Abend. Sie laden ein zu einem Wiedersehensabend in ihre alte Stammkneipe. „Mist, was mach ich nur?“ denkt sich Susanne. Zu gern würde sie alle wiedersehen. Aber was sagt sie der Kollegin? Einen Ersatztermin zu finden, ist fast aussichtslos. Und ob Barbara versteht, dass sie wegen einer privaten Einladung absagt, weiß Susanne nicht.
Sie überlegt lange. Dann sagt sie das Treffen mit Barbara ab. Weil ihr aber der Mut zur Wahrheit fehlt, ruft sie erst auf den letzten Drücker bei Barbara an und sagt: Ich habe einen Migräneanfall und kann mich kaum auf den Beinen halten. Es tut mir leid. Ich kann nicht kommen. Barbara bedauert, dass der Termin ausfällt und wünscht ihr gute Besserung. 
Susanne legt mit schlechtem Gewissen den Hörer auf und zwei Stunden später trifft sie unter großem Hallo ihre alten Schulfreunde. Leider sind auch andere Kollegen an diesem Abend in der Kneipe und so erfährt Barbara schon am nächsten Morgen, dass Susanne sie belogen hat. Sie ist stinksauer. Als Susanne ins Büro kommt, grüßt Barbara knapp und fragte süffisant, ob es ihr wieder besser gehe. Susanne weiß sofort, dass sie aufgeflogen ist. Sie traut sich nicht, ihr ins Gesicht zu schauen, murmelte irgendetwas vor sich hin und flüchtet in ihr Büro.
Allein in ihrem Büro ist an Arbeiten nicht zu denken. Susanne zerbricht sich ihr Hirn: Was mache ist jetzt? Hätte ich doch nicht gelogen? Wäre ich doch ehrlich gewesen und hätte gebeten unser Treffen zu verschieben. Wo es möglich ist, geht sie Barbara aus dem Weg. Doch Susanne merkt, dass ihr schlechtes Gewissen sie weiter belastet. Das Verhältnis zu Barbara kühlt immer mehr ab. Immer wieder bereut Susanne ihre Lüge. Sie nimmt sich fest vor: Das nächste Mal bleibe ich bei der Wahrheit. Doch sie spürt: Aus ihrem Fehler zu lernen ist nur ein Schritt. Sie muss auch mit Barbara ins Reine kommen, nicht nur mit sich. Sie geht zu Barbara und bittet um Entschuldigung - ohne wenn und aber und ohne sich zu rechtfertigen. Barbara nimmt die Entschuldigung zähneknirschend an, aber sie bleibt auf Distanz. „Dann hättest Du auch nicht um Entschuldigung bitten müssen“, sagt eine andere Kollegin zu Susanne. Doch, entgegnet sie: „Ich habe getan, was ich tun konnte: Um Entschuldigung zu bitten. Nur so fühle ich mich wieder frei und kann nach vorne schauen und hoffen, dass Barbara mir doch noch von Herzen verzeiht.“

Darauf vertraue ich ebenso wie Susanne: Wo ich alle Vermeidungsstrategien ablege und von Herzen um Entschuldigung bitte, kann es einen Neuanfang geben. Und ich glaube, Gottes Liebe gibt mir Kraft und Mut dazu, da wo es nötig ist, das zu sagen, was mal gesagt werden muss: „Ich bitte um Entschuldigung“.

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