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Wer bist du?
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Wer bist du?

Andrea Seeger
Ein Beitrag von Andrea Seeger, Evangelische Theologin
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Eine Freundin ist verzweifelt. Ihr Mann hat sie hintergangen, häusliche Gewalt ist im Spiel, vorübergehend ist er ausgezogen. Doch nun klagt er auf Wiedereinzug ins gemeinsame Haus. Beide müssen vor Gericht erscheinen. Die Freundin, in drei Jahrzehnten Ehe kleingemacht, mit wenig Selbstwertgefühl, sucht Hilfe bei einem Coach.

Der fragt sie schlicht: „Wer bist du?“ Sie schweigt – ziemlich lange. Er wiederholt die Frage – und bittet sie, jeden Begriff auf einem separaten Zettel zu notieren. Sie zögert, setzt dann stockend an: Ich bin Frau, Mutter, Erzieherin. Pause! Nach einem aufmunternden Blick des Coaches geht es weiter. „Ich engagiere mich in der Kirchengemeinde, ich bin Elternbeirätin in der Schule meiner Töchter, Tafelmitarbeiterin. Ach ja, das hatte ich ganz vergessen: Früher habe ich auch ehrenamtlich für die Kindernothilfe gearbeitet.“

Zum Schluss liegen viele Notizen auf dem Boden, sehr viele. „Schauen Sie auf die Zettel!“, bittet der Coach sie am Schluss. „Was löst das bei Ihnen aus?“ Ihre spontane Antwort: „Ich bin ja doch wer!“

Ja, sie ist wer. Wie jeder Mensch wer ist. Nach christlichem Verständnis ist er nicht nur wer, sondern wertvoll. Nur wissen es viele nicht, weil ihr Selbstwertgefühl gelitten hat oder sie es nie entwickeln konnten. Sie sind sich selbst nichts wert. Wer an den Gott der Bibel glaubt, darf durchaus selbstbewusst sein. In den ersten Zeilen des Alten Testaments heißt es: „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild.“ Gott hat den Menschen als sein Gegenüber geschaffen. Wer sich also morgens im Spiegel anschaut und nicht leiden mag, was er da sieht, kann sich beruhigen: Egal, wie viele Pickel, Falten oder graue Haare sichtbar sind, sie oder er ist nach dem Bilde Gottes geschaffen.

Die Freundin erscheint vor Gericht. Der Richter fordert sie auf, sich kurz vorzustellen. Das tut sie. Es dauert etwas länger. Der Richter ist beeindruckt. Der Noch-Ehemann gerät außer sich: „Das tut hier doch alles gar nichts zur Sache“, findet er. Tut es doch. Die Wiedereinweisung in das gemeinschaftliche Haus lehnt der Richter ab. Die Freundin hat nicht nur an Selbstwert gewonnen, sondern auch die juristische Auseinandersetzung.      

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