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Vertrautes schafft Vertrauen

Vertrautes schafft Vertrauen

Dr. Ulf Häbel
Ein Beitrag von Dr. Ulf Häbel, Evangelischer Pfarrer, Laubach-Freienseen

Einmal in der Woche ist unsere jüngste Enkeltochter bei uns, den Großeltern. Lea ist anderthalb Jahre alt. Sie kommt, wenn ihre Eltern beide arbeiten müssen. Manchmal bleibt sie auch über Nacht. Sie kommt gern zu uns. Wir leben auf einem Bauernhof. Das ist für ein Kind interessant. Lea kann in der Scheune herumlaufen und lässt sich in den Heuhaufen fallen. Sie entdeckt das Nest, in das die Hühner ihre Eier legen. Sie füttert Schafe und Ziegen, streichelt Häschen und redet mit den Schweinen.

Kürzlich war ein Freund von uns aus Frankfurt da, der fand das alles idyllisch und schön. Besonders verwundert war er, als er gesehen hat, wie das Kind die Ziegenlämmer angelockt hat mit „Mäh“ und Handbewegung und Futter. Denn als er die jungen Ziegen zu sich rief, kamen sie nicht. Die Tiere kannten ihn nicht; die kleine Lea, die wöchentlich hier ist, ist ihnen vertraut. Da fiel mir die Erklärung meines Nachbarn, eines alten Bauern, ein. Der hat gesagt: Du musst mit Tieren reden wie mit Menschen. Das kann unser Enkelkind anscheinend gut. Wenn Lea mit den Lämmern redet, hört man häufig: Mäh, mäh. Sie nennt sie auch ihre Mähs. Wenn sie die anlocken will, macht sie ihre kleine Hand auf und zu. Das heißt: Kommt her! Dazu redet sie in der Sprache der Tiere. Die verstehen es, und sie kommen. Offensichtlich trifft sie den richtigen Ton. Wenn man den trifft, dann ist das Leben einfach.

Man muss den richtigen Ton treffen, um sich mit anderen zu verstehen. Für unser Zusammenleben gilt das auch: Wer einen Menschen verstehen will, muss seine Sprache kennen und wenn möglich auch sprechen. Vor allem aber muss er den richtigen Ton finden; das heißt: offen und zugewandt sein, mit vertrauenserweckender Stimme und einladend reden. Das kann so geschehen: Erzähl mir von dir, in deiner Sprache, und ich höre dir zu. Und dann rede ich von mir – in meiner Sprache, einfach und ehrlich. Damit wird dir meine Stimme vertraut.

Eine vertraute Stimme schafft Vertrauen. Jesus hat das gewusst. Er lebte in einer Zeit, als Ackerbau und Viehzucht die meisten Menschen geprägt hat. Er hat gewusst, wie Menschen und Tiere zusammen gehören. Einmal spricht er über die Menschen, die sich ihm zugehörig fühlen. Die Bibel nennt sie Jünger. Über sie sagt er: „Meine Schafe hören meine Stimme.“ (Johannes 10,14) Wenn Jesus so spricht, werden die Menschen nicht in Schafe umbenannt oder degradiert. Das gibt es in unserer Umgangssprache oft genug. Da ist die Rede vom dummen Schaf, dem blöden Hund, der dämlichen Gans, dem dreckigen Schwein.

Wenn Jesus sagt: „Meine Schafe hören meine Stimme“, wertet er die Menschen auf. Die Schafe hören die vertraute Stimme ihres Hirten. Sie hören darin einen, der sich ihnen zuwendet, der sie behütet, beschützt und pflegt. Die vertraute Stimme des Hirten schafft Vertrauen. So kann das zwischen Menschen sein. Durch eine Stimme, die freundlich und vertrauensvoll mit mir redet, spüre ich, dass der andere mir zugeneigt ist. Und umgekehrt gilt: Wenn ich jemandem freundliche und liebevolle Worte sage, verstehen wir uns besser. Vertrautes schafft Vertrauen. Eine vertraute Stimme ist der Anfang davon. Mein Enkelkind hat das mit anderthalb Jahren begriffen, wenn es die Zicklein ruft.

„Meine Schafe hören meine Stimme.“ Jesus kannte die Kultur der Wanderhirten. Er hat dieses Bild auf seine Gemeinde übertragen. Er hat von Gott wie von einem guten Hirten geredet, der uns auf frische Weide führt und auch in dunklen Tälern bei uns ist. Der gute Hirte, ein Bild des Vertrauens. Wer dieses Urvertrauen hat, ist gut dran.

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