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„So langsam wie möglich“
Bildquelle: pixabay

„So langsam wie möglich“

Marcus Vogler
Ein Beitrag von Marcus Vogler, Leitender katholischer Pfarrer der Pfarrei St. Bonifatius Amöneburger Land
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Ich habe das Gefühl die Zeit rast nur so an mir vorbei. Oder vermutlich rase ich an der Zeit vorbei. Die Flut von E-Mails, Terminen und meine Aktivität in den sozialen Medien beschleunigen das Ganze noch. Irgendwie sehne ich mich danach, hin und wieder gehörig auf die Bremse zu treten und etwas Fahrt rauszunehmen. Genau das geschieht seit dem 05. September 2001 in der Sankt-Burchardi-Kirche in Halberstadt. Hier wird ein Musikstück aufgeführt, dass in 639 Jahren beendet sein wird. Ja, Sie haben richtig gehört: in 639 Jahren! 1985 komponierte John Cage ein Stück für Klavier, das insgesamt 29 Minuten dauert. 1987 hat er es selbst für die Orgel überarbeitet. „So langsam wie möglich“ lautet der Titel dieser Komposition. 1997 entstand die Idee, diese Angabe ganz wörtlich zu nehmen: So langsam wie möglich. Man hat die nur achtseitige Partitur auf 639 Jahre hochgerechnet, d.h. das Stück ist so langsam, dass es niemand zu Ende hören kann.

Am 5. September 2001 begann die Aufführung in der eigens dafür hergerichteten Sankt-Burchardi-Kirche in Halberstadt mit einer Pause von rund anderthalb Jahren. Faszinierend, oder? Da beginnt etwas mit einer anderthalbjährigen Pause! Den ersten Ton gab es dann am 5. Februar 2003. Voraussichtlich wird der letzte Ton im Jahre 2640 erklingen – genau 639 Jahre nach dem Beginn des Musikstücks. Zurzeit ist ein Fünfklang zu hören: zwei Basstöne und drei höhere Töne, die seit dem 5. Oktober 2013 ununterbrochen erklingen. Tag und Nacht, selbst wenn es meist niemand hört, spielt die Spezialorgel von allein vor sich hin. In der Luft liegt ein gleichbleibender Ton, der mit Hilfe von an den Tasten angebrachten Sandsäcken gehalten wird. Das Musikstück erinnert zurzeit an ein gedämpftes Schiffshorn. Zwei Meter hoch steht das Gestell mit einigen wenigen Pfeifen. Für jeden neuen Ton müssen neue Pfeifen installiert werden. So soll die Cage-Orgel im Laufe der Jahrhunderte mit jedem Klangwechsel etappenweise ausgebaut werden. Am 05. September diesen Jahres erklingt der nächste Ton.

Ist das John Cage Orgelprojekt „So langsam wie möglich“ nur eine verrückte Idee für  abgefahrene Musikfreaks? Kunst, die keiner versteht? Ich glaube John Cage möchte die Menschen darauf aufmerksam machen, dass sie sich vielleicht auch nur mal einer Sache intensiv widmen und nicht sofort verlangen, dass ständig etwas Neues kommt. Für mich persönlich ist das John Cage Orgelprojekt ein Kontrapunkt zum rasanten Tempo meines Lebens. Indem die Langsamkeit ins Absurde überhöht wird, wird mir bewusst, wie schnell ich unterwegs bin. Wie kann ich den Schnellzug meines Lebens etwas abbremsen? Manche machen gute Erfahrungen damit, das Handy an manchen Tagen auszuschalten und den Computer zugeklappt zu lassen. Andere machen Sport oder meditieren. Und wieder andere sind einfach geschickt darin, sich Ruhephasen zu organisieren. Punktuell gelingen mir diese Ideen auch. Für mich persönlich gibt es ein Ritual, das sich jeden Morgen wiederholt: Ich beginne jeden Tag im Gebet. Ich zünde eine Kerze an, bete die Psalmen, lese ein Bibelwort, höre in mich hinein und versuche, mein Leben mit Gott zu verbinden. Nur mit IHM online zu sein. Diese Zeit am Morgen hilft mir, gut für den Tag gewappnet zu sein und ein Gefühl für das richtige Tempo zu bekommen. Morgen ist Sonntag. Das ist auch für Sie eine gute Gelegenheit mit Gott online zu gehen.

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