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Hilfsmittel gegen die Angst
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Hilfsmittel gegen die Angst

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
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Ich liebe mein Leben, und manchmal habe ich Angst darum. Im Straßenverkehr zum Beispiel. 2019 sind auf Deutschlands Straßen über 3000 Menschen tödlich verunglückt. Ein Onkel von mir war einer von ihnen. Wenn ich mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs bin, denk ich schon manchmal: Hoffentlich passiert mir nichts. Angst um mein Leben bekomm ich manchmal auch beim Wandern in den Bergen an einer engen Stelle, ganz kurz nur. Und etwas länger, etwas milder: wenn ich nach einer Vorsorgeuntersuchung darauf warte, dass alles gut ist. Ich weiß: Jede achte Frau erkrankt an Brustkrebs. Ab und zu macht auch das mir Angst. Und dann ist da natürlich jetzt eine gewisse Angst vor diesem neuen Virus, Corona. Es ist nicht so wahrscheinlich, dass ich es kriege und dann auch noch schwere Symptome entwickle. Aber ich habe auch einen Freund, der drei Wochen im künstlichen Koma lag mit Covid19. Ich möchte diese Krankheit wirklich nicht bekommen.

Musik und Glaube verjagen die Angst

Angst um mein Leben. Mancher wird jetzt vielleicht denken: bitte nicht solch ein schweres Thema schon am frühen Sonntagmorgen. Und andere werden vielleicht sagen: Als Christin müsste sie doch eigentlich weniger Angst um ihr Leben haben, weniger Angst vor dem Tod. Mein Glauben hat tatsächlich damit zu tun, wie ich mit dieser Angst umgehe. Davon will ich heute in der Morgenfeier erzählen. Und ich habe Musik mitgebracht, die mir hilft, die Angst zu überwinden. Glaube und Musik: Das sind für mich die beiden stärksten Hilfsmittel gegen die Angst. Ich starte mit einer berühmten Motette von Johann Sebastian Bach. Schon ihr Titel ruft dazu auf, keine Angst zu haben: „Fürchte dich nicht.“

Musik 1: aus Johann Sebastian Bach: Motette „Fürchte dich nicht“ (CD: J.S. Bach, Motets, La Chapelle Royale, Paris, Collegium Vocale Gent, Philippe Herreweghe, Track 2).

Fürchte dich nicht!

„Fürchte dich nicht!“ sagt Gott in der Bibel. Er sagt es ziemlich oft, zum Beispiel in diesem Zitat aus dem Propheten Jesaja, das Bach in seiner Motette aufgreift: „Fürchte dich nicht, ich bin dein Gott!“ (Jesaja 41,10). Auch die Engel in der Bibel rufen so: „Fürchtet euch nicht!“ (vgl. Lukas 2,10) Und Jesus sagt das oft zu seinen Jüngerinnen und Jünger: Habt keine Angst! (vgl. Matthäus 10,26, 14,27, Johannes 14,27)

Doch Angst gehört zum Menschen

Vermutlich wird es so oft in der Bibel gesagt, weil die Menschen natürlich trotzdem nicht aufhören, sich zu fürchten. Vor Gegnern und Gefahren, vor Krankheit und Tod, manchmal sogar vor Gott selbst. Obwohl der ihnen sagt: Fürchtet euch nicht! Angst gehört wohl zum Menschen. Und es ist eben nicht so, dass ich als gläubige Christin keine hätte, vor allem: keine Angst vor dem Tod. Ich habe noch einiges vor. Ich möchte mein Leben genießen. Und ich glaube: Gott hat mir auch mein Leben geschenkt, damit ich es schätze und genieße, im Hier und Jetzt und in der Zukunft. Ja: Ich glaube daran, dass mein Leben nach dem Tod weitergeht. Aber das heißt nicht, dass ich mein Leben vor dem Tod nicht genieße, dass ich nicht daran festhalte. Manchmal hat christlicher Glaube dazu geführt, dass das Jenseits wichtiger genommen wurde ist als das Diesseits. Ich fand das immer schon immer problematisch. Und mich hat es auch in den letzten Monaten irritiert, wenn Gläubige in Corona-Zeiten sagen: Ich fürcht mich nicht vor dem Tod. Es gibt Wichtigeres als mein Leben hier auf Erden. Ich bin überzeugt: Gott will mein Leben in Fülle auch schon für das Hier und Jetzt. Mein irdisches Leben hab ich doch von ihm, es ist mir kostbar, ich soll es schützen und bewahren. Und natürlich auch das Leben anderer Menschen.

"Wie Christus das irdische Leben ganz auskosten"

Ein Theologe, der diese Liebe für das diesseitige und das jenseitige Leben besonders stark verbunden hat, ist Dietrich Bonhoeffer. Vor gut 75 Jahren ist er wegen seines Glaubens und seines Widerstands gegen Hitler hingerichtet worden. Bonhoeffer wollte nicht sterben, nicht Märtyrer werden. Er liebte das Leben. In seinen berühmten Aufzeichnungen aus der Gefängniszelle in Berlin-Tegel schreibt er: Man soll Gott in dem finden und lieben, was er uns gerade gibt; wenn es Gott gefällt, uns ein überwältigend irdisches Glück genießen zu lassen, dann soll man nicht frömmer sein als Gott und dieses Glück durch übermütige Gedanken und Herausforderungen und durch eine wildgewordene religiöse Phantasie… wurmstichig werden lassen.“ (Widerstand und Ergebung, S. 95) Und an einer anderen Stelle schreibt Bonhoeffer: „Der Christ hat nicht …. immer noch eine Ausflucht ins Ewige, sondern er muss das irdische Leben wie Christus … ganz auskosten, und nur, indem er das tut, ist der Gekreuzigte und Auferstandene bei ihm und ist er mit Christus gekreuzigt und auferstanden.“ (Widerstand und Ergebung, S. 179)

Von guten Mächten umgeben

Bonhoeffer hat das Leben geliebt, unruhig und ohnmächtig hat er sich im Gefängnis gefühlt. Aber er hatte zugleich auch ein großes Vertrauen in Gott, der ihn in allen Ängsten tröstet und behütet. Bonhoeffers berühmtes Gedicht aus der Vorweihnachtszeit 1944 ist für mich auch ein Text und eine Musik gegen die Angst: „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.“ (vgl. Brautbriefe Zelle 92, S. 209)

Musik 2: Dietrich Bonhoeffer / Siegfried Fietz: Von guten Mächten (CD: Eingeladen zum Fest des Glaubens. 63 neue und alte Lieder für den Gottesdienst, hrsg. vom Institut für Kirchenmusik des Bistums Mainz, CD 1, Track 17).

Gott ist an meiner Seite

Ich glaube: Dietrich Bonhoeffer konnte solche wunderbaren Zeilen wie in diesem Lied dichten, weil er erfahren hat: Gott reißt mich zwar nicht unbedingt heraus aus all meinen Gefahren und aus meinen Ängsten. Aber er ist da, an meiner Seite, wenn ich mich allein und ängstlich fühle, auch dann, wenn ich Angst um mein Leben habe. „Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Keine Angst – ich bin da

Das ist auch für mich die größte Hilfe, wenn mich die Angst packt: zu wissen: Es gibt diesen Gott, diese guten Mächte, die mich leiten und begleiten. Wie es schon der Prophet Jesaja und die Bach-Motette sagen: „Fürchte dich nicht: Ich bin bei dir! Ich bin dein Gott!“ Der erste Name Gottes in der Bibel lautet ja genau so: Ich bin da! Ganz wenige Worte, aber die können ganz schön helfen, wenn ich Angst habe. Und natürlich helfen sie auch nicht nur, wenn Gott sie spricht. Es tut gut, wenn ein Mensch das zu mir sagt: „Ich bin ja da, hab keine Angst!“ So hab ich das aus meiner Kindheit im Ohr von meiner Mutter und meinem Vater. So haben mir es Menschen immer wieder gesagt in den letzten Jahrzehnten. Und so hab ich es auch schon selbst gesagt zu Menschen, die in meinen Armen zittern: Keine Angst! Ich bin da. Wir stehen das zusammen durch.

Zu wissen, ich muss das nicht allein durchstehen

Zusammenstehen, zusammenhalten. Das finde ich gerade jetzt in der Corona-Krise wichtig. Und ich freue mich darüber, wie viele Menschen, Institutionen und übrigens auch Fernseh- und Radiosender sich das jetzt zum Motto machen: Wir halten zusammen! Wir schaffen das gemeinsam! Ich glaube: Wenn wir Angst haben, ist doch das Schlimmste: Mit unserer Angst allein zu bleiben. Und das Beste: Wenn Menschen und gute Mächte uns in unserer Angst trösten und stützen. Es tut so gut, wenn Menschen an meiner Seite bleiben, wenn ich mich unsicher und ängstlich fühle. Sie sind dann für mich so etwas wie göttliche Boten, wie Engel.

Schutzengel

Es ist bestimmt kein Zufall: In der Bibel sind es gerade die Engel, die den Menschen immer wieder sagen: Fürchte dich nicht! Sie überbringen damit die Botschaft Gottes. Sie sind Gesandte und Stellvertreter Gottes in dem Moment. Und wenn Menschen das sagen: Fürchte dich nicht! Dann sind auch sie solche Gesandte Gottes, solche Engel. Sie sagen mir: Du bist behütet, Gott ist bei dir auf all deinen Wegen, und auch ich bleibe bei dir. Eine Musik, die das für mich ganz wunderbar ausdrückt, ist das berühmte Doppel-Quartett aus dem „Elias“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy: „Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir.“

Musik 3: aus: Felix Mendelssohn Bartholdy, Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir (CD: Felix Mendelssohn-Bartholdy, Elias. Oratorium, Gächinger Kantorei / Bach Collegium Stuttgart / Helmuth Rilling, CD 1, Track 9).

Behütet auf allen deinen Wegen

„Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ (Psalm 91,11) Diese wunderbare Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy zitiert einen Psalm aus der Bibel, den Psalm 91. Dort stehen übrigens auch Verse wie diese: „Du brauchst dich vor dem Schrecken der Nacht nicht zu fürchten, noch vor dem Pfeil, der am Tag dahinfliegt, nicht vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die wütet am Mittag.“ (Psalm 91,5) Es ist ein Psalm, der die Ängste nennt, aber vor allem Vertrauen und Zuversicht wecken will. Ich singe und bete solche Psalmverse gerade jetzt in diesen Corona-Zeiten besonders gern. Sie tun mir gut gegen die Angst, die mich manchmal überfällt. Die Angst um mich oder die Angst um andere. Ich glaube daran: Gott behütet mich und meine Lieben, er ist bei uns mit seinem Schutz und Segen.

Selbst Schutzengel für andere sein

Aber das heißt natürlich nicht, dass ich nicht auch selber aufpassen muss auf mich und andere. Ganz im Gegenteil: Weil Gott sich sorgt um mich und um die Menschen, deswegen soll auch ich das tun. Ich soll mich darum kümmern, dass es mir und anderen gut geht, nicht nur der Seele, sondern natürlich auch dem Leib. Von Jesus erzählt die Bibel immer und immer wieder: Er heilte Kranke. Er wusste: Die Gesundheit des Körpers ist für den Menschen zentral. Gott will, dass wir heil und gesund sind. Und deswegen sorge auch ich mich darum, dass Menschen heil und gesund bleiben können. Dass sie nicht Angst haben müssen, krank zu werden oder gar zu sterben. Und diese Angst haben jetzt in der Corona-Krise ja nicht nur Menschen über 80, die vielleicht sogar am wenigsten. Angst haben Risikogruppen, Menschen mit Asthma oder mit Autoimmunerkrankungen, Menschen mit Krebsvorerkrankungen oder Lungenproblemen. Auch all die will Gott beschützen und bewahren mit seinen Engeln. Und ich, ich kann selbst zum Engel werden, wenn ich mich für sie in diesen Corona-Zeiten zurücknehme. Wenn ich mich an Sicherheitsmaßnahmen halte. Maske trage. Abstand halte. Vielleicht nicht gleich alles tue, was mir erlaubt wäre.

Zuversicht und Stärke

Gott hilft mir nicht nur, mit meinen eigenen Ängsten umzugehen. Er gibt mir auch die Stärke, mich um die Ängste anderer zu sorgen. Mich für andere einzusetzen. In einem Lied aus der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé heißt es: „Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht, Christus meine Zuversicht.“ Auch das singe ich oft in diesen Wochen. Und es heißt da weiter: „Auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht“.

Musik 4: Jaques Berthier, Taizé: Meine Hoffnung (CD: Auf dich vertrau ich. Gesänge aufgenommen in Taizé, Ateliers et Presses de Taizé 1999, Track 6).

Das gemeinsame Singen fehlt

Musik, geistliche Musik vor allem, die ist für mich eine wunderbare Hilfe gegen die Angst, gerade in diesen Corona-Zeiten. Und es hilft mir, sie nicht nur zu hören, sondern auch selber zu singen. Das ist natürlich ausgerechnet in dieser Corona-Krise ein kleines Problem. Denn zurzeit kann ich weder in öffentlichen Gottesdiensten singen – Gemeindegesang ist ja verboten in unseren hessischen Bistümern – noch in Chorproben, auch die sind gerade nur sehr eingeschränkt erlaubt. Ich find das vollkommen richtig. Besser, wir sind vorsichtig und geben Viren in den Aerosolen keine Chance, als dass wir uns und andere in solchen Versammlungen anstecken und schwere Verläufe riskieren. Und trotzdem: Mir fehlt das Singen sehr.

Laut heraussingen, was die Angst verjagt

Ich singe deswegen im Moment besonders viel zuhause. Wenn ich sonntags den Fernseh- oder Radiogottesdienst mitfeiere, dann nehm ich mein Gesangsbuch zur Hand und singe in meinem Wohnzimmer lautstark mit. Und immer mal wieder lege ich mir jetzt auch geistliche Musik auf, die ich kenne, am liebsten Johann Sebastian Bach. Und davon am liebsten: die Motetten. Dann hole ich meine Chornoten dazu heraus und singe mit. Die Motette „Fürchte dich nicht!“ zum Beispiel. Aber natürlich auch: „Jesu, meine Freude!“ Für mich ist das wirklich die ultimative Musik gegen die Angst. „Unter deinen Schirmen bin ich vor den Stürmen aller Feinde frei“, heißt es da zum Beispiel in einem Choral. Aber besonders mag ich diese Zeilen: „Trotz dem alten Drachen, trotz des Todes Rachen, trotz der Furcht darzu. Tobe Welt und springe, ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh.“ Was für unglaubliche Worte und was für eine fantastische Musik von Bach. Ich stell mich dazu aufrecht in mein Wohnzimmer und singe mit. Und dann spür ich: Die Furcht vor den Gefahren und vor des Todes Rachen wird tatsächlich ein bisschen kleiner in mir. Die Musik und mein Glaube: Die sind mir wirklich gute Hilfsmittel gegen die Angst. Und Mittel zum Atmen und Leben.

Musik 5: Johann Sebastian Bach: Motette „Jesu meine Freude“, Nr. 5 „Trotz, trotz dem alten Drachen“ (CD: J.S. Bach, Motets, La Chapelle Royale, Paris, Collegium Vocale Gent, Philippe Herreweghe, Track 3).

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