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Fehlerfreundlich werden

Fehlerfreundlich werden

Verena Maria Kitz
Ein Beitrag von Verena Maria Kitz, Katholische Pastoralreferentin in St. Michael, Zentrum für Trauerseelsorge, Frankfurt
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In letzter Zeit begegnet mir immer wieder mal der Begriff: „fehlerfreundlich“. Bei größeren Veränderungsprozessen etwa, da liest man dann, die sollen „fehlerfreundlich ablaufen“.

Uff, wenn ich an meine ersten Grundschuljahre damals denke, da war von Fehlerfreundlichkeit noch nicht viel zu spüren. Ich habe zwar glücklicherweise schnell lesen gelernt und auch rechnen, aber meine Handschrift, die war ein Graus. Und freundlich zu meinen Fehlern war meine Klassenlehrerin, eine strenge ältere Dame mit Knoten, wahrhaftig nicht. Meine holperigen Buchstäbelchen wurden rot angestrichen, und ich wurde ermahnt, mir mehr Mühe zu geben. Mit dem Effekt, dass die Buchstaben noch krakeliger wurden.

Aber später mal, als Aushilfe im Hotel, da habe ich Fehlerfreundlichkeit sehr eindrücklich erlebt: Ich sollte bei einem Bankett, kurz bevor die Gäste kamen, noch schnell Schälchen mit Senf auf allen Tischen verteilen. Vor lauter Aufregung habe ich das Tablett schief gehalten und die ganze Geschichte ging zu Boden. Ich wäre am liebsten gleich selber mit im Boden versunken. Aber der Chef kam - die  Fehlerfreundlichkeit in Person! - und hat mir geholfen. Schnell war alles wieder aufgewischt, und er sagte nur: Kein Problem, so hat jeder von uns angefangen, mach einfach weiter. Ich war unglaublich erleichtert und habe gemerkt, was Fehlerfreundlichkeit bewirkt, auch wenn niemand dieses Wort benutzt hat: Ich habe mit doppeltem Eifer losgelegt, mein nächstes Tablett gerade gehalten,  und dann ging es.

Fehlerfreundlichkeit heißt nicht, bewusstes Fehlverhalten zuzudecken oder Falsches schönzureden.  „Fehlerfreundlichkeit“, sagt die Wissenschaft, das heißt: Ich beschäftige mich intensiv mit Abweichungen.  Abweichungen vom erwarteten Lauf der Dinge und den damit verbundenen Überraschungen, angenehmen oder unangenehmen. Diese Abweichungen sehe ich nicht als Fehler, sondern als Chance: Chance, mit der Wirklichkeit besser zurechtzukommen.  

Vielleicht hat Jesus von Nazareth genau deswegen ausgerechnet den Petrus ausgesucht als Chef für seine Jünger. Nicht, weil er so toll war, sondern weil er viel Erfahrung hatte mit Fehlern, nämlich seinen eigenen, und sich dessen bewusst war.

Wenn mir heute der nächste Fehler unterläuft, versuche ich daran zu denken - und freundlich mit mir zu sein. Fehlerfreundlich halt.

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