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Die Mitte des Jahres
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Die Mitte des Jahres

Dr. Annegreth Schilling
Ein Beitrag von Dr. Annegreth Schilling, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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Grade hab ich doch erst den Wintermantel in den Schrank gehängt. Jetzt sind wir fast in der Mitte des Jahres angelangt. Wie schnell das ging. Gefühlt zumindest. Jetzt finde ich mich wieder unter dem Grün der belaubten Blätter, genieße die langen Sommerabende auf dem Balkon und freue mich auf den nächsten Ausflug zum See. Die Mitte des Jahres hat für mich etwas ganz Besonderes: Am liebsten will ich diese Tage festhalten, die Unbeschwertheit, das Licht, die Wärme der Sonne mitnehmen in die zweite Jahreshälfte.

Die Mitte des Jahres ist auch ein guter Zeitpunkt, um Innezuhalten. Ich blicke auf die vergangenen 6 Monate und denke an den Silvesterabend, wo wir uns im Freundeskreis über unsere Vorsätze unterhalten haben. Meine Freundin Katrin wollte in diesem Jahr abends weniger Zeit am Handy verdaddeln und ich hatte mir vorgenommen, in diesem Jahr mal alle meine Schränke auszumisten. Große oder kleine Vorhaben. Was ist eigentlich daraus geworden? Für mich passt zur Mitte des Jahres ein Satz aus der Bibel. Er geht so: „Prüft alles, und das Gute behaltet.“ (1. Thessalonicher 5,21) Ich verstehe das als Anregung, Bilanz zu ziehen. Eine Art „Halbjahres-Bilanz“.

Prüft alles. Wie geht das? Eine Möglichkeit wäre: Ich fasse alles, was ich im letzten halben Jahr erreicht habe, in einer Excel-Tabelle zusammen. Alles Erledigte würde ich dann grün markieren und mir dabei selbst anerkennend auf die Schulter klopfen. Und alles Unerledigte, das wäre dann in dieser Tabelle in rot. Ups, da kommt ja wirklich noch viel auf mich zu. Das wäre eine Art zu bilanzieren. Doch diese Art der Bilanzierung passt mir nicht. Da beißt sich die Leichtigkeit des Sommers mit meinem Bestreben, immer mehr leisten zu müssen. Erst dann richtig gut zu sein, wenn überall grüne Häkchen stehen. Das setzt mich ganz schön unter Druck.

Das Bibelwort regt mich zu einer alternativen Bilanzierung an. „Prüft alles, und das Gute behaltet.“ Ich frage mich, mit Blick auf das vergangene halbe Jahr: Was ist mir bisher an Gutem widerfahren? Welche Menschen, welche Begegnungen waren mir wertvoll? Was möchte ich auch im nächsten halben Jahr so beibehalten? Das ist eine andere Form der Bilanzierung. Sie rechnet nicht eiskalt ab, sie hält nicht Ausschau nach dem, was immer noch nicht klappt, sie drängt mich nicht in die Ecke. Solch eine Halbjahres-Bilanz: die befreit, sie lässt mich atmen, sie öffnet den Blick auf das, was noch kommt. Und alles, was im vergangenen halben Jahr nicht gut war? Die Vorsätze, die ich nicht umsetzen konnte – was mache ich damit? Das Bibelwort sagt darüber nichts. Aber es sagt doch so viel: Schau dir an, was bisher geschehen ist. Halte inne. Lass dich nicht davon leiten, was dir noch nicht gelungen ist. Schau dich selbst gnädig an. Denn so sieht auch Gott Dich an. Prüf alles – und das Gute behalte.

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