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Das Geheimnis des Segens
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Das Geheimnis des Segens

Dr. Fabian Vogt
Ein Beitrag von Dr. Fabian Vogt, Evangelischer Pfarrer in der Öffentlichkeitsarbeit, Frankfurt

Letzte Woche hatte ich Geburtstag. Und was haben die Leute gesungen? Na klar: „Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen.“ Und ich dachte spontan: „Viel Glück und viel Segen … Wo genau ist denn da eigentlich der Unterschied? Also: Zwischen Glück und Segen? Ja mehr noch: Was ist Segen überhaupt?“

Gut, beim Segen hat irgendwie Gott seine Hand im Spiel. Aber: Beim Glück ja vielleicht auch. Oder nicht? Und dabei ist mir zum ersten Mal aufgefallen, wie oft ich im Alltag Segensformeln höre. Und wie! Selbst Menschen, die mit Gott und dem Glauben gar nicht viel anfangen können, benutzen ständig Formulierungen wie „Alles Gute“, „Viel Erfolg“, „Hals- und Beinbruch“, „Toi toi toi“, „Viel Glück“ oder als Star-Wars-Fans „Möge die Macht mit dir sein.“ Ja, sogar das Wort „Tschüss“ ist eine Ableitung von „A dieu“ und bedeutet ursprünglich so viel wie „Sei Gott anbefohlen“. Sprich: Immer, wenn wir „Tschüss“ sagen, segnen wir unser Gegenüber.

Das heißt doch: Irgendwie ahnen wir, dass es bei allem, was wir tun, etwas gibt, das wir nicht in der Hand haben, und dass es gut ist, sich dieses Unverfügbare bewusst zu machen und fest darauf zu bauen, dass da irgendwas … ja, wer eigentlich? … das Schicksal, der Herrgott, das Glück oder das Universum … für uns ist und nicht gegen uns.

Darum gilt Segen in allen Kulturen und Religionen seit alters her als „heilvolle Kraft“, die dem Gesegneten hilft, sein Leben zu sichern und zu verbessern. Aber was genau dahinter steckt, hinter dem „Segen“ – dem würde ich heute Morgen gerne mal nachspüren. Nun: Eines zumindest lässt sich über den Segen sofort sagen: Man kann ihn weder machen, noch sich selbst zusprechen: Segen kann einem nur geschenkt werden. Ja, Segen ist eine besondere Zusage, eine Verheißung für die Zukunft. Und ich behaupte mal: Es gibt vermutlich niemanden, der etwas dagegen hätte, wenn man über ihn sagen würde: „Das ist ein gesegneter Mensch.“ Schauen wir mal, was sich hinter diesem geheimnisvollen Begriff verbirgt.

Wenn man in die Bibel schaut, um herauszufinden, was hinter dem schillernden Begriff „Segen“ steckt, dann entdeckt man: Wenn Gott Menschen segnet, dann geht es meist gar nicht nur um einen Zuspruch, nicht nur um neuen Mut. Wenn Gott Menschen segnet, dann gehört dazu ganz oft … eine Aufgabe. Ja, in der Bibel heißt es immer wieder: „Gott segnete sie und sprach: …“ Und in der Regel kommt dann direkt ein Vorschlag, wie ein Mensch in der großen Geschichte Gottes eine Rolle spielen kann. Wie er oder sie etwas tun kann, das etwas für die Welt bedeutet.

Ein typisches Beispiel ist der Urvater Abraham. Der hockt vor vielen Jahrtausenden in Mesopotamien vor seinem Zelt, bis Gott ihm sagt: „Zieh aus deiner Heimat in ein Land, das ich dir zeigen werde.“ Und dann überschüttet ihn Gott mit Segensverheißungen: „Abraham, wenn du losziehst, dann werde ich dich segnen, dich berühmt machen, dir viele Nachkommen schenken und dir gegen deine Gegner helfen.“ Klingt richtig gut, aber: Das alles passiert nur, wenn Abraham sich tatsächlich aufmacht. Nicht, wenn er Gottes Verheißungen ignoriert. Der Segen ist in dieser Geschichte also daran gebunden, dass ein Mensch mutig über sich hinausdenkt und sich auf Gottes Vorstellungen für sein Leben einlässt. Ob Abraham damals besonders glücklich damit war, dass er alles hinter sich lassen und ins Unbekannte aufbrechen sollte? Ich vermute mal nicht.

Bei Maria, der Mutter von Jesus, war das übrigens ähnlich. Die zuckte erst mal zusammen, als ihr ein Engel verkündete: „Dein Segen besteht darin, dass du als unverheiratete junge Frau unter mysteriösen Umständen ein Kind bekommen wirst.“ Was? Ein Kind ohne Ehemann zu bekommen war damals eine Schande. Ich glaube: Im ersten Moment war Maria alles andere als erfreut.

Spätestens an dieser Stelle zeigt sich: Segen heißt in der Bibel vor allem „Ich erhalte eine neue Lebensperspektive. Ich wage es, mich und die Welt mit den Augen Gottes zu sehen. Ich sehe einen neuen, weiten Horizont, weil ich eine Aufgabe habe.“ Für Abraham bedeutete das: „Ich mache mich auf in ein neues Land“, für Maria: „Ich werde diesen Jesus zur Welt bringen.“ Sowohl Maria als auch Abraham erleben dann: Dass sie sich auf Gott einlassen, wird für sie tatsächlich zum Segen. Nicht nur, weil sie Gott die ganze Zeit bei sich wissen, sondern vor allem, weil sie für andere zum Segen werden. Und das ist ein weiterer Gedanke der Bibel: Ob ein Mensch wirklich gesegnet ist, das erkennt man oft daran, dass er anderen gut tut.

Segen fällt nicht nur in die Kategorie „Wohlfühlen“. Segen hat viel mehr damit zu tun, dass jemand für sich wahrnimmt: „Gott ist mit mir!“ Ich weiß mich behütet. Was Gott will, ist wichtig für meine Art, zu leben und zu handeln. Segen meint also ein Leben in der Gegenwart Gottes. Und wenn ein Mensch gesegnet wird, dann wird ihm zugesagt: Gott ist mit dir. Das ist ein Versprechen. Eines, das auch glücklich macht, aber weit darüber hinausgeht.

Wird sich ein gesegnetes Kind seltener die Knie anstoßen als ein ungesegnetes? Und: Wird es beim Klassenvorspiel in der Aula weniger falsche Töne auf der C-Flöte spielen? Nein. Denn darum geht es beim Segen gar nicht. Segen ist kein Glücksdoping, sondern Leben in der Gegenwart Gottes.

Die Zusage „Gott ist bei mir“ kann für einen Glaubenden zu einer Quelle der Kraft werden, weil er das Leben voller Zuversicht angeht. Ich jedenfalls wünsche meinen Kindern, dass sie das erfahren: „Ich bin niemals allein. Gott ist bei mir.“ Wie man dem Geheimnis des Segens auf die Spur kommt, interessiert übrigens auch die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau dieses Jahr in besonderer Weise: Auf der nächste Woche in Wittenberg beginnenden Weltausstellung zum 500. Reformationsjubiläum präsentiert sie deshalb einen Erlebnis-Parcours zum Thema „Segen“. Weil dieses Thema ja erst dann spannend wird, wenn man sich fragt: Was hat denn der Segen für mein Leben zu bedeuten?

Das kann man in Wittenberg entdecken. Es gibt dort zum Beispiel eine Station, an der man selbst ausprobieren kann: Wie fühlt es sich an, einen Menschen zu segnen? Schließlich sind alle Christen eingeladen, den Menschen um sich herum die Gegenwart Gottes zuzusagen. Ich bin ziemlich sicher: Eine Welt, in der sich möglichst viele Leute gegenseitig segnen, wäre eine deutlich friedvollere und harmonischere Welt. Schließlich fordert Jesus ja sogar: „Segnet eure Feinde!“

Und es gibt noch eine Station auf dem Segensparcour. Die hat was damit zu tun, dass wir uns zunehmend mit den Grenzen zwischen Mensch und Maschine auseinandersetzen müssen. Deshalb steht in Wittenberg der erste Segensroboter der Welt. „BlessU-2“ heißt er. BlessU-2 beherrscht Segensworte in sieben Sprachen und lädt die Gäste ein, sich dem Segen auf unkonventionelle Weise zu nähern. Das heißt: Er kommuniziert mit den Besucherinnen und Besuchern und spricht ihnen dann einen passenden Segen zu.

Das klingt erst mal befremdlich. Aber ich sag mal so: Wenn jemand nach dem Kontakt mit dem Roboter in Worte fassen kann, warum er lieber von einem Menschen gesegnet werden möchte, dann hat er vermutlich was vom Segen verstanden. Insofern will BlessU-2 vor allem Gespräche anregen und Lust machen, sich die verschiedenen Dimensionen des Segens neu bewusst zu machen.

Denn eines ist klar: Mich daran erinnern, dass ich gesegnet bin, das können auch ein gedruckter Vers aus der Bibel, den ich lese. Vielleicht sogar ein Roboter. Aber wenn Gott mir durch einen anderen Menschen persönlich zusagt, dass er bei mir sein möchte, dann hat das eine ganz eigene Kraft.

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