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Aller Augen warten
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Aller Augen warten

Carmen Jelinek
Ein Beitrag von Carmen Jelinek, Evangelische Dekanin, Kirchenkreis Kaufungen
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„Aller Augen warten…“ heißt es im Psalm 145. In den Augen kann man Sehnsüchte und Hoffnungen ablesen. Ja, wenn man in die Augen vieler Menschen sieht, kann man es sehen, ob sie warten oder längst resigniert haben. Aber auch wenn die Augen hoffnungslos aussehen, vielleicht steckt doch noch eine Sehnsucht in ihnen.

Aller Augen, das sind, um im Bild zu bleiben, die braunen Augen ebenso wie die blauen, die grünen und die grauen. Es sind die müden Augen ebenso wie die wachen, die neugierigen ebenso wie die resignierten, die Augen der alten Menschen wie die Kinderaugen, die rot verweinten wie auch die strahlenden.

Es sind die Augen eines jeden einzelnen Menschen mit seiner spezifischen Lebensgeschichte, seinen spezifischen Erfahrungen und Einsichten, seinen besonderen Erwartungen, Sorgen und Hoffnungen, seinen höchst eigenen Ängsten.

Eines haben all diese Augen gemeinsam: sie warten.

Im 145. Psalm wartet einer auf Gottes Hilfe. Was ihn genau bewegt, weiß ich nicht.

Bei anderen wird das schnell deutlich.

Manche warten zum Beispiel in der Schlange der Essener Tafel und hoffen auf Nahrung.

Schamhaft blicken die Augen der alleinerziehenden Mutter, weil sie zum ersten Mal hier ist und sich erst zu diesem Gang entschließen musste.

Undurchdringlich schaut der Obdachlose, weil er längst seine Scham verloren hat und keine Schwelle mehr überwinden muss. So tief ist er abgestiegen.

Ungeduldig blickt ein Ausländer, weil er nicht verstehen kann, dass er hier gelandet ist und sein Stolz sagt ihm: Ich will hier schnell wieder weg.

In all den Augen ist die Sehnsucht erkennbar, zu denen zu gehören, die so viel Geld im Portmonee habe, dass sie die Lebensmittel kaufen können, die sie gerade möchten.

Warten ist ein seltsamer Zustand: zugleich passiv und aktiv. Man ist innerlich bewegt und äußerlich zum Nichtstun verurteilt.

Wer wartet, muss etwas auf sich zukommen lassen. Er kann nicht viel tun,  außer sich bereit zu halten und vielleicht im Gebet die Augen auf Gott zu richten. Das Warten macht deutlich, dass wir angewiesen sind auf andere Menschen oder auch auf Gott.

Manchmal ist es eine große Herausforderung zu erleben, dass wir nicht all unsere Wünsche und Sehnsüchte selbst erfüllen können.

Aber wir können vielleicht herausfinden, was andere brauchen.Dazu brauchen wir nur Blickkontakt aufzunehmen und können vielleicht in ihren Augen lesen, ob wir ihnen helfen können.

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