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Mit Popsongs auf Sinnsuche: Protest!
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Mit Popsongs auf Sinnsuche: Protest!

Thomas Zels
Ein Beitrag von Thomas Zels, Pastor, Freie evangelische Gemeinden Marburg

Michael Jackson, der King of Pop, machte 1995 bei „Wetten, dass…“ mit seinem „Earth Song“, dem Lied der Erde, Furore. Er bescherte der Show mit seinem spektakulären Auftritt Rekordeinschaltquoten. Der Song protestiert gegen die menschengemachte Zerstörung der Erde. Fünf Wochen war er auf Platz eins in den deutschen Charts und wurde die erfolgreichste Michael-Jackson-Single in Deutschland. In der Reihe „Mit Popsongs auf Sinnsuche“ beschäftigen sich die Autoren in diesem Sommer mit Protestliedern. Pastor Thomas Zels von der Freien evangelischen Gemeinde Marburg hat sich den Earth Song näher angeschaut.

Stellen Sie sich vor, sie gehen durch einen paradiesischen Regenwald, beobachten einen seltenen bunten Vogel, die Sonne glitzert durch die Lichtungen des grünen Blätterdachs, ein paar kleine Affen schauen sie neugierig von einem Ast aus an, und sie entdecken den Stamm eines gewaltigen Mammutbaums.

Doch plötzlich taucht eine große Planierraupe auf, walzt die Büsche nieder und kommt direkt auf sie zu! Und im nächsten Augenblick stehen sie auf einer verbrannten Landschaft, die mit Baumstümpfen und totem Holz übersät ist.

In dem Video zum Song gehen die Bilder weiter: Da liegt ein gewilderter Elefant, dem die Stoßzähne herausgeschnitten sind. Eine Gruppe Afrikaner steht entsetzt daneben. Szenen vom Krieg tauchen auf. Ein Haus ist ausgebrannt. Ein Mädchenfahrrad liegt verbeult im Schutt. Wie viele Kinder sind im Krieg schon umgekommen! Der Blick geht in Richtung Himmel. Im Text heißt es: Siehst du da oben denn nicht, mit wieviel Blut deine Erde getränkt ist? Wie sie weint und schreit? Was haben wir mit dieser Erde gemacht? Was tun wir uns gegenseitig an?

Der Clip zu diesem Song, dem Lied der Erde, zeigt noch mehr Bilder der Zerstörung. Michael Jackson hat versucht, der verletzten Schöpfung eine Stimme zu geben. Manchen sind der Song und auch das Video sicher zu pathetisch. Und Michael Jackson darin zu sehr selbsternannte Stimme der Welt. Okay. Andererseits ist die Betroffenheit, die Leidenschaft, die der Song ausstrahlt, nicht übertrieben. Im Gegenteil. Wir brauchen es, nicht nur im Kopf überzeugt zu sein, sondern auch im Bauch. Ich kann dieses Lied, diese Klage so gut nachvollziehen. Oder ist es eine Anklage? Auch das könnte ich verstehen.

Manchmal bewegen mich so viele Dinge: Plastikverseuchung unserer Meere. Nitratverschmutzung des Grundwassers durch die Landwirtschaft. Elefantenpopulation Afrikas durch Elfenbeinwilderei auf ein Viertel zusammengeschrumpft. Mehr als die Hälfte der Regenwälder gerodet durch Holzindustrie, Palmöl-, Soja- und Bergbaukonzerne. Das Heidelberger Institut für Konfliktforschung hat für 2016 weltweit 226 gewaltsame Konflikte gezählt. 18 davon waren oder sind noch Kriege der höchsten Eskalationsstufe. In Syrien fast eine halben Mio. Tote. Die Hälfte aller Syrer auf der Flucht. Weltweit zurzeit 60 Mio. Flüchtlinge. Seit dem Jahr 2000 140.000 Menschen durch 61.000 Terroranschläge getötet. Brutalität auch im Alltag, Mobbing unter Kollegen oder gegen Schüler im Internet. Und, und, und. Es tut weh, mitanzusehen, wie dieser einst paradiesische Planet immer mehr zerstört wird, wie mit einem Bulldozer. Und wir mit ihm. Es ist zum Weinen oder Schreien, was Menschen sich gegenseitig antun, egal in welchem Namen oder mit welchem eingebildeten Recht.

Der aus der CD HIStory von 1995 ausgekoppelte Earth Song wurde als Single und Video weltweit zum Mega-Hit, obwohl er mit über sechseinhalb Minuten außergewöhnlich lang ist. Erst sehe ich Bilder vom Paradies. Dann die Bilder von der Zerstörung der Erde.

Beides steht in scharfem Kontrast zueinander. Und in ekstatischer Weise steigern sich die Anfragen und Anklagen über unseren Umgang mit der Erde. Ob Jackson damit so eine Art Sündenfall in Szene setzen wollte, weiß ich nicht. Aber der unverantwortliche und ausbeuterische Umgang mit unserem Planeten und das Leid von unzähligen Menschen haben längst so dramatische Folgen, dass es auch mich hilflos oder richtig wütend macht.

Das alles schmerzt. Und muss nicht auch der Schmerz darüber gezeigt werden? Protest braucht sicher Fakten. Aber er braucht auch persönliche Betroffenheit von der Dramatik einer Sache. Nur so wird der Protest leidenschaftlich und Dinge können bewegt werden. Aus der Biografie von Michael Jackson ist bekannt, dass sich hinter der Außenseite des großen Erfolges eine verletzte Kindheit befand. Vielleicht hat ihn das viele Songs schreiben lassen, die von leidenschaftlichem Mitgefühl gezeichnet sind. Oft von Pathos.

Wer selber Schmerzen kennt, kann anderes Leid manchmal tiefer nachfühlen. Zur Entstehung des Songs hat Jackson gesagt: \"Ich fühlte so viel Schmerz und Leiden für die Not des Planeten Erde. Und für mich ist das ein Lied an die Erde, weil ich denke: Die Natur bemüht sich so sehr, die Misswirtschaft der Menschheit auszugleichen. Aber das ökologische Ungleichgewicht hält an – es gibt so viele Umwelt-Probleme. Ich glaube, die Erde fühlt den Schmerz, und sie hat Wunden.“ Fast wie die Menschen der Bibel wendet sich Jackson mit seinem Klage- und Protestlied an die ganze Erde. Oder an Gott.

Fragen über Fragen. Was wird aus den wunderschönen Naturschauspielen? Aus unseren Lebensgrundlagen? Was wird aus unserem Erbe und all dem Schönen? Was ist mit der sozialen Gerechtigkeit? Warum müssen die einen verlieren, was ihnen lieb und teuer ist, weil andere ihre Machtinteressen mit Gewalt durchsetzen? Wieviel Blut, Geschrei und Leid muss noch kommen, eh das aufhört? Was ist mit dem Traum von einer heilen Welt?

Müssten sich nicht irgendwann alle leidenden Menschen zusammentun und mit der Schöpfung gemeinsam schreien, damit die Dinge sich ändern? Im Song und auch im Video gibt es eine solche Wende. Andere Menschen schließen sich der Klage an, gehen auf die Knie oder blicken auf zum Himmel. Der zweite Teil des Songs ähnelt einem leidenschaftlichen Gospel. Die gemeinsame Verzweiflung bündelt sich und kehrt die Dinge um. Im Video wird das deutlich, indem ein Sturm aufkommt. Der steht für die Hoffnung, dass die Menschen umkehren und die Erde geheilt wird. Der Clip verwendet Motive aus der Bibel, wie Wunder und Auferstehung. Der gefällte Baum richtet sich wieder auf. Bürgerkriegstote werden wieder lebendig. Und auch der Elefant, der von Wilderern erschossen wurde.

Die Klage wird mehr und mehr zu einem Schreien. Weitere biblische Bezüge tauchen auf. Die Kriege im „Heiligen Land“, also Israel, oder Abraham, dem Gott Segen für die ganze Welt verheißen hatte. Im zweiten Teil des Videos hängt Michael Jackson festgekrallt zwischen zwei Bäumen, schreit seine Klagen hinaus und stampft rhythmisch dazu. Im Song antwortet ein Chor, der sich mit dem Leid der Schöpfung solidarisiert. Sie tun das solange, bis die Erde wiederhergestellt und ihr Leid geheilt ist.

Der ständige Wechsel von Klage in Moll und Hoffnung in Dur und der hämmernde Bass verstärken die Dringlichkeit und Härte der Realität. Die Haltung Jacksons mit den ausgebreiteten Armen erinnert dabei sehr an die Haltung Jesu Christi am Kreuz, angeschlagen an zwei Balken. Jesu Tod hat uns laut Bibel die Vergebung aller Schuld gebracht. Und seine Auferstehung von den Toten die Hoffnung auf eine Neue Welt im Frieden. Dieser Bezug taucht auch im Text des Klageliedes auf: „Was ist mit all dem Frieden, den du deinem einzigen Sohn versprachst?“ Bei all dem wird aber auch die menschliche Eigenverantwortung eingeklagt. Was ist mit uns los? Verstehen wir nicht, dass unser eigenes Leben am Leben der Welt hängt? John Muir , ein schottischer Universalgelehrter, sagte schon im 19.Jahrhundert: „Wenn einer an einem einzelnen Ding in der Natur zerrt, findet er es am Rest der Welt befestigt.“

Besitzen wir die Einsicht, uns wirklich um eine Robbe oder einen Elefanten zu sorgen? Wie der Stimmenchor fragt: „Was ist mit uns?“ Können wir uns aufrichtig um ein hungerndes Kind auf der anderen Seite der Welt sorgen, oder um einen Flüchtling, der bei uns strandet? Können wir uns um einen zerstörten Wald oder ein zerbombtes Dorf sorgen, die wir nie sehen werden? Die aber rufen: „Was ist mit uns?“ Gott hat uns diese Erde anvertraut. Um sie zu bebauen und zu bewahren. Verantwortlich damit umzugehen. Wo wir uns daran erinnern, gibt es Hoffnung. Ich halte an ihr fest. Und bitte Gott den Schöpfer: Gib mir Mut und Kraft zum Protest gegen das gottlose Zerstören der Erde. Und zum Eingreifen.

Die Erde ist ein wundervolles Zeichen von Gottes Liebe zu uns ist. Manchmal protestiere ich laut und öffentlich. Oft aber auch ohne Worte, wie im Refrain des Earth-Songs.

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