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Mauern überwinden
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Mauern überwinden

Eva Reuter
Ein Beitrag von Eva Reuter, Katholische Pastoralreferentin, Betriebsseelsorge im Bistum Mainz / Regionalstelle Rheinhessen
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Ich gehöre zu der vermutlich letzten Generation, die sich noch an die Mauer erinnern kann. Als Kind habe ich sie in Berlin gesehen, und ich habe die Teilung Deutschlands miterlebt. Heute, am 60. Jahrestag des Mauerbaus, muss ich daran denken.

Als ich klein war, gehörte es für mich zu den ganz normalen Weihnachtsvorbereitungen, Pakete für die Verwandten in der DDR zu packen. Ich sehe meine Mutter noch vor mir: Sie hat am Küchentisch gestanden, mit der Küchenwaage und einer Auswahl von Kartons. Diese wurden dann befüllt mit Backzutaten wie Mandeln und Kokosraspeln und mit Nylonstrümpfen und Zeitschriften mit Strick- und Nähanleitungen. Jeder Zentimeter wurde ausgenutzt und aufs Gramm genau das maximale Gewicht eingepackt.

Die Angst vor diesen Zäunen

Als ich ungefähr zwölf Jahre alt war, haben wir einmal im Sommer die Verwandten in Sachsen besucht. Auch daran erinnere ich mich genau: Während sonst Urlaubsfahrten bei uns recht lustig waren, herrschte bei dieser Fahrt eine angespannte Stimmung im Auto. Irgendwann kamen die Grenzanlagen in Sicht und mein Bruder und ich machten dumme Sprüche. Ich erinnere mich noch genau, mit welchem Ton meine Mutter uns verboten hat, noch ein weiteres Wort zu sprechen, bis wir über die Grenze sind.

Damals habe ich die Grenze nicht nur gesehen, sondern erlebt. Ich habe gespürt, welche Angst diese Zäune machen. Ich habe erlebt, wie sie Familienangehörige voneinander trennt, die sich sehr gemocht haben und doch nur sehr selten sehen konnten. Als Kind habe ich staunend vor Warteschlangen an Geschäften gestanden und war völlig überrascht, dass man den ganzen Tagesplan umwirft, weil ein Nachbar gehört hat, dass es irgendwo Kaffeemaschinen zu kaufen gibt.

Ich glaube, wer das nicht erlebt hat, kann sich nicht wirklich vorstellen, was die Teilung Deutschlands bedeutete. Und unserer Familie ging es ja verhältnismäßig gut.

Als vor nun schon mehr als 30 Jahren die Mauer fiel, war die Freude groß. Sie hatte 28 Jahre gestanden, und die Auswirkung der Trennung spüren wir bis heute.

Gewalt ist keine Lösung!

Oft wurde seitdem auch von der „Mauer in den Köpfen“ gesprochen. Einigen Menschen fällt es bis heute schwer, nicht in den Kategorien „Ost“ und „West“ zu denken. Das Bewusstsein, aus dem Osten des Landes zu kommen, hat viele Generationen geprägt. Viele jüngere Menschen fühlen sich benachteiligt und zum Teil verklären sie das Zusammengehörigkeitsgefühl aus DDR-Zeiten.

Ich denke, es ist wichtig, sich an die Teilung Deutschlands zu erinnern und die Erinnerung wach zu halten, dass Gewalt nie eine Lösung ist. Auch nicht die gewaltsame Begrenzung von Freiheit und Freizügigkeit. Und auch die Mauern in den Köpfen müssen immer weiter abgebaut werden.

In der Bibel heißt es „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern“ (Psalm 18,30). Daran glaube ich: Gott hilft uns Barrieren zu überwinden, um Begegnung zu ermöglichen. Und besonders diejenigen, die erlebt haben, wie schrecklich eine Mauer sein kann, werden sich dafür einsetzen, dass keine Mauern oder Zäune mehr Menschen trennen.

 

 

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