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Im Himmel bloß Donnern helfen...
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Im Himmel bloß Donnern helfen...

Christoph Schäfer
Ein Beitrag von Christoph Schäfer, Katholischer Religionslehrer, Rüsselsheim
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Heute geht’s hier bei hr1 ja um die Wahrnehmung, dass unsere Gesellschaft immer mehr gespalten ist – in Arm und Reich zum Beispiel. Als ich davon gehört hab, ist mir sofort der hessische Schriftsteller Georg Büchner eingefallen. Obwohl er vor fast 200 Jahren gestorben ist. Aber ich hab gerade eine packende Biografie über ihn gelesen – und anschließend einige seiner Werke. Die Biografie erzählt drastisch, wie es zwischen Gießen und Darmstadt zuging: Anfang des 19. Jahrhunderts war man von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit weit entfernt. Es herrschte große wirtschaftliche Not in weiten Teilen der Bevölkerung, mit den Steuern der Landbevölkerung wurden die Reichen finanziert.  Aber über diese Ungerechtigkeit und Not sprechen oder schreiben durfte man nicht, das war ein Tabu.
An diesem Tabu hat Georg Büchner mit einer kritischen Flugschrift so heftig gerüttelt, dass man ihn polizeilich gesucht hat. Zugegeben: Manche seiner Forderungen find ich heute befremdlich – nach den historischen Erfahrungen mit totalitären sozialistischen Regimen. Büchner war nämlich so verzweifelt über die Verhältnisse, dass er radikale Umsturzpläne hatte. Aber er hatte auch einen sehr sensiblen Blick: für die so genannten kleinen Leute. Seine Texte haben mir mal wieder für das Thema „soziale Gerechtigkeit“  die Augen geöffnet.
Wie kriegt das Büchner mit seinen 200 Jahre alten Texten hin? Ich finde: Er schreibt nüchtern, aber nicht kaltherzig. So werden seine Figuren lebendig. Eine Stelle in seinem Drama „Woyzeck“ hat sich bei mir besonders festgehakt. Der bitterarme Soldat Woyzeck ist so hoffnungslos, dass er über arme Leute wie sich selbst sagt: „Ich glaub, wenn wir in Himmel kämen, so müssten wir donnern helfen.“ Woyzeck ist übrigens nicht mit dem Kitsch-Weichzeichner als purer Sympathieträger gestaltet: Er verstört Freunde und Familie. Begeht einen Mord. Trotzdem ist er kein Unterschichts-Monster, das in Reality-Manier vorgeführt wird, um Sensationsgier zu befriedigen und eher Arroganz als Mitleid zu erzeugen.
Büchner hat mich wieder mal aufgeweckt, was „soziale Gerechtigkeit“ betrifft: Ich unterstütze mit neuem Schwung ein Projekt für sozial benachteiligte Kinder. Ich gehe auch an Bettlern nicht mehr so leicht einfach vorbei – mit dem Selbstberuhigungs-Argument, dass sie doch nur das Geld für Alkohol ausgeben. Das macht meinen Alltag nicht unbedingt einfacher. Aber ich fühle mich auch wieder lebendiger und nicht so sehr „unter einer gutbürgerlichen Käseglocke“ wie vorher.

 

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