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hr4 Gottesdienst an Ostermontag aus der ev. Christuskirche in Frankfurt-Nied
Kohlhepp/Ev. Medienhaus d. EKHN

hr4 Gottesdienst an Ostermontag aus der ev. Christuskirche in Frankfurt-Nied

Dr. Annegreth Schilling
Ein Beitrag von Dr. Annegreth Schilling, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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10.04-11.00 Uhr

Seelsorgerinnen und Seelsorger am Telefon nach dem Gottesdienst

Predigt von Pfarrerin Dr. Annegreth Schilling im hr4 Ostermontaggottesdienst 2020  

Heute ist der zweite Tag, an dem wir Ostern feiern, liebe Hörerinnen und Hörer von hr4.  Feiern? Ja, heute will ich mit Ihnen das Leben feiern. Aber auch von den Ängsten muss ich an diesem freudigen Tag reden: davon, dass Menschen wegen des Corona-Virus um ihr Leben bangen, davon, dass seit Wochen Viele isoliert sind von ihren Familien, davon, dass einige Angst haben, ihr Geschäft aufgeben zu müssen und nicht mal mehr ihre Miete bezahlen können. An diesem besonderen Osterfest im Jahr 2020 frage mich: Wie kommen wir von der Angst zur Hoffnung?

Beim ersten Ostern war erst mehr Angst als Hoffnung

Ich fühle mich den Menschen nahe, von denen in der Bibel erzählt wird, dass sie am frühen Ostermorgen zusammen sind. Jesus war hingerichtet worden. Qualvoller Tod am Kreuz. Gestorben und begraben. Aus und Ende. Traurig waren sie, die Frauen und Männer. Ich stelle mir vor, wie sie in einem Raum saßen: in sich zusammen gesunken, mit leere Blicken. Blicke, die nichts mehr erwarten: Wozu noch leben? Es wird doch eh alles nur schlechter. Jesus ist tot. An Rettung nicht mehr zu denken. Mit ihm ist auch ihre Hoffnung gestorben. Die Hoffnung, dass alles nochmal gut wird. Die Hoffnung auf eine gute Zukunft. In der Ostergeschichte, die wir vorhin gehört haben, passiert etwas Unglaubliches: Unmerklich und plötzlich steht Jesus im Raum. Er war auf einmal da. Mitten unter denen, die die Hoffnung verloren haben. Mitten unter den, die die Hoffnung verloren haben. Mitten unter uns. Was wir an diesen frühlingshaften und dennoch dunklen Tagen am meisten brauchen, sind Bilder der Hoffnung gegen das Negative, das uns umgibt, gegen alle Trauer, Wut und Verzweiflung: Jesus lebt und will, dass wir auch leben!

Es ist schwer, sich zurzeit am Frühling zu freuen

In diesen Tagen muss ich mich schwer zusammenreißen, um mich am Frühling zu freuen. Sonst fällt es mir leicht: Ich liebe den Duft der Kirschblüten und freue mich über jede Blume, die ihren Kopf aus der brauen Erde rausstreckt. Die vielen Farben, die das Grau des Winters vertreiben – wie schön! Doch durch die Corona-Pandemie liegt über allem ein Schleier. Den Frühling kann ich kaum wahrnehmen, in mir rumort die Frage: Was wird aus uns werden? Diese Frage ist sehr nah dran an der Situation der Frauen und Männer, die den Tod Jesu verarbeiten. Was wird aus uns werden? Jesus tritt plötzlich unter sie und spricht sie an. Er sagt: Friede sei mit Euch. Im biblischen Sinn meint das: Ich wünsche Euch, dass es Euch wohl geht, ihr braucht Euch nicht zu fürchten.

Jesus betritt den Raum und bringt Frieden

Es tut gut, das zu hören. Da kommt einer unmerklich in mein Leben und spricht mir Mut zu. Hilft mir, mir meiner Angst oder mit meiner Trauer umzugehen. Dieser Zuspruch gilt nicht nur jetzt, wo wir uns alle um unsere Gesundheit sorgen, sondern auch sonst: Friede sei mit Dir, du brauchst keine Angst haben.

Wenn in meinem Leben etwas passiert, was ich nie erwartet hätte, dann denke ich manchmal, dass Jesus den Raum betritt, ohne dass ich es merke. Für mich sind solche Momente die echten Osterüberraschungen. Sie passieren ganz unerwartet, nicht nur an Ostern und nicht nur in Corona-Zeiten.

Eine Frau ist gefangen in ihrer Trauer

Ich denke an den Besuch bei einer Frau, Anfang 70. Als Pfarrerin war ich bei ihr kurz nachdem ihr Mann gestorben ist. Nach über 50 Ehejahren. Als ich ins Wohnzimmer kam, starrte die Frau einfach nur an die Wand. Keine Begrüßung, nichts. Es war dieser Blick ins Leere, der nichts mehr erwartet. Sie saß einfach nur da und starrte vor sich hin. Hoffnung auf Leben gab es da nicht mehr. Sie war unsagbar traurig. Wir schwiegen eine ganze Weile. Irgendwann fragte ich sie, was sie gern mit ihrem Mann zusammen gemacht hat. „Wir waren immer gern im Garten. Mein Mann liebte die Rosen. Da blühte er immer auf, wenn er sich um sie kümmerte. Aber das ist jetzt vorbei. Aus und Ende. Über viel mehr konnten wir nicht sprechen. Die meiste Zeit saßen wir einfach nur da. Wir mussten beide aushalten, dass wir eigentlich nichts sagen konnten.

Der Enkel und die Rosen bringen die Wende

Einige Wochen später habe sie noch einmal besucht. Und als Sie mir nicht die Tür öffnete, da machte mir schon Sorgen. Ich ging dann einfach durch das Gartentor und da sah ich sie: gebückt über dem Rosenbeet, eine Schürze umgebunden und eine Harke in der Hand. Als sie mich bemerkte, richtete sie sich auf und rief mir entgegen: „Danke, dass Sie nochmal gekommen sind! Ich mach uns einen Kaffee und dann muss ich Ihnen unbedingt erzählen: Von meinem Enkel, der jetzt jede Woche zu mir kommt. Dann arbeiten wir zusammen im Garten und danach essen wir noch. Das tut mir so gut, nicht immer allein zu sein!“ Die Frau schien wie ausgewechselt. Unglaublich zu glauben, dass sie noch vor wenigen Wochen in sich gekehrt in ihrem Sessel saß.

Die Kontaktsperre wegen Corona trifft hart

In diesen Tagen denke ich oft an die Frau: Denn jetzt kann der Enkel ja gar nicht mehr zu Besuch kommen. Der soziale Abstand ist geboten und wir wissen nicht, wie lange das noch anhalten wird. Für die Frau ist das sicherlich ein großer Verlust. Vielleicht erlebt sie sogar einen Rückfall, wird wieder traurig und ängstlich.

Auch die Jüngerinnen und Jünger haben solche Enttäuschungen erlebt: Denn kaum, dass Jesus nach seiner Auferstehung unter ihnen war, verschwand er wieder. So plötzlich wie er gekommen ist, war er auf einmal wieder weg. Wie können wir mit diesem Wechselbad der Gefühle umgehen?

Die Geschichte von der Frau, die von ihrem Enkel besucht wird, ist dennoch für mich eine Ostergeschichte. Aus einem leeren Blick wird ein Blick der wieder Gutes wahrnimmt. Vielleicht nur zaghaft. Aber sich freut. Wenn ich an diese Geschichte denke, da beginne ich zu glauben, dass die Trauer nicht das Letzte ist, was uns begegnet. Ich beginne zu glauben, dass wir wieder aufgerichtet werden. Dass es eine Hoffnung gibt auch nach Niederlagen und Schmerz. Eine Ahnung, dass mit dem Tod nicht alles endet. Und dass es Hoffnung gibt, auch nach Rückschlägen. Wie das aussehen kann, davon spreche ich nach der Musik – Kompositionen zum Lied „Auf, auf, mein Herz, mit Freuden“.

Alles gut? So einfach ist das nicht

Ostern ist das Fest der Hoffnung. Der Hoffnung, dass am Ende alles gut wird. Zwar sag ich das oft im Alltag: Alles gut! Das stimmt dann für mich im Kleinen. Wenn meine Tochter hingefallen ist und ich sie beruhige. Dann sag ich: Alles gut! Und tröste sie damit. Aber kann ich das auch für unsere Zeit so sagen – und dann auch wirklich glauben?

Ich habe von der Frau erzählt, die nach dem Tod ihres Mannes regelmäßig Besuch von ihrem Enkel bekommt. Jetzt kann der Enkel sie zwar nicht mehr besuchen. Dafür lässt er sich aber viel einfallen, wie er trotzdem für seine Großmutter da sein kann: Er kauft für sie ein und stellt ihr die Lebensmittel vor die Tür. Und er telefoniert mit ihr, und zwar nicht nur einmal die Woche, sondern täglich. Er ist jetzt noch mehr für sie da, als vorher.

Die Corona-Pandemie bringt bei vielen Menschen ihr Bestes hervor

Durch die Corona-Pandemie verändert sich unser Zusammenleben und wir machen neue, heilsame Entdeckungen. Das gibt mir Hoffnung: Da tuen sich Leute zusammen, in den Gemeinden, in Sportvereinen und in der Nachbarschaft, um füreinander da zu sein. Wenn bisher Eltern ihre Kinder versorgt haben, kehrt sich diese Fürsorge jetzt um. Das ist für Viele auch ungewohnt und nicht nur leicht anzunehmen. Aber es ist etwas, was mir Hoffnung macht, dass wir füreinander da sind, aneinander denken und uns damit aus der Angststarre befreien. In unserer Gemeinde legen viele in diesen Tagen ihren Nachbarn und Bekannten einen kleinen Gruß vor die Tür: Auf einer Karte steht der Ostergruß: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.“ Und dazu ein Osterei, oder ein kleiner Schokohase. Ein Hoffnungszeichen in einer Zeit der Unsicherheit. Da durchbricht die Freude den Schleier der Traurigkeit.

Wir kommen wieder dazu, die Nähe zu schätzen -  trotz, oder gerade wegen des erzwungenen Abstands und die auferlegte und nötige Distanz. Wir erleben die Suche nach Formen der Nähe nicht als oberflächliche Geste, sondern als elementare Kraft, von der wir leben: Was bin ich ohne dich? Was sind wir ohne die anderen? Was ist die Menschheit ohne Nähe, ohne Liebe?

Ostern 2020: Wir stehen auf, wie Jesus auferstanden ist

Ostern im Jahr 2020: Wir sind ängstlich, manchmal verzweifelt. Wir erleben Rückschläge. Aber wir finden wieder zurück. Zurück ins Leben. Wir stehen auf, wie Jesus auferstanden ist. Amen.

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