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Der vergessene Gedenktag
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Der vergessene Gedenktag

Dr. Joachim Schmidt
Ein Beitrag von Dr. Joachim Schmidt, Evangelischer Pfarrer, Darmstadt

Nur noch die Älteren werden sich erinnern: Der 13. August war einmal ein Gedenktag. Am 13. August 1961 begannen die Machthaber der ehemaligen DDR in Berlin mit dem Bau einer Mauer zwischen dem Ost- und dem Westteil der Stadt. Daraus wurde für 28 Jahre eine Todes-Grenze durch ganz Deutschland. Bis zum Ende der DDR verloren hier 327 Menschen ihr Leben.

Ungezählte Menschen versuchten damals, die Verbindung nach „drüben“ zu halten, mit Briefen, Paketen und Besuchen, Letzteres fast immer nur von West nach Ost. Auch die Kirchen hatten intensive Partnerschaften zwischen einzelnen Christen, Gemeinden, Landeskirchen und Diözesen.

Damals war ein Ausdruck selbstverständlich, den heute kaum noch jemand ernsthaft gebraucht. Nicht nur in den Kirchen, sondern auch in der Politik sprach man von den „Brüdern und Schwestern“ in der DDR. Es gab irgendwie ein Gefühl: Wir gehören zusammen auch über die tödliche Grenze hinweg.

Nach der Wende 1989 wurde das schnell anders. Man lernte sich näher kennen, und aus den „Brüdern und Schwestern“ wurden die „Ossis“. Die sprachen anders, dachten anders und kamen uns Wessis irgendwie anstrengend vor. Bald brachten meine Söhne härtere Ossi-Witze aus der Schule mit nach Hause als je über die Ostfriesen.

Damals ist mir aufgegangen, warum Jesus einst ausdrücklich von Nächstenliebe gesprochen hat. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, sagte er zu seinen Leuten. Das klingt so einfach, ist es aber nicht. Aus sicherer Entfernung fällt es leichter, meinen Nächsten zu lieben. Anstrengender wird es, wenn er mir näher rückt.
 

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