Ihr Suchbegriff
Es ist Zeit zum Päckchenpacken
Bild: Pixabay

Es ist Zeit zum Päckchenpacken

Dr. Ulf Häbel
Ein Beitrag von Dr. Ulf Häbel, Evangelischer Pfarrer, Laubach-Freienseen

Diese Tage vor Weihnachten sind wie kaum eine andere Zeit im Jahr voller Erinnerungen und Gefühle. Die Gedanken wandern zurück, wie Weihnachten in der Kindheit war. Weihnacht und Kindheit, Erinnerung und Sehnsucht gehören zusammen.

Mir geht das auch so. Eine meiner Kindheitserinnerungen, die zur Weihnachtszeit gehören, will ich Ihnen erzählen. Über sechzig Jahre liegt das zurück. Meine Mutter, mein kleiner Bruder, meine Tante, ihre zwei Kinder und ich lebten damals in einem Dorf im Rothaargebirge. Als Flüchtlinge waren wir am Ende des zweiten Weltkrieges dorthin geraten. Der größte Teil unserer Familie war nach der Flucht in Berlin geblieben. Ob in Berlin oder Hessen, wir alle hatten die bittere Erfahrung gemacht, die Heimat verloren zu haben, und wir alle hatten die Hoffnung, irgendwann dort wieder gemeinsam leben zu können.

Es kam anders. In der Vorweihnachtszeit haben wir Päckchen gepackt. Die schickten wir zu dem Teil unserer Familie, der in der Ostzone lebte; so nannte man damals das russische Besatzungsgebiet Deutschlands, später die DDR, heute die östlichen Bundesländer. „Denen in der Ostzone geht es schlechter als uns“, sagte meine Mutter. Darum packten wir Weihnachtspäckchen für sie. Da konnten wir nicht einfach reintun, was wir wollten. Es war alles vorgeschrieben und wurde in einem beigelegten Inhaltsverzeichnis exakt aufgelistet. Wenn etwas Unzulässiges drin war, wurde das Päckchen an der Grenze beschlagnahmt oder es kam zurück. Ich weiß noch ziemlich genau, was da reinkam: Ein Pfund Kaffee, ein halbes Pfund Kakao, Zahnpasta und Niveacreme, etwas Schokolade und Gewürze, Wolle und Garn. Alles Dinge, die es bei denen „drüben“ nicht gab oder die dort nur schwer zu besorgen waren.

Jedes Stück wurde in Weihnachtspapier eingewickelt. Das war meistens unsere Aufgabe, die der Kinder. Wir malten oder pappten Kerzen oder Sterne darauf. An die Tafel Schokolade kann ich mich gut erinnern. Da schlitzte meine Mutter mit einem Küchenmesser die Verpackung vorsichtig auf. Dann steckte sie einen Zehnmarkschein hinein und machte die Tafelverpackung wieder vorsichtig zu. D-Mark mitzuschicken, war verboten. Ich weiß noch, wie froh wir waren, wenn ein Brief kam, in dem stand: „Das Päckchen ist gut angekommen; danke besonders für die Schokolade.“

„Die sollen wissen, dass wir an sie denken“, sagte meine Mutter. Das habe ich bis heute beibehalten, darum schreibe ich den Anderen in unserer Familie, die nicht an meinem Wohnort leben und die ich zu Weihnachten nicht sehe, eine Karte oder einen Brief – und zwar mit der Hand. Ich finde, dass ein so persönlicher handschriftlicher Gruß eine tiefe und tragende Beziehung zwischen Menschen sein kann – gerade zur Weihnachtszeit. Zu keiner Zeit des Jahres ist der Wunsch nach Verbundenheit untereinander und die Sehnsucht nach Frieden auf Erden so stark.

Die Engel in der biblischen Weihnachtsgeschichte: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden.“ Vielleicht findet der Engelsgesang ein irdisches Echo: im Päckchen an jemanden, an den man denkt, in einem handgeschriebenen Brief, auf einer Karte mit dem Wunsch „Fröhliche Weihnachten“.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren