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Willst Du ein Schiff bauen …
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Willst Du ein Schiff bauen …

Prof. Dieter Wagner
Ein Beitrag von Prof. Dieter Wagner, Oberschulrat i. K. i. R., Künzell
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Immer mehr Getaufte führen eine recht lose Bindung zur Kirche. Und wenn jemand nicht weiß, was eine Kreuzwegstation ist, gilt dies längst nicht mehr als Bildungslücke. Ebenso wenig gehört die Kenntnis biblischer Erzählungen sowie der Ablauf des Kirchenjahres zum allgemeinen Bildungsgut. Nicht wenige bezeichnen sich kokett als „religiöse Analphabeten“. In einer Gesprächsgruppe äußerte sich eine besorgte Teilnehmerin unlängst so: Ich fürchte, dass sich in absehbarer Zeit auch die Ökumene totlaufen wird, weil die wesentlichen Unterschiede zwischen den christlichen Konfessionen nur noch für eine Minderheit von Interesse sind.
Angesichts dieser Situation beobachten nicht wenige kritisch, dass sich seit Jahren das Schwergewicht in offiziellen kirchlichen Stellungnahmen zusehends von der Praxis auf die Theorie verlagert.
Bei allem Verständnis für diese Einschätzung sollten sich die Kritiker in Erinnerung rufen, dass Theorie und Praxis in Wirklichkeit keineswegs einander ausschließende Alternativen sind. Das deutsche Lehnwort „Theorie“ ist vom griechischen theoria abgeleitet. „Theoria“ bedeutet nicht nur ein festliches, kulturelles Ereignis, ein Schauspiel. „Theoria“ bedeutet auch und vor allem Forschung, Untersuchung, Ermittlung, Erprobung. Darüber hinaus bezeichnet der Begriff die aus diesem höchst aktiven Prozess sich ergebenen praktischen Einsichten. Theorie hat also ursprünglich etwas mit Durchblick und dahinter schauen zu tun. Das Gegenstück zu Theorie ist demnach nicht Praxis, sondern Verschleierung und Mystifikation bis hin zu Irreführung und Täuschung.
Es braucht also zunächst eine fundierte, gut durchdachte Theorie, damit das praktische Handeln nicht in die falsche Richtung zielt.
So wichtig also in der gegenwärtigen turbulenten religiösen Situation grundsätzliche kirchliche Lehräußerungen und Lehrhinweise sind, sie sind nicht alles.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine Aussage von Antoine Saint-Exypéry: „Willst du ein Schiff bauen, rufe nicht die Menschen zusammen, um Pläne zu machen, die Arbeit zu verteilen, Werkzeuge zu holen und Holz zu schlagen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem großen, endlosen Meer!“
Ähnliches gilt für den Glauben. Nicht Dogma und Doktrin - so wichtig sie sind - stehen an erster Stelle. Das Grundproblem ist heute ein ganz anderes. Um es in Anlehnung an Antoine de Saint-Exupéry zu sagen: Willst du einen Menschen zum Glauben führen, dann überschütte ihn nicht mit Lehren und erteile ihm keine Lektionen. Rede nicht zu ihm vom Lohn und drohe ihm nicht mit der Strafe, sondern wecke in ihm zuerst das Verlangen nach Gott und die Sehnsucht nach seinem Reich.

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