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Wieviel Abstand braucht der Mensch?
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Wieviel Abstand braucht der Mensch?

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer i. R., Kassel
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Es muss ein erhebendes Gefühl sein, von außen auf die Welt zu blicken: Diese riesige Vielfalt vor Augen zu haben: Milliarden Menschen, noch mehr Tiere, unzähliges Leben – und das alles in der perfekten Form einer Kugel. Normalerweise ist die Welt zu unübersichtlich, um sie zu erfassen. Wir verlieren uns immer wieder in Details, können ja noch nicht einmal das eigene Leben als Ganzes betrachten. Wie sollte das bei der ganzen Welt gehen?

Yuri Gagarin umrundete als erster Mensch die Erde

Heute vor 60 Jahren, am 12. April 1961, wurde der Traum Wirklichkeit, jedenfalls für Yuri Gagarin. An Bord des Raumschiffs Wostok 1 umrundete er die Erde, als erster Mensch konnte er sie aus der Distanz betrachten. Gut anderthalb Stunden brauchte er für die Umrundung. Mit dem ICE kommt man da gerade mal von Frankfurt nach Kassel. Und doch umkreiste er in dieser Zeit unsere komplette Lebenswirklichkeit.

Zum ersten Mal war ein Blick auf den kompletten Erdball möglich

Ich war damals 8 Jahre alt und schwer beeindruckt von der Vorstellung, am Himmel könne jemand herumfliegen und auf uns herabblicken. Inzwischen waren schon mehrere Menschen auf dem Mond, und Raumschiffe landen sogar auf dem Mars.

Der Blick von außen, läßt die Grenzen des Wachstums erkennen

Damals war zum ersten Mal die Sicht auf die ganze Erde möglich, auf das große Ganze. Aus dem All erkennt man, wie eng alles zusammenhängt und voneinander abhängt. Dieser Blick hat dazu beigetragen, ein neues Verantwortungsgefühl für die bedrohte Schöpfung zu entwickeln, die Grenzen unseres Wachstums zu erkennen. Ein paar Jahre später wurde der Club of Rome gegründet, die Keimzelle aller ökologischen Bewegungen.

Globalisierung, Klimawandel und Naturausbeutung - drei Faktoren für die Bedrohung durch Viren

Das liegt nun 60 Jahre zurück. Seitdem ist unsere Erde ist noch enger geworden. Von den Umweltproblemen ist kein einziges wirklich gelöst. Im Gegenteil rückt uns die Not der Natur immer enger auf den Leib. Wissenschaftler betonen, dass auch für die aktuelle Bedrohung durch Viren drei Faktoren verantwortlich sind, nämlich die Globalisierung, der Klimawandel und die Naturausbeutung.

"Ich fühle mich in dieser Corona bedingten Distanz manchmal wie in einem Raumschiff"

Ich weiß: Der Abstand, den Gagarin nehmen durfte, ist ein anderer als der, den wir einhalten müssen. Und doch fühle auch ich mich in dieser Corona bedingten Distanz manchmal wie in einem Raumschiff.  Bei den ersten Anzeichen von Vereinsamung stelle ich mir Yuri Gagarin vor, und versuche, die Erde von außen zu betrachten. Für mich ist sie Gottes gute Schöpfung. Ein wunderbares Geschenk, das wir zu zerstören drohen.

Distanz ist immer ambivalent

Der Abstand erscheint mir dann wie eine Ruhepause, die wir der Schöpfung gönnen: Die Natur darf wieder zu Atem kommen, wir lassen sie für eine Zeit in Ruhe. Und das kommt auch uns Menschen zugute. Distanz ist immer ambivalent: Sie birgt die Gefahr der Vereinsamung in sich, kann Einzelne ausgrenzen und gefährden. Aber sie ist zugleich eine Voraussetzung für innere Ruhe und Sammlung, aus der heraus Verantwortung entstehen kann.

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