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Stille2go
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Stille2go

Marcus Vogler
Ein Beitrag von Marcus Vogler, Leitender katholischer Pfarrer der Pfarrei St. Bonifatius Amöneburger Land

Wenn ich in der Stadt unterwegs bin und es eilig habe, gönne ich mir gerade in der nasskalten Jahreszeit hin und wieder einen Kaffee to go. Obwohl ich weiß, dass es auch für die Umwelt besser wäre, auf einen Wegwerfbecher zu verzichten, siegt dann doch die Bequemlichkeit. Der Vorteil liegt auf der Hand: ich verliere nicht viel Zeit, kann meine geplanten Wege zurücklegen und dabei einen heißen Schluck meines Lieblingsgetränks zu mir nehmen. Kaffee to go ist heutzutage in allen Städten weit verbreitet, wie auch Pizza to go oder Salat to go. In der letzten Woche ist mir in einem Zeitungsartikel „Stille2go“ begegnet. Silke Obenauer, eine evangelische Pfarrerin, verteilt Ohrstöpsel am Bahnhof – klingt banal, ist aber genial. Die Idee hinter Stille2go ist einfach: Reisende am Karlsruher Hauptbahnhof bekommen in den Morgenstunden zwischen 6h und 8h als Symbol von Stille Ohrstöpsel geschenkt und zwar in einer kleinen Karton-Verpackung mit professionellem Design. Die Verpackung ist mit einer Internetadresse bedruckt. Diese bietet die Möglichkeit für einen kurzen Impuls, eine kleine Unterbrechung am Morgen und für Stille. Da die meisten Menschen ein internetfähiges Smartphone bei sich tragen, ist das kein Problem: jeder kann an dem Ort eine kleine Unterbrechung setzten, an dem er sich gerade befindet, egal ob am Bahnsteig, im Zug oder der S-Bahn. Stille zum Mitnehmen. Eine geniale Idee. Das hat auc die erfahren. Sie berichtet davon, dass sich viele Reisende gerne beschenken lassen und sich freundlich bedanken. Jemand sagte spontan: „Das ist genau das, was ich jetzt brauche. Ich bin heute so genervt. Vielen Dank.“

Ich frage mich: Warum kommt das Geschenk der Stille so gut an? Wahrscheinlich, weil es sie nicht mehr ganz so häufig gibt. Beim Einkaufen, beim Autofahren, zuhause beim Kochen – überall Musik, Videos, Fernsehen, Reklamedurchsagen. Die Stille, so habe ich den Eindruck, wird von vielen aus dem Leben verbannt. Wieso eigentlich? Vielleicht weil Stille als bedrohlich empfunden wird. In der Stille komme ich mit mir selbst und meinem Inneren in Berührung. Und plötzlich können Fragen oder unbearbeitete Probleme an die Oberfläche kommen.

Ich erfahre das an mir selbst, wenn ich mich einmal im Jahr zu Exerzitien ins Kloster zurückziehe. Im ersten Moment suche ich irgendeine Ablenkung, will der Stille dadurch regelgerecht entfliehen. Doch nach und nach kann ich die Stille zulassen und ich merke, dass sie mir gut tut. In der Stille komme ich dann auf einmal nicht nur mit mir selbst in Berührung, sondern auch mit Gott. Er lässt sich in der Stille finden.

Die Bibel berichtet uns davon, dass Jesus selbst, sich immer wieder in die Einsamkeit zurückzieht, um in der Stille mit seinem Vater zu sprechen. Oder ganz ohne Worte mit ihm zusammen zu sein und zu beten. In der Stille hört Jesus auf die Worte seines Vaters. Dazu lädt er auch uns ein, wenn er sagt: „Wenn du betest, so gehe in deine Kammer und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird es dir vergelten“ (Mt 6,6). Stille – eine heilsame Unterbrechung mitten im Alltag, die ein kleines Fenster zu einer anderen Dimension von Leben aufschließen kann. Mir persönlich tun diese Zeiten der Stille sehr gut. Hier kann ich Kraft tanken für die vielfältigen Aufgaben in meinem Alltag. Stille2go – gratis und wirklich heilsam. Bestimmt finden Sie heute auch ohne Ohrstöpsel vom Karlsruher Hauptbahnhof eine Gelegenheit Stille zu erfahren.

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