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Ostern in schwierigen Zeiten
Bild: Pezibear/Pixabay

Ostern in schwierigen Zeiten

Tanja Griesel
Ein Beitrag von Tanja Griesel, Evangelische Pfarrerin, Fritzlar
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Ostermorgen. Die Familie versammelt sich am Küchentisch. Vor uns frisches Brot, Eier, Marmelade und Kaffee. Ein ganz normales Sonntagsfrühstück – könnte man meinen. Doch normalerweise wären wir jetzt im Ostergottesdienst und hinterher säßen wir vielleicht noch zum Osterfrühstück im Gemeindehaus zusammen. In diesem Jahr gibt es das alles nicht. Kein frühes Aufstehen, um in der Kirche den Sonnenaufgang zu erleben, um gemeinsam zu singen, zu beten und Abendmahl zu feiern.

Die Maßnahmen zur Bekämpfung des Corona-Virus haben unser tägliches Leben völlig verändert - und auch hohe kirchliche Feiertage bleiben nicht verschont. Wir üben uns seit Wochen in social distancing und beschränken unsere sozialen Kontakte auf das Nötigste. Das trifft unser kirchliches Leben mitten ins Herz. Gottesdienste können nicht wie gewohnt stattfinden. Alte und kranke Menschen dürfen wegen der hohen Ansteckungsgefahr nicht besucht werden. Sogar das Abschiednehmen von unseren Toten ist nur eingeschränkt möglich.

Doch in Krisenzeiten werden auch neue Kräfte mobilisiert. Haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen gerade alles daran, um mit den Gemeindegliedern in Kontakt zu bleiben. Es werden mehr Telefongespräche geführt, es werden wieder Briefe und Karten geschrieben, Sprachnachrichten verschickt. Im Online-Chat kann man sich direkt austauschen. Mitarbeiter organisieren sich in Video-Konferenzen. Es gibt zusätzliche Gottesdienste im Radio und im Fernsehen.

Auf der Webseite unsere Kirchengemeinde finden wir heute eine persönliche Videobotschaft der Pfarrerin. Sie begrüßt uns und stimmt einen Kanon an: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“

Wir stimmen in den Kanon mit ein. Erst leise und zaghaft und dann immer lauter. Wir sind nur zu viert, aber ich fühle mich verbunden mit allen, die wie wir Ostern in diesem Jahr zu Hause feiern. Es kommt nicht auf den Ort oder die Zahl der Menschen an, die zusammenkommen. Gott ist bei uns, auch hier heute Morgen in unserer Familie.

Wir sind nicht allein.

Ostermorgen. Drei Frauen waren es, die sich in aller Frühe auf den Weg gemacht haben, um zum Grab Jesu zu gehen. 

Vor Sonnenaufgang brechen sie auf. Sie haben Salben, Öle und Tücher dabei. Schweigend ziehen sie durch die engen Gassen und Straßen. Dann passieren sie das Stadttor. Ein schmaler, ausgetretener Pfad führt sie bergan. Sie gehen hintereinander, den Blick auf den Boden gerichtet. Langsam steigen sie höher. Der Weg ist uneben. Überall liegen Steine. Sie müssen vorsichtig sein, wo sie hintreten. Obwohl sie in der Nacht kein Auge zugetan haben, sind sie hellwach. Aber wer könnte schon schlafen nach dem, was passiert ist? Jesus ist tot. Die Jüngerinnen und Jünger haben sich in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Verlassen und einsam fühlen sie sich.

Die Gemeinschaft fehlt ihnen – und der lebhafte Austausch. Sie lauschten gebannt, wenn Jesus predigte, sie stellten Fragen, diskutierten, wollten begreifen, was er meinte, wenn er vom Reich Gottes sprach. Frieden und Wohlstand werden sich darin ausbreiten, Krankheit und Tod gebannt sein. Diese neue Welt, sagte Jesus, wächst schon jetzt. Wie ein Samenkorn ist sie gepflanzt. Ihr seht es nur noch nicht. - - Was wird jetzt aus dieser Saat?
All ihre Hoffnung ist mit dem Mann am Kreuz gestorben. Ihnen bleibt nur noch dieses eine gemeinsame Ziel: Sie wollen den toten Körper mit duftenden Ölen und Salben einreiben. Wie einen König wollen sie Jesus verabschieden. Das ist er ihnen wert.

Langsam färbt sich der Himmel über den drei Frauen Morgenrot. Die dunklen Schatten lösen sich auf. Die Frauen können nun die Felsen sehen. Vor ihnen liegt die Höhle, in die Jesus gebracht wurde. Als erstes fällt ihnen auf, dass der Eingang nicht verschlossen ist. Die Frauen gehen schneller. Dann bleiben sie abrupt stehen. Sie schauen sich um. Sie sehen sich an. Die Grabhöhle ist leer. Sie ist leer! Was sollen jetzt noch die teuren Öle und Salben? Es ist kein Leichnam da, dem sie damit etwas Gutes tun könnten. Es dauert eine Weile, bis sie das einordnen können. Den Weg zurück laufen sie mit wehenden Gewändern. Die Grabhöhle war nicht das Ende ihres Weges. Es war der Anfang.

Die drei Frauen in der biblischen Geschichte haben eine Verwandlung durchgemacht. In Angst und Sorge sind sie losgezogen. Voller Freude und Hoffnung laufen sie nach Hause zurück. Sie wissen nun: Die Saat, die Jesus gesät hat, ist aufgegangen. Das Grab ist leer. Der Tod ist besiegt.

So wie die Frauen wünsche auch ich mir nichts sehnlicher als eine Verwandlung. Ich wünsche mir, dass aus Angst und Sorge wieder Freude und Hoffnung werden.

Die Videobotschaft unserer Pfarrerin ist noch nicht zu Ende. Sie entzündet die Osterkerze und stellt sie auf den Altar in der leeren Kirche. Wir folgen ihrem Beispiel, holen eine Kerze und zünden sie an. Dann spricht die Pfarrerin ein Gebet. Beim Vaterunser stimmen wir mit ein. Auch wenn wir bei uns zu Hause am Tisch sitzen, vor uns die warmen Kaffeebecher, breitet sich eine feierliche Stimmung unter uns aus.

Die Handykamera der Pfarrerin zeigt jetzt den Baum vor der Kirche. An seinen Zweigen hängen unzählige Papierschmetterlinge. Der Schmetterling steht für die österliche Verwandlung. Vor vielen Jahren wurde in einer katholischen Kirche das Altarkreuz samt der aus dem Mittelalter stammenden Jesusfigur restauriert. Dabei hat man im Hinterkopf des Gekreuzigten einen Hohlraum gefunden. Dort versteckt befand sich ein Schmetterling – wunderschön, wie ein Schmuckstück aus feinem Gold und Silber gearbeitet, mit Perlen als Fühlern und Flügeln aus Emaille. Auf dem Leib des Schmetterlings sieht man den gekreuzigten Christus mit wallendem Haar. Dieser Fund zeigt, dass der Schmetterling schon lange vor unserer Zeit als christliches Symbol für die Auferstehung angesehen wurde.

Warum gerade ein Schmetterling? Weil er nicht als solcher geboren wird. Erst ist er eine Raupe. Nach einer ganz bestimmten Zeit verpuppt sich die Raupe in einem Kokon. Am Ende schlüpft der Schmetterling. Etwas Neues und Schönes ist daraus hervorgegangen.

Wir werden es erleben: Nach dem langen Winter fliegen sie wieder, die Schmetterlinge.

Auch wir befinden uns gerade verpuppt - wie in einem Kokon. Wir sind zu Hause eingekapselt und auf uns selbst zurückgeworfen. Das fühlt sich ein bisschen so an wie ein sehr langer Winterschlaf. Obwohl es doch draußen schon Frühling wird, müssen wir noch aushalten. Irgendwann werden auch wir wieder „fliegen“ und unseren üblichen Gewohnheiten nachgehen können. Wir werden uns wieder mit Freunden treffen. Wir werden unsere Familien besuchen. Wir werden gemeinsame Gottesdienste in der Kirche feiern. Das Leben geht weiter.

Das, was an Ostern geschehen ist, kann sich immer wieder, auch im Kleinen, ereignen. Und obwohl wir Ostern heute nicht in der großen Gemeinschaft feiern und auf vieles verzichten müssen, hege ich die Hoffnung, dass wir verwandelt aus dieser Krise hervorgehen werden.

„Frohe Ostern!“, wünscht uns die Pfarrerin und sagt, dass jeder, der an dem Baum auf dem Kirchhof vorbeikommt, sich einen der bunten Papierschmetterlinge mit nach Hause nehmen dürfe. Wir beschließen, heute selbst Schmetterlinge zu basteln und sie mit Ostergrüßen an die zu schicken, die wir in diesem Jahr an Ostern nicht besuchen können.

Frohe Ostern, wünschen auch wir uns gegenseitig. Lasst uns das Leben feiern. Das Leben, das stärker ist als der Tod. Frohe Ostern!

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