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Kurt Marti
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Kurt Marti

Andrea Maschke
Ein Beitrag von Andrea Maschke, Katholische Pastoralreferentin in Bad Homburg / Friedrichsdorf
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Vor drei Jahren starb hochbetagt, mit 96 Jahren, der Schweizer Dichter und evangelische Pfarrer Kurt Marti. Gestern war sein Todestag. Es gibt ein kurzes Gedicht von ihm, das mich durch meine Jugend und die jungen Erwachsenenjahre begleitet hat, in den 80ern und frühen 90er Jahren. Noch heute kann ich es sofort hersagen:

Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin
und niemand ginge, um zu sehen,
wohin man käme,
wenn man ginge.

Diese Zeilen haben damals nicht nur mich beeindruckt, sondern auch viele meiner Freundinnen und Freunde. Wir haben uns diesen Spruch, zwar nicht ins Poesiealbum, - da waren wir schon drüber weg, -  aber unter so manchen leidenschaftlichen, engagierten Brief geschrieben.

Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin
und niemand ginge, um zu sehen,
wohin man käme,
wenn man ginge.

„Na los,“ wollten wir damit sagen, mach schon, „lass uns schauen, was passiert, wo wir rauskommen, wenn wir uns auf den Weg machen!“ Das passt schon sehr zum jugendlichen Aufbruch. ;-)

Wenn meine jüngeren Kolleginnen und Kollegen sagen, etwas sei „ja total 80er Jahre“, dann ist das meistens eine harsche Kritik, die sagen will, vergiss den alten Kram, heute spielt die Musik. Und tatsächlich klingt die Frage „Wo kämen wir denn hin?“ sehr altbacken, ein bisschen wie „Was sollen denn die Leute dazu sagen?“

Wo kämen wir denn hin, wenn sich was ändern würde und nicht alles beim Alten bliebe? So gestellt scheint die Frage gar nicht mehr so 80er, sondern ziemlich aktuell:

Wo kämen wir denn hin, wenn wir keine Waffen mehr exportierten, oder wenn wir wirklich aus der Kohle ausstiegen?

Wo kämen wir hin, wenn in der katholischen Kirche Frauen gleichberechtigt wären und z.B. auch geweiht würden oder wenn die Menschenrechte weltweit wirklich für alle gleich gelten würden?

Wo kämen wir denn hin, wenn die, die in der Politik was zu sagen haben, auf die Stimme der protestierenden Jugendlichen von Friday for future hören würden?

Die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen. Und mit ein bisschen Fantasie lassen sich im Gegenzug augenzwinkernd auch Fragen formulieren, die wirklich aus den 80ern sind und längst Vergangenheit -

Wo kämen wir denn hin, wenn ich in Sekundenschnelle Informationen in die ganze Welt schicken könnte?

Wo kämen wir hin, wenn der Bundeskanzler eine Frau wäre?

Wo kämen wir hin, wenn es wieder ein Deutschland gäbe statt zwei?

Wo kämen wir hin, wenn Homosexuelle heiraten könnten?

Da wird klar: es gibt keine ganz vorhersehbaren Wege. Der Weg entsteht, Schritt für Schritt beim Gehen.

Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin
und niemand ginge, um zu sehen,
wohin man käme, wenn man ginge.

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