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Gegen den Hass

Gegen den Hass

Stefan Herok
Ein Beitrag von Stefan Herok, katholischer Pastoralreferent i.R. in der Pfarrei St. Bonifatius, Wiesbaden
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Guten Morgen und einen schönen Sonntag!

Was mich immer und immer wieder beschäftigt in den letzten Wochen und Monaten, so sehr, dass ich Sie auch hier am frühen Sonntagmorgen nicht davor verschonen kann, ist die Stimmung in unserem Lande: auf den Straßen, im Internet und in der Gesellschaft überhaupt. So viel Bitterkeit, Hass, unverhohlene Gewalt - mit Worten wie mit Taten. Und oft sind völlig unbeteiligte Menschen davon betroffen, werden Opfer… Nur weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort sind. (Wie Mitte Dezember ein städtischer Mitarbeiter in Köln. Vor einer Wohnungstür erstochen, wo er eine Gebühr nachfordern sollte.)

Oder diese extrem gestiegene Aggression gegen Helfer und Einsatzkräfte! Das kann man doch nur krank nennen. Verrückte gab es schon immer, mag mancher einwenden. Aber ich glaube nicht, dass es nur der „mediale Brennspiegel“ ist, der mir das Bild vergrößert und heranzoomt. Für mich ist es deutlich mehr geworden. Die Verrohung wächst und der Pegel der Menschenverachtung steigt. Wo kommt dieser Hass nur her? Und wichtiger noch:

Was kann man gegen ihn tun?

Mit dem heutigen Sonntag ist Weihnachten nun knapp drei Wochen vorbei und Neujahr keine vierzehn Tage…

Ach, ich wünschte mir so sehr, es würde etwas mehr übrig bleiben von diesen Feiertagen!

Sie werden schon ahnen, dass ich nicht den Weihnachtsspeck meine, der natürlich noch auf den Hüften hängt, weil die Gans und Omas Vanillekipferl wieder so vorzüglich waren…

Es geht mir nicht ums Kulinarische oder um materielle Dinge, sondern mehr ums Ideelle.

Mit Blick auf Neujahr wird das noch mal deutlicher. Wie steht es um die guten Vorsätze vom Jahresanfang? Wir haben angestoßen miteinander und uns „Prosit Neujahr!“ gewünscht. Das heißt: Es möge nützen und hilfreich sein. Ist davon noch etwas übrig? Oder alles verraucht und verflogen mit den Silvesterraketen? Ernüchterung eingekehrt mit der Katerstimmung des Alltags. Und es war ja vielleicht sowieso nicht so ernst gemeint. Typisches Lippenbekenntnis des stimmungsvoll aufgeheizten Augenblicks. Manche Leute mögen sich ja schon überhaupt nichts mehr vornehmen, weil sie denken, das klappt ja alles doch nicht mit den guten Vorsätzen…

Ich finde das schade. Denn ich glaube, als einzelne wie als gesamte Gesellschaft bräuchten wir ausgesprochen dringend das Hoffnungspotenzial der großen Augenblicke, in denen wir besonders angerührt sind und etwas empfindsamer als sonst. Das gilt für mich gerade auch angesichts der zunehmenden Hassmomente im Lande.

Und von Weihnachten? Was ist es, was von Weihnachten übrigbleiben könnte, wenn man nicht an Materielles denkt?

Natürlich wünschte ich mir als Kirchenmann, dass viele Menschen an Weihnachten auch ein bisschen intensiver der Spur nachgingen, dass es sich um das Geburtstagsfest dieses Jesus aus Nazaret handelt. In seiner Spur von Nächstenliebe und Gewaltlosigkeit wäre natürlich eine Menge Energie gegen den Hass zu aktivieren.

Aber ich möchte hier heute Morgen eine weihnachtliche Haltung in Ihren Blick rücken, die gar nicht speziell christlich ist, sondern einfach nur fundamental menschlich. Und ich möchte Sie ermuntern, dieser Haltung weit über Weihnachten hinaus ganz aktiv mehr Raum zu geben. Es geht um die Freude

Jetzt komme ich zu meinem Kernpunkt und gleichzeitig ein bisschen ins Stammeln, weil es leicht schief gehen kann, was ich jetzt sagen will. Es klingt schnell moralisierend. Das soll es aber nicht.

Wenn Weihnachten gut und nicht zu stressig gelaufen ist, dann haben wir – eben unsere Liebsten – Familie, Freunde, Nachbarschaft – einander Freude gemacht. Wir haben uns beschenkt und miteinander gefeiert. Der äußere Anlass ist Weihnachten. Der tiefere Grund ist, dass wir uns mögen, vielleicht sogar lieben, glücklich sind, uns zu haben. Im Schenken und Feiern zeigen wir es uns. Und wenn die Erfahrung toll und das Gefühl groß und schön ist, dann strahlt es sichtbar aus uns heraus.

Kinder können – wenn sie nicht gerade „verwöhnte Ego-Monster“ sind – Freude oft besser zeigen als wir Erwachsene; Frauen meistens noch ein bisschen besser als wir Männer. Alle könnten wir, so glaube ich, im Freudenausdruck noch stärker und intensiver werden. Wohlgemerkt, nicht mit moralischem Zeigefinger gesagt, sondern als fröhliche Einladung. Echte Freude lässt uns strahlen und ein bisschen schweben.

Echte Freude ist ansteckend. Und - sie relativiert unsere Sorgen und Nöte. Wer ein „aktives Freudenkonto“ führt, hat einen höheren Frustwiderstand und er findet tatsächlich leichter Lösungen für seine Probleme. Denn auf unserer „Seelenwaage“ wirken sich dann nicht nur die negativen Kräfte aus, wie bei denen, die wir heute „Wutbürger“ nennen. So ist die Strahlkraft der Freude, die Wucht des Glückes die wirksamste Gesellschaftsmedizin gegen den Hass!

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich wünsche mir keine Dauergrinser und Problemweglächler! Bei wem wirklich die „Galle voll ist“, da müssen Wut und Ärger raus, die Probleme auf den Tisch und die Übel und ihre Täter beim Namen genannt werden. Aber wo uns das Leben gelingt und wo uns die Liebe glückt, da könnten wir ruhig – ohne Protz und Arroganz – ein bisschen mehr davon zeigen und damit der allgemeinen Bitterkeit, die den Hass gebiert, etwas entgegensetzen.

Und da hoffe ich mal, ist doch vielleicht auch bei Ihnen noch einiges an echter Weihnachtsfreude übrig, die sich sehen lassen könnte – oder? Darüber hinaus habe ich aber gleich noch zwei weitere sehr konkrete Vorschläge gegen den Hass…

Ein wesentlicher Ausdruck erlebter Freude ist für mich die Dankbarkeit. Ich weiß, schon wieder so ein leicht moralisierbares Minenfeld, weil wir früher oft zur Dankbarkeit gezwungen wurden.

Ich persönlich hatte z.B. gerade angefangen, mir die Zeichen der Dankbarkeit im Straßenverkehr gänzlich abzugewöhnen. Ja, ich war drauf und dran, mich der allgemeinen Rücksichtslosigkeit dort mehr oder weniger anzupassen: Jemanden vorlassen? Ich doch nicht! Mich bedanken, wenn jemand auf sein Vorrecht verzichtet? Wieso? Bei mir bedankt sich doch auch keiner mehr!

Dann ist mir aber klargeworden: Diese zunehmende Rohheit und Aggressivität im Straßenverkehr entsprießt demselben Sumpf und Abgrund, wie der Hass und die Bitterkeit, die mir gesamtgesellschaftlich ja gerade so übel aufstoßen. Und seitdem bedanke ich mich wieder, egal, ob es die anderen auch machen oder nicht. Und ich bemühe mich um bisschen mehr Freundlichkeit auf der Straße.

Und ich möchte Ihnen die starke Facebook-Internet-Initiative #Ich bin hier vorstellen:

Nach einem schwedischen Vorbild kontern und entern Mitglieder dieser Facebook-Gruppe Hasskommentare im Internet, setzen zivile Sprache dagegen und ermuntern zu mehr Fairness, Sachlichkeit und Humanität. Und mit der Zahlenstärke ihrer Anhängerschaft, die die Kommentare dann liken, schaffen sie ein positives Gegengewicht zu den Hasspostings, so dass diese sich nicht mehr so schnell und intensiv verbreiten können. Für mich höchst eindrucksvoll und wirksam. Klicken Sie mal rein. Vielleicht mögen auch Sie es unterstützen:

#Ich bin hier.

Der Name dieser Initiative führt mich Kirchenmenschen dann doch noch mal inhaltlich auf Weihnachten zurück: „Oh komm, oh komm, Immanuel“, singt ein berühmtes Adventslied. Immanuel ist ein anderer Name, ein anderes Wort für Gott. Übersetzt heißt das „Gott ist mit uns“.

Es verweist auf den ältesten Namen, mit dem Gott sich im Alten Testament dem Stammvater Mose am „brennenden Dornbusch“ offenbart hat, als dieser ihn fragte, wie er denn heiße. Darauf antwortet Gott: Ich bin der ‚Ich bin da‘! Genau das haben wir an Weihnachten gefeiert: Gott sagt und zeigt: Ich bin da! Für Euch! Bei Euch! Als Liebe. Als Frieden.

Das also ist mein intensiver Wunsch für dieses junge Jahr 2020:

Entweder mit der weihnachtlichen Glückskraft von Freude, Liebe und Dankbarkeit oder mit #Ich bin hier – setzen wir bitte Zeichen gegen den Hass!

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