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Der adventliche Sound von Stille und Dunkelheit
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Der adventliche Sound von Stille und Dunkelheit

Stefan Herok
Ein Beitrag von Stefan Herok, katholischer Pastoralreferent i.R. in der Pfarrei St. Bonifatius, Wiesbaden
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Guten Morgen und einen schönen Sonntag!

Heute ist der dritte Advent. Wie rasch doch die Zeit vergeht! Und gleichzeitig steht sie irgendwie still. Jedenfalls empfinde ich das so, seit uns die Pandemie einen zweiten Winter lang fest in ihren Klauen hält. Leben wie mit angehaltenem Atem. Wir genießen schon daheim die besinnliche Ruhe am Adventskranz, eine Kerze nach der anderen. Ein Glück, dass wir es so gut miteinander aushalten und uns die Nähe im Laufe der Jahre nie zu viel wurde. Aber um den Adventskranz herum mal wieder mehr Freunde einzuladen und sie herzhaft in die Arme nehmen zu können, das wünschen wir uns doch auch sehr!

Gleichzeitig gehetzt und ausgebremst

Rasende und stillstehende Zeit! In ein solches widersprüchliches und auch absurdes Gefühl des gleichen Augenblicks fühle ich mich zurzeit oft eingespannt, echt in der Klemme. Ich könnte auch sagen: Von den Dingen des Lebens gleichzeitig gehetzt und ausgebremst, so gejagt - wie festgenagelt. Ich weiß nicht, ob Sie das nachfühlen können und verstehen, was ich meine…

Bewegung und Ruhe abwechselnd gern – aber nicht gleichzeitig

Im normalen Leben mag ich eigentlich beides, aber eben nicht gleichzeitig: Ich mag es, wenn der Alltag manchmal so bewegt und gefüllt ist, dass die Zeit nur so verfliegt und ich – zwischen gebannt und atemlos - viele tolle Sachen erleben kann. Auf der anderen Seite habe ich es gern, wenn dann die Zeit auch mal stehenbleibt. Ich werde äußerlich wie innerlich ruhig, atme durch, komme zur Besinnung. Ich lausche dann dem, was zwei tolle Musiker mal so besungen haben:

Musik 1: Simon & Garfunkel – Sound of Silence („And the vision that was planted in my brain / Still remains, within the sound of silence“)

Wundervoll, auch mal die zarten Geräusche der Stille wahrzunehmen

„Sound of silence“. Ein berühmter Popsong, der mir diesjahr unversehens zum AdventsLied wird… Ja, ich lausche dann – dem „Klang der Stille“. Für mich etwas wundersam Eigentümliches, dieser „Klang der Stille“. Geräuschmäßig ist er kaum zu fassen: manchmal wie ein Rauschen in meinem Kopf oder wenn ich den eigenen Pulsschlag wahrnehme. Aber auch die RestGeräusche um mich herum können dazu gehören: Ein leises Knarren und Knacksen im Haus. Etwas von draußen: ein Wintervogel, ein sich entfernendes Auto, Gesprächsfetzen von Spaziergängern auf der Straße… Selbst das Flackern der Kerzen auf dem Adventskranz macht manchmal ein feines Geräusch. Zum „Klang der Stille“ gehört die Musik, die in meinem Herzen schwingt, ganz ohne Töne; gehören Gedanken, die mir durch den Kopf gehen, ganz ohne Worte. Zum „Klang der Stille“ gehört auch das sanft reibende HautGeräusch, wenn meiner Partnerin Hand sich in meine legt oder über meinen Nacken streicht. Das sind für mich Momente, da steht die Zeit still. Und die genieße ich eben so sehr, wie die ganz anderen Momente, in denen bei mir - wie man so sagt - „der Bär steppt“.

Momentan bestimmen Andere, wann es rast oder stockt

Durch manchen unfreiwilligen Stillstand dieser trotzdem „unruhigen“ Zeiten entsteht in mir dieses weniger schöne Gefühl von gleichzeitig „rasender wie stockender Zeit“. Ich bin es einfach nicht gewohnt, dass andere darüber bestimmen, ob bei mir jetzt Bewegung angesagt ist oder Ruhe. Und ich glaube, damit bin ich nicht allein.

Viele empfinden ein zunehmendes Moment der Fremdbestimmung

Dieses zurzeit wieder zunehmende Moment der Fremdbestimmung scheint – so nehme ich es wahr – für nicht wenige Menschen in unserer Gesellschaft heute so unerträglich, dass sie sich nicht an noch so sinnvolle und nötige Regeln halten wollen. Sie werden sauer und wütend. Sie müssen Fakten leugnen und sich verweigern, z.B. dem Impfen oder anderen angezeigten Haltungen sozialer Solidarität. Das alles mache ich nicht. Aber ich glaube, ich kenne das dahinterliegende Gefühl…

Vielleicht hilft es, mit der Dunkelheit ins Gespräch zu kommen

Seit mir das klar wurde, versuche ich dieser unguten Spannung von „rasender und stockender Zeit“ bewusst zu entkommen. Wie ich das mache? Noch einmal meine beiden Sänger:

Musik 2: Simon & Garfunkel – Sound of Silence („Hello darkness, my old friend; I've come to talk with you again; Because a vision softly creeping“)

„Hallo, Dunkelheit, meine alte Freundin! Ich komme, um mal wieder mit dir zu reden, weil mich da eine Vision beschleicht…“ Mit der Dunkelheit ins Gespräch kommen, was für eine starke Idee und sehr mutig! Mit der Dunkelheit um mich herum, in Welt und Gesellschaft zu sprechen beginnen und mit der Dunkelheit, die in mir ist und sich meiner zu bemächtigen versucht. Das ist für mich Advent: mit der Dunkelheit ins Gespräch kommen. Auf dass dadurch für mich und andere vielleicht ein Licht aufgehen könnte. Ein erstes kleines, dann ein zweites, heute ein drittes Licht in alle unsere Dunkelheiten.

Mich dem Dunklem zu stellen, kann helfen andere Haltungen zu verstehen

Konkret bedeutet dies, mich den Dingen zu stellen, mich zu konfrontieren mit allem, was für mich schwer ist, unverständlich, finster. Vielleicht lerne ich dadurch mehr zu verstehen, gerade von den anderen Haltungen und Gedanken, die mir so fremd sind. Vielleicht kann ich dadurch auch andere dazu anregen, ebenfalls das Gespräch mit ihren und unseren Dunkelheiten zu suchen. Vielleicht kann dadurch Erkenntnis wachsen und positive Vision, wie das Licht auf dem Adventskranz.

Schmerzhafte Realitäten, die ich nicht ändern kann, anzuerkennen

Sich den Dunkelheiten zu stellen, heißt für mich auch, schmerzhafte Realitäten anzuerkennen, vor allem, wenn ich sie nicht ändern kann. Sie zu leugnen, macht alles nur schlimmer, lässt die Dunkelheit wachsen, nicht das Licht.

Zur Freude kann man einladen, sie aber nicht befehlen

Das Licht des heutigen dritten Advents setzt – in der Tradition der christlichen Kirchen - einen ganz besonderen Akzent gegen unsere äußeren und inneren Dunkelheiten. Es ist eine Einladung, ja geradezu eine Aufforderung, die u.U. als zu schnell und oberflächlich dahergesagt erscheinen kann. Sie wirklich anzunehmen, bzw. umzusetzen fällt dagegen gar nicht so leicht. Jedenfalls mir. Der dritte AdventsSonntag heißt im KirchenSprech: „Gaudete“. Übersetzt bedeutet das: „Freuet Euch!“ Grammatisch ein Imperativ, also Befehlsform. Aber Freude kann man nicht befehlen. Abgesehen davon, dass Kirchen heute weder das Recht noch die Macht haben, irgendetwas zu befehlen, zur Freude kann man vielleicht auffordern, besser noch: einladen.

Weihnachtsglitzer hilft nicht gegen das Dunkle wütender Seelen

Freude als adventliches Licht gegen unsere Dunkelheiten, als weihnachtlicher Schlüssel, den verrückten Zwängen „rasender wie stockender Zeit“ zu entkommen. Wie kann das gehen? Klar, das glitzernde, klingelnde Warenparadies goldener Weihnachtswerbung bietet da ganz hübsche Dinge feil; und ich bin kein bisschen gegen Weihnachtsgeschenke. Aber gegen die Dunkelheiten trauernder wie wütender Seelen hilft das, glaube ich, nicht…

Aufeinander zugehen, auf dass nicht Dunkel sondern Licht um uns wächst

Vielleicht noch ein letztes Mal meine beiden Sänger. Nicht wortwörtlich, aber doch wie ich ihren poetischen Text deute: Einander ein paar Worte schenken, selbst auf die Gefahr hin, sie könnten als Belehrung wirken. Echte Worte, die keine „leeren Worte“ bleiben. Hören, das ein echtes Zuhören wird. Lieder, in die man einstimmen mag. Vor allem aber einander den Arm, die Hände reichen, auf dass wir uns zu erreichen vermögen, innerlich berühren. Auf dass nicht die Dunkelheit und die Stille in und um uns herum wächst, sondern das Licht...

Ich wünsche einen leuchtenden, still klingenden dritten Advent!

Musik 3: Simon & Garfunkel – Sound of Silence („Silence like a cancer grows; Hear my words that I might teach you; Take my arms that I might reach you; But my words, like silent raindrops fell; And echoed; In the wells of silence“)

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