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FastenHalbzeit: Wider das Besinnungslose!
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FastenHalbzeit: Wider das Besinnungslose!

Stefan Herok
Ein Beitrag von Stefan Herok, katholischer Pastoralreferent i.R. in der Pfarrei St. Bonifatius, Wiesbaden

Guten Morgen und einen schönen Sonntag!

Falls Sie gerade schön frühstücken, lassen Sie sich bitte nicht von mir stören, wenn ich hier sonntagsgedanklich jetzt ein bisschen vom Fasten erzähle. Die gut vierzig Tage zwischen Aschermittwoch und Ostern stehen bei vielen Christen unter diesem besonderen Stern. Auch Leute außerhalb der christlichen Communities haben längst die Heilkraft des Fastens für sich entdeckt. Tageszeitung, Fernsehzeitung, Apothekenzeitung, alles voll in diesen Wochen mit Fastentipps. Und ich hier in den Sonntagsgedanken bin auch nicht der erste mit diesem Thema, schließlich ist heute bereits FastenHalbZeit.

Klassisch katholisch stehen dabei oft Essen und Trinken im Focus: Keine Süßigkeiten, kein Alkohol, kein Fleisch. Eigentlich hätte ich das mit dem Kaloriensparen in diesem Frühjahr auch mal wieder dringend nötig. Aber irgendwie krieg ich es leider nicht hin. Gut, dass es auch noch andere Formen des Verzichts gibt: kein Fernsehen, keine Zigaretten, kein Computer. Diese „andere Art“ des Fastens haben evangelische Christen besonders kultiviert unter dem alljährlichen Motto: „Sieben Wochen ohne!“ Diesjahr: „7 Wochen ohne Kneifen!“ (http://7wochenohne.evangelisch.de//) Das heißt: Sich nicht verstecken! Sich nicht raushalten!

Meine „andere Art“ zu fasten, für die ich heute Morgen plädieren möchte, setzt den Akzent nochmal anders: Fastenzeit heißt für mich, ich wünsche mir selbst, aber auch vielen Menschen, die ich nah und fern wahrnehme, zur Besinnung zu kommen!

Ja, zur Besinnung!

Ich weiß nicht, ob Sie es nachvollziehen können. Mich schmerzt es, zurzeit überall in unserer großen und in meiner kleinen Welt so viel Kaputtes und Krankes und Verrücktes zu sehen. Verrückt leider nicht in heiter-unkonventioneller Schrägheit, sondern verrückt, weil einfach voll daneben!

Soviel Unbesonnenheit.

Soviel Sinnloses.

Soviel Unsinn.

Und Besinnungslosigkeit.

Soviel Wahn- und Irrsinn.

Zur Besinnung zu kommen ist dabei für mich kein „frommer Wunsch“, obwohl es schon auch mit Religion zu tun hat; aber mindestens ebenso viel auch mit Psychologie, weil es um die menschliche Seele geht, bzw. um die unmenschliche...

Geht’s nicht ein bisschen konkreter, werden Sie vielleicht denken. Und Sie haben Recht!

Mich beschäftigt und schmerzt, wie gerade junge Menschen so viel Wut und Verletzung in sich ansammeln, dass sie zu Amokläufern werden?

Natürlich denke ich an Parkland in Florida, Mitte Februar.

Ich denke am heutigen 11. März aber auch an Winnenden in Baden-Württemberg. Manche Ortsnamen, die man sonst kaum kennt, bleiben ja auf Jahrzehnte mit den Gräueltaten verknüpft, die dort passiert sind. Neun Schülerinnen, drei Lehrer und drei Passanten wurden dort auf den Tag genau heute vor 9 Jahren Opfer eines 17-jährigen Exschülers.

Wie werden Menschen, gerade auch junge Menschen zu Tätern? Wie viel Schmerz und Verletzung muss sich in ihrer Seele so unverdaut angesammelt und so untröstlich eingefressen haben? Wie muss es dann giftig brodeln und gären in ihnen, bis es zu diesem rauschartigen und wahnhaften Hassausbruch kommt, der sie zwingt, sich selbst und so viele Unbeteiligte in den Tod zu stürzen? Gab es wirklich keine Liebe in ihrem Leben, die getragen und getröstet und geheilt hätte? Warum hat sie nicht gereicht gegen diesen besinnungslosen Hass?

Besinnungslos: Das sind für mich auch die Raser mit ihren irrsinnigen Wettrennen durch unsere Städte. Auch irgendwie Amok, was übersetzt tatsächlich „wütend“ und „rasend“ heißt. In Gießen ist erst kürzlich wieder ein unbeteiligter, zwölfjähriger Junge dabei verletzt worden. Etliche Menschen schon kamen durch solche unsinnigen Rasereien zu Tode. Was ist das für ein Wahn! Was geht in diesen Hirnen und Herzen ab, dass man in den Straßen so auf- und durchdreht? Höchstrichterlich sind diese Täter nun vom Mordvorwurf befreit. Ob krassere Strafen sie zur Besinnung bringen könnten? Ich weiß es nicht. Ich sehe in der Raserei ein Phänomen von großer innerer Leere, zu wenig Lebenssinn und ein Mangel an Lebendigkeit. Ich glaube, solche Leute spüren sich selbst zu wenig. Und darum brauchen sie diesen irren Kick und Thrill. Und jedes Verantwortungsgefühl ist beim Teufel.

Und diese irrsinnigen Raser sind in meinen Augen nichts anderes als die tragische Zuspitzung des „ganz normalen Wahnsinns“, der an Rücksichtslosigkeit und Egomanie auf unseren Straßen herrscht! Mancher Verkehrsteilnehmer scheint einen persönlichen Selbstwertverlust zu erleiden, wenn er anderen Vorfahrt gewähren soll. Sinnlose Gewalt gegen Polizei und Sanitäter nimmt dramatisch zu. Rettungsgassen werden missbraucht, weil Leute keinen Bock auf Unfallstau haben. Und dazu eine regelrechte Gier, illegale Handyfotos von Verkehrstoten ins Internet zu posten. Ja, geht’s noch!?

Die Reizbarkeit und Rücksichtslosigkeit der Leute und ihre „Platz-da-jetzt-komm-ich-Mentalität“ deute ich als „seelische Gleichgewichtsstörung“: mit sich selbst und mit der Welt nicht wirklich im Lot.

Ich könnte noch ziemlich endlos fortfahren mit konkreten Beispielen für Unbesonnenheit, Unsinn und Wahnsinn. Umgekehrt für den großen Bedarf an Besinnung. Aber die Dramen zwischen Wahn- und Unsinn rund um Steinewerfer auf der Autobahn, um sich ins Koma saufende Jugendliche, um wütende Ausländerfeindlichkeit oder um Hass und Spaltung predigende, egomane Staatsführer, die mag man ja kaum noch hören. Erst recht nicht in Sonntagmorgenstimmung zu dieser frühen Stunde. Nehme ich also die Kurve zurück zur ersten FastenHalbzeit

Wie wäre sie praktisch zu gestalten, die „andere Art“ zu fasten, für die ich hier plädiere?

Ich möchte zur Besinnung einladen! Mich selbst, aber auch alle, die sich von diesen Gedanken ansprechen lassen. Sich in dieser Zeit vor Ostern Orte, Zeiten und Partner zu suchen, wo ich einen Moment innehalten kann und mich fragen:

Wie gehe ich selbst mit dem Schmerz um, der sich in mir ansammelt?

Frisst er sich in mir fest oder kann ich ihn „abführen“?

Was oder wer hilft mir, negative Erfahrungen so zu verdauen, dass in meiner Seele kein explosiver Hasscocktail zu gären beginnt?

Was bestärkt mein Selbstwertgefühl so, dass es mir vielleicht sogar Freude macht,
anderen sowohl auf der Straße, wie auch im übertragenen Sinn „die Vorfahrt“ zu lassen?

Wo sind meine Quellen, die mir Lebenskraft schenken, Heiterkeit und Humor?

Mangel an diesem „Lebensmittel“ finde ich besonders bedrohlich.

Was gibt mir die Stärke, Haltung zu bewahren und Frust zu verarbeiten?

Und dann stoße ich auch bei dieser „anderen“, besinnlich-mentalen Art auf die Kernfrage des traditionellen Fastens: Was ist mir wirklich Nahrung?

Womit fülle ich mich an, sowohl den Körper wie den Geist, damit ich „Erfüllung“ spüre und nicht „Völlerei“, damit ich nachhaltigen Lebenssinn erfahre, statt vollgestopfter Leere?

Da muss natürlich jede und jeder die eigene Antwort finden.

Ich persönlich müsste einiges an hausgemachtem Stress und Selbstüberforderung abwerfen, dann verringert sich vielleicht mein Drang, seelische Haushaltsdefizite mit Kalorienzufuhr zu kompensieren. Und das Fasten fiele mir auch körperlich leichter. Offensichtlich halte ich mich zu wenig an meine religiöse Nahrung und vertraue meinen spirituellen Quellen nicht genug. Die dramatisch-erhabene Schönheit der Geschichte Jesu, der Nährwert von Kommunion und Abendmahl und die Kraft der Liebe Gottes, wie ich sie in der Liebe meiner Mitmenschen finde! Das alles trägt mich doch sonst so gut.

Darauf will ich mich neu und mehr besinnen!

Wie gut, dass die zweite FastenHalbzeit ja noch vor mir liegt!

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