Ihr Suchbegriff
Resonanz - Über gelingendes Leben

Resonanz - Über gelingendes Leben

Rüdiger Kohl
Ein Beitrag von Rüdiger Kohl, Evangelischer Pfarrer, Frankfurt-Bockenheim

Endlich hat sich Inge ein Herz gefasst. Heute Abend ist sie zum ersten Mal in die Probe des Kirchenchors gegangen. Schon lange hatte sie darüber nachgedacht. Ein Bekannter von ihr, Werner, hatte sie eingeladen. Doch Inge meinte: „Das geht jetzt nicht. Wenn ich erstmal in Rente bin, dann habe ich Zeit für so etwas.“ Gut, sie mag Musik, und früher sang sie mit viel Spaß im Schulchor. Doch dann kamen das Studium, Familie und sie steht voll im Berufsleben. Doch Werner ließ nicht locker. Jetzt ist Inge dabei, singt mit und fühlt sich richtig gut. Das gemeinsame Singen hat etwas in ihr zum Schwingen gebracht.

Der Soziologe Professor Hartmut Rosa von der Universität Jena forscht über die Frage: Wann gelingt das Leben? Seine Antwort: Das Leben gelingt, wenn wir es lieben. Wenn man sich auf etwas bezieht, was man liebt und das etwas zurückgibt. Das können andere Menschen sein auf einer Wellenlänge. Oder Musik, bildende Kunst, Politik oder Religion. Der Forscher nennt das „Resonanz“. Immer, wenn wir uns berühren, bewegen, ergreifen lassen. Und dabei die Erfahrung machen: Wir erreichen etwas bei Anderen, stecken sie an. Es kommt eine Antwort zurück, eine Resonanz. Wer so was erfährt, fühlt sich lebendig und authentisch. Hartmut Rosa vergleicht das mit einer Stimmgabel: Wenn sie mit dem richtigen Ton angeregt wird, beginnt sie mitzuschwingen.

Resonanzerfahrungen sind unverfügbar. Sie funktionieren also nicht automatisch. Wenn man zum Beispiel ein berührendes Musikstück hundertmal am Tag hört, verschwindet der Resonanzeffekt bald.

Das, was Hartmut Rosa beschreibt, findet sich auch in der Religion, oft sogar besonders intensiv. So ist das Gebet so etwas wie eine geglückte Resonanzbeziehung. Beide Seiten, Gott und Mensch, sprechen mit ihrer eigenen Stimme. So erfahren es jedenfalls viele, die beten. Auch das ist unverfügbar. In der Bibel heißt es oft: Was Gott spricht, ist nicht unbedingt das, was Menschen erwarten. Hartmut Rosa findet: „Man kann die ganze Bibel lesen als ein Dokument des Schreiens, Flehens, Rufens nach jemandem, der uns hört. Und sie gibt das Versprechen: Ja, es gibt jemanden, der dich hört, der dich liebt, und der findet den Weg zu dir.“

Geglückte Resonanzbeziehungen gehören für ihn zur Lebensqualität. In der Praxis beobachtet er oft das genaue Gegenteil. Nämlich, dass sich viele vom authentischen Leben entfremdet fühlen. Zum einen glauben viele, gelingende Beziehungen zur Familie, zu Freunden oder zur Natur durch Konsum zu erreichen. Hartmut Rosa bemerkt kritisch: „Die Werbung verspricht uns: Kauf diese Chips – und du hast mehr Freunde. Kauf dieses Auto – und deine Kinder werden dich lieben.“ Versprochen werden Beziehungen. Verkauft werden Objekte. Und mit denen ist keine Resonanzbeziehung möglich.

Zum anderen denken viele Menschen: Wenn ich genügend Geld, Zeit, Freunde habe, dann bin ich glücklich. Hartmut Rosa nennt sie „Ressourcensammler“. Er sagt: „Viele gleichen einem Künstler, der immer nur bessere Leinwände, bessere Farben, bessere Staffeleien anschafft, aber nie anfängt zu malen.“

Inge hat das anders gemacht. Sie verschiebt das Singen im Chor nicht auf den Sankt Nimmerleinstag. Einen Abend in der Woche will sie nun für das Singen reservieren. Als am Ende der Probe ihr Freund Werner fragt: „Und, wie hat es dir gefallen?“, da antwortet sie: „Ich glaube, das könnte was für mich sein.“

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren