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"Meins!" Woher kommt unser Besitzdenken?
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"Meins!" Woher kommt unser Besitzdenken?

Dr. Ulf Häbel
Ein Beitrag von Dr. Ulf Häbel, Evangelischer Pfarrer, Laubach-Freienseen
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„Das sind meiner Stifte.“ Diesen grammatikalisch nicht ganz richtigen Satz hat meine Enkeltochter gesagt. Sie ist zweieinhalb Jahre alt, heißt Meyla und lernt gerade, wie man sich in unserer Sprache möglichst richtig ausdrückt.

Ein Familienfest

Die Situation, in der die Kleine das gesagt hat, kam so. Wir wollten ein Familienfest feiern – die Taufe eines kleinen Cousins von Meyla. Und weil unsere Familie über ganz Deutschland verteilt ist, suchten wir uns einen Ort, an dem das Fest stattfinden und wir alle übernachten konnten. Wir waren circa 30 Leute -  darunter mehrere kleine Kinder -  angereist aus Kassel und Berlin, Wiesbaden und wir aus dem Vogelsberg.

Frühe Besitzansprüche

Als wir in unserem Quartier angekommen waren, packten die Kinder aus, was sie von zu Hause mitgenommen hatten – die Lieblingspuppe, das Plüschtier, Puzzle oder Ball. Meyla hatte einen Karton mit dicken Buntstiften im Gepäck. Die legte sie auf den Fußboden mit einem Malblock dazu. Als das die anderen Kinder sahen, kamen zwei von ihnen neugierig angelaufen. Da ertönte Meylas Stimme: „Das sind meiner Stifte.“

Warum sagt sie das so bestimmt?, habe ich mich gefragt. Hat sie Angst, dass ein anderes Kind ihr die Buntstifte wegnimmt? Oder will sie deutlich machen: Mit den Stiften male nur ich?

Ist Besitzstreben angeboren?

Woher kommt es, dass schon kleine Kinder so kräftig auf ihren Besitzanspruch pochen?  „Das ist meins. Lass die Finger davon!“ Die Meinungen von uns Erwachsenen zu Meylas Satz waren sehr unterschiedlich. Die hat das von den älteren Geschwistern gelernt. Nein,  von uns Großen! So ein Besitzstreben ist dem Menschen doch nicht angeboren – oder vielleicht doch?

Wir haben immer intensiver diskutiert. Gab es dieses Besitzstreben schon immer, das bis hin zu Eroberungskriegen führen kann? Oder kam das erst auf, seitdem die Menschen sesshaft geworden sind, also ein Stück Land erwarben und das als Eigentum bezeichnet haben?

Gerechte Verteilung ist gefordert

Und wie geht es denen, die keinen Besitz haben? Da liegt doch der neidische Blick nahe auf das, was der andere hat. „Besitz ist doch sehr ungerecht verteilt“, sagte einer. „Wir wissen doch, dass 20 Prozent der Menschen, also wir in den Industrieländern, über 80 Prozent der Ressourcen der Erde besitzen und verbrauchen.“

Es braucht mehr Verteilungsgerechtigkeit auf der Welt. Da waren wir uns einig. Etwas besitzen ist ja schön und gut. Aber es darf eben nicht dazu führen, dass dem einen alles gehört und die anderen darben. Wenn wir die Welt als Gottes Schöpfung verstehen, dann gehört sie doch all seinen Geschöpfen.

Während wir Erwachsenen noch über Eigentum und Gerechtigkeit diskutiert haben, waren Meyla und die anderen Kinder schon weiter. Sie malten gemeinsam mit Meylas Buntstiften ein Bild. Das hängt bis heute bei uns in der Küche.

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