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Der Martinsmantel und die Daunenjacke
epd-bild/Meike Böschemeyer

Der Martinsmantel und die Daunenjacke

Ein Beitrag von Mirjam Jekel, Evangelische Theologin, Rüsselsheim
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Heute ist Sankt Martin, der Tag des Heiligen, der mit einem Bettler seinen Mantel geteilt hat. An Sankt Martin denke ich immer an den Sohn einer Bekannten, Alexej. Als Alexej 15 war, hat er etwas gemacht, das war wie eine moderne Sankt Martins-Geschichte.

Moderne Sankt Martins-Geschichte aus Leipzig

Alexej hatte eine neue Jacke. So eine richtig schöne warme Daunenjacke mit Kapuze für die kalte Jahreszeit. Die brauchte er auch. Alexej wohnt in Leipzig, und da sind die Winter kalt. Der Wind pfeift durch die Straßen. Es gibt Schnee und Eis und oft minus zehn Grad. Die Jacke war nicht nur warm, sondern auch schön. Alexej war stolz darauf.

Trotzdem kam er eines Tages nach Hause ohne seine neue Daunenjacke – nur im Pulli. Völlig durchgefroren. Seine Mutter war entsetzt.

"Was ist passiert, Junge?" Alexej druckste ein bisschen herum und sagte dann: "Ich hab‘ meine Jacke verschenkt."

"Wenn ich nicht helfe, erfriert er"

"Was, die teure neue Jacke? Warum das denn?" - "Naja", antwortete Alexej. "Da war ein Obdachloser. Ein junger Typ, paar Jahre älter als ich. Der saß auf der Straße, mit seinem Becher für Münzen, total blass, nur in einem dünnen Pulli. Da habe ich gedacht: Wenn ich dem jetzt nicht helfe, erfriert er. Also hab ich meine Jacke ausgezogen und sie ihm gegeben."

Als mir die Mutter von Alexej davon erzählt hat, war ich sprachlos. Was für eine Großzügigkeit! Ein 15-Jähriger, der sieht, wie einer auf der Straße sitzt und friert – und ihm spontan hilft mit dem, was er hat.

Die Not eines anderen sehen

Darum geht’s doch! Genau das ist es, was Sankt Martin damals gemacht hat. Er hat die Not eines anderen gesehen und getan, was er in diesem Augenblick tun konnte – seinen Mantel mit dem frierenden Bettler geteilt. Natürlich ist dadurch noch nicht alles gut. Der Mensch auf der Straße hat nach wie vor kein Zuhause. Aber er musste weniger frieren.

Gelebte Nächstenliebe

An Sankt Martin und seinen Mantel und an Alexej und seine Daunenjacke denke ich seitdem, wenn ich jemanden auf der Straße sitzen sehe. Ich versuche ebenfalls, so zu helfen, wie ich in dem Moment kann. Ein paar Euro oder ein bisschen Zeit für eine Unterhaltung oder eine Wolldecke aus dem Auto.

Natürlich reicht das nicht. Es wäre eigentlich richtig, wenn niemand mehr betteln müsste. Aber für mich fängt so gelebte Nächstenliebe an: mit offenen Augen durch die Welt gehen und sehen, wer Hilfe braucht.

 

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