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Immer wieder neu
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Immer wieder neu

Jens Haupt
Ein Beitrag von Jens Haupt, Evangelischer Pfarrer i. R., Kassel
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Gottes Liebe ist jeden Tag immer wieder neu. Das haben Sie bestimmt schon einmal gehört. Oder gesungen: All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und große Treu. Ich habe das oft genug gesungen und gehört, ohne drüber nachzudenken. Heute finde ich es furchtbar. Vielleicht liegt es daran, dass ringsherum alles immer ganz frisch, ganz neu sein muss. Neue Wirkstoffe, neue Reinigungsformel, und immer frisch. Ich brauche das nicht, schon gar nicht von Gott. Der soll so sein, wie er immer zu mir war. Gottes Liebe rostet nicht, aber sie muss auch nicht jeden Tag runderneuert werden. Das geht ja auch gar nicht. Dass Gott mich so liebt wie ich bin, das soll sich nicht ändern. Ich will ja auch nicht, dass mich meine Frau immer wieder neu liebt. Ich mag ihre Liebe, die über Jahre gewachsen ist, die alte Liebe, auf die ich mich verlassen kann. Und das ist gut. Liebe darf Falten haben und Runzeln. Liebe kann reifen und altern, Gott sei Dank.

Gottes Liebe immer wieder neu: Um Himmels willen lassen wir diesen Reklamespruch. Und auch dies finde ich furchtbar zu hören: Ich darf immer wieder neu anfangen. Das ist gut gemeint. Und es gibt Zeiten im Leben, wo es nötig ist neu anzufangen. Es ist gut, wenn man es dann darf, den Neuanfang wagen. Aber immer wieder neu? Sisyphus musste auch jeden Tag einen Stein den Berg hochrollen, der abends dann wieder runter kullerte. Das ist grausam und sinnlos. Immer wieder neu – ich brauche es nicht und ich will es auch so nicht mehr sagen. Dem Liedvers „All Morgen ist ganz frisch und neu“ kann ich keinen Vorwurf machen. Der Dichter aus dem 16. Jahrhundert konnte ja nicht ahnen, dass uns heute das ständige „frisch und neu“ auf den Wecker geht. Zum Glück geht der Liedvers ja weiter: „Des Herren Gnad und große Treu, sie hat kein End den langen Tag, drauf jeder sich verlassen mag.“ Das gefällt mir schon besser und darauf will ich gern vertrauen.

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