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Ein Schatz, der bleibt
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Ein Schatz, der bleibt

Martina Patenge
Ein Beitrag von Martina Patenge, Katholische Referentin für Glaubensvertiefung und Spiritualität, Kardinal-Volk-Haus Bingen
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Den „Sinn des Lebens“ finde ich jeden Tag im Briefkasten. Da liegen Zeitungen, Prospekte, Werbeflyer und rufen: Kaufe mich, und du wirst glücklich! Ob Kleidung, Autos, Reisen – versprochen wird mir jede Menge Glück, wenn ich nur reichlich kaufe oder bestelle. Und ich gebe zu: da ist ja auch was dran! Wenn ich ein paar neue Pflanzen im Garten gepflanzt habe und sie anwachsen und den Gesamteindruck verschönern, dann bin ich wirklich glücklich und kann mich nicht sattsehen und betrachte sie immer wieder. Ich muss ja niemandem erzählen, dass ich manchmal mit den Pflanzen rede und laut sage: Du bist aber schön! Und dass ich dabei ganz fröhlich bin. Natürlich kaufe ich mir auch gerne mal neue Sachen zum Anziehen. Sie machen mir lange Zeit Freude und ich fühle mich schön darin. Aber ich weiß auch schon lange, dass der Sinn meines Lebens sich nicht im Kaufen und Haben erschöpft. Wissen tut das vermutlich jede und jeder. Ich habe es dann allerdings auch ziemlich intensiv erfahren vor vielen Jahren, in einer sehr langen Zeit großer Erschöpfung. Da hat keine noch so schöne Pflanze mehr geholfen, und auch sonst nichts, noch nicht mal Schokolade. Ich war einfach nur müde und leer, über Wochen und Monate. Mir war alles egal, sogar der Garten. Ich sehnte mich nach Ruhe, aber wenn ich Ruhe hatte, konnte ich sie nicht richtig genießen. Der Sinn meines Lebens war irgendwie weg und ich hatte mich selbst verloren. All die klugen und weisen Worte über das Leben, die ich doch kenne und eigentlich liebte und immer wieder auch anderen zugesagt hatte und fest davon überzeugt war, klangen auf einmal nur noch wie Hohn.


Zum Glück durfte ich diese Zeit damals überwinden, durfte mich wieder erholen. Dafür bin ich heute noch dankbar. Das Wichtigste war, dass ich den Sinn meines Lebens wieder neu gefunden habe. Nach und nach spürte ich wieder mehr Kraft.  Und es stellten sich wieder neue Ziele ein. Seither lebe ich anders - ich höre wieder mehr auf mich, pflege einen dankbaren Blick auf mein Leben. Und lebe gern. Seither versuche ich, genauer zu unterscheiden: Was ist mir wirklich wichtig für mein Leben? Und jeden Abend schaue ich auf das, was mein Leben an diesem Tag reich gemacht hat.Ob Jesus auch so erschöpfte und leere Menschen vor sich sitzen hatte? Offensichtlich war auch damals die Frage drängend bei den Menschen: Wofür sollen wir leben? Was ist wirklich wichtig? Wahrscheinlich ist diese Frage eine der Menschheitsfragen, die in jeder Generation auftauchen. Jesus hat seine Antworten gegeben, seine besonderen Antworten.

Einmal sagt er seinen Jüngern:

Verkauft euren Besitz und gebt Almosen! Macht euch Geldbeutel, die nicht alt werden! Verschafft euch einen Schatz, der nicht abnimmt, im Himmel, wo kein Dieb ihn findet und keine Motte ihn frisst! Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz. (Lukas 12, 33.34)

Musik 1: Wolfgang Amadeus Mozart: Andantino aus dem Divertimento F-Dur KV 253 (CD: W. A. Mozart, Divertimenti, Bläser der Berliner Philharmoniker, Track Nr. 17).

Macht euch Geldbeutel, die nicht alt werden! Verschafft euch einen Schatz, der nicht abnimmt.

So sagt es Jesus in der Bibel. Ähnliche Sätze stehen heute auch in Spruch-Kalendern, und in Anleitungen zur seelischen Gesundheit. Dahinter steckt die uralte Erfahrung: Materielle Dinge machen auf Dauer nicht glücklich wie erhofft. Der Reiz und die Freude über etwas Neues halten eine Weile an und verschwinden bald wieder. Jesus müht sich in immer neuen Bildern damit ab, zu sagen: Passt auf, dass ihr euer Herz nicht an Sachen hängt, die euch nicht sattmachen. Die vernebeln nur eure Sinne und machen euch unglücklich. Lasst euch nicht dazu verführen, zu glauben, mit materiellen Dingen könnte der Durst eures Lebens dauerhaft gestillt werden. Ihr braucht einen anderen Schatz, der nicht weniger wird, sondern sich immer wieder erneuern lässt.

Ein solcher Schatz ist im Glauben zu finden, ist Jesus überzeugt. Im Glauben an Gott, den er seinen Vater im Himmel nennt. Das ist eine Erfahrung, die viele glaubende Menschen bestätigen können. „Glauben an Gott, das gibt mir viel“, sagen sie. In meinen Erfahrungen in der Begleitung von Exerzitien darf ich genau das hundertfach miterleben: wie Menschen sich in der Stille mit Gott richtig gut erholen. Sie kommen ins Exerzitienhaus, um Zeit mit Gott zu verbringen. Die meisten kommen richtig gerne, aber sind sehr erschöpft. Und dann schlafen sie erst mal aus, denken über ihr Leben nach, gehen spazieren, meditieren, versenken sich immer wieder in Gebetszeiten, in Worte aus der Bibel. Das tun sie hauptsächlich, tagelang, und jeden Tag mehr. Als Begleiterin gebe ich jeden Tag eine kleine Hilfestellung. Ich kann zuschauen, wie die Gäste sich erholen und wieder kräftiger werden und mutiger, wie sich in ihrem Innern mit Hilfe der Meditation oft Knoten lösen. Wie sie wieder spüren, dass das Beten ihnen hilft. Und wie die Freundschaft mit Gott wieder wächst und tiefer wird und inniger, bis hin zu besonderen Erfahrungen der Nähe Gottes. „Diese wunderbaren Erfahrungen würde ich am liebsten festhalten“, sagen sie dann, und wissen doch auch, dass das nicht möglich ist. Ein solcher erlebter Glaube ist einerseits ein großer Schatz, den niemand stehlen kann. Aber es ist auch ein Schatz, den niemand festhalten kann. Festhalten können die Gäste jedoch die Erinnerung an diese tiefe Ruhe und bewahren können sie die Sehnsucht danach.

Musik 2: Robert Schumann, „Nicht zu schnell“ aus Studien für den Pedalflügel op. 56 (CD: Robert Schumann, Sämtliche Werke für Pedalflügel / Orgel, Andreas Rothkopf, Orgel, Track 5).

Wo euer Schatz ist, da ist euer Herz! sagt Jesus zu seinen Freunden.

Diese Erkenntnis stimmt auch heute noch. Die meisten werden das von sich selbst kennen. Das Herz hängt an dem, was einer Person total wichtig ist. Wie der konkrete Schatz dann heißt? Natürlich sind Menschen, die wir lieben ein Schatz – oder der Schatz heißt: Familie oder spannendes Hobby oder interessanter Beruf. Oder Zerstreuung und Zeitvertreib, oder schädliche Angewohnheit, oder etwas anderes.

Aber wie kommt es, dass ich vielleicht wider besseres Wissen mein Herz an Dinge hänge oder an Beschäftigungen, die mich nicht auf Dauer zufriedenstellen? Das hat mit den Glücksgefühlen zu tun, die damit verbunden sind.

Weil beim Kaufen oder bei Zerstreuungen Glücksgefühle entstehen, glaubt die Seele, hier sei etwas sehr Wichtiges geschehen. Glücksgefühle, die daraus entstehen, können leicht süchtig machen. Mehr davon, sagt die Seele! Und sie gewöhnt sich daran, dass solche Glückgefühle anscheinend selbst herbeigeführt und immer neu wiederholt werden können. Mit dem Nachteil, dass diese Glücksgefühle häufig so schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind. Das geschieht dann, wenn ich mehr auf der Suche nach Zerstreuung und Ablenkung bin als auf der Suche nach intensivem Erleben, nach echtem Glück. Die gewaltige Sehnsucht nach Zerstreuung aber sei eins der Hauptprobleme unserer Zeit, habe ich gelesen.

Die spannende Frage ist: Woher kommt diese Sehnsucht nach Zerstreuung? Oder danach, sein Herz an Dinge zu hängen? Ich glaube, das hat mit Angst zu tun. Mit einer tiefsitzenden Angst vor der Endlichkeit. Irdische Schätze oder kurzfristige Events geben scheinbar Sinn und Bedeutung. Sie lenken ab von der bedrückenden Erkenntnis, dass das Leben mit dem Tod endet. Nichts kann festgehalten werden: nicht die Gesundheit, nicht die Jugend, nicht die geliebten Menschen. Weil das so bitter ist, suchen Menschen Trost: Im Kaufen, in Events, in Ablenkungen. Diese Erlebnisse sollen das Gefühl der Vergänglichkeit austricksen. Dann können melancholische Gedanken gar nicht erst aufkommen. Dass das alles letztlich nichts hilft, aber die vielfältigen Sinnkrisen des modernen Menschen nach Abhilfe schreien – das zeigt das rasante Wachstum der Achtsamkeitslehre. Eigentlich war und ist diese Lehre nichts Besonderes. Vereinfacht gesagt geht es darum, ganz im Hier und Jetzt zu sein, aufmerksam das wahrnehmen, was sich gerade im Moment ereignet, und alle Empfindungen geschehen lassen, ohne sie zu bewerten. Gerade letzteres ist tatsächlich besonders wichtig. Denn in der Schule der Achtsamkeit wird gelehrt, Empfindungen zu erkennen und zu erleben, statt diese auf jeden Fall loswerden zu wollen, selbst wenn sie unangenehm sind oder langweilig. Achtsamkeit ist ein Blickwechsel! Wer konsequent übt, achtsam zu sein, entwickelt ein anderes Gespür hin auf das, was das Leben reich macht – und dass auch unangenehme Empfindungen und Erlebnisse dazugehören. Der Blick geht dahin: Wo sind meine Schätze? Wo ist mein Herz? Was geschieht gerade?

Spätestens an der Stelle werde ich manchmal traurig. Denn was da in der Achtsamkeitsschule neu erlernt werden kann, sind eigentlich alles keine neuen Erkenntnisse, sondern sie gehören von Anfang an zum Schatz des Christentums. So viele tief vom christlichen Glauben ergriffene Menschen haben genau das schon lange erkannt: Das Vergängliche bleibt vergänglich. Da hilft letztlich nichts als ein Blickwechsel:

Es geht um ein Leben ohne Warum, sagt im Mittelalter der Meister Eckhart. Teresa von Avila spricht von der Spiritualität der Kochtöpfe und gibt sogar der täglichen Mühe der Hausarbeit damit eine Bedeutung. Jesus selbst war, ohne dass er den Begriff je gekannt hätte, ein Meister der Achtsamkeit. ‚Macht es wie die Lilien auf dem Felde oder die Vögel am Himmel‘, hat er gepredigt. Die machen sich nicht so viele Gedanken, sondern leben, weil Gott sie am Leben erhält. Jesus selbst lenkt in seinen Reden den Blick hin zu Gott. Von Gott her gibt es Sinn und anderen Trost.

Ich bin ganz sicher: Jesus ist keine Spaßbremse. Er freut sich auch mit mir, wenn ich mich schön anziehe und in einer freundlichen Wohnung wohne und mit Lust zu viel arbeite. Aber er will mir sagen: ‚Schau darüber hinaus! Es gibt mehr! Das Leben ist so viel größer! Gott hat viel mehr mit dir vor.‘ Und meint damit nicht viel mehr Arbeit oder viel mehr Zerstreuung, sondern mehr Tiefe, mehr Vertrauen, mehr Lebendigkeit. Und weil Jesus ein guter Pädagoge ist, verwendet er ein eingängiges Bild aus dem Haushalt, und sagt: Das Wichtigste solltest du in deinem Herzen bewahren statt in Schränken und Regalen. Was du in deinem Herzen hast, wird weder von Motten gefressen noch kann es verstauben, es kann auch nicht gestohlen werden – es ist immer da und gehört immer zu dir. Und das macht dich reich. Wirklich reich.

Musik 3: Johann Sebastian Bach, Siciliano aus der Flötensonate E-Dur, BWV 1035 (CD: Albrecht Mayer, Johann Sebastian Bach, Lieder ohne Worte, Transkriptionen für Oboe und Orchester, Track 4).

Jesus gibt seinen Freunden Hinweise, wie sie zu einem wirklichen Schatz kommen. Für so einen Schatz muss man offen sein – ihn bewusst erwarten. Wörtlich heißt es in der Bibel: Eure Hüften sollen gegürtet sein und eure Lampen brennen: Seid wie Menschen, die auf ihren Herrn warten, der von einer Hochzeit zurückkehrt, damit sie ihm sogleich öffnen, wenn er kommt und anklopft. Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt!. (Lukas 12,35-37).

Das also empfiehlt Jesus: Nicht ablenken oder zerstreuen oder sich in Nebensächlichkeiten verlieren, sondern Warten und bereit sein. Warten, wie man auf jemanden wartet, der von einem Fest nach Hause kommt.

Ich stelle mir das bildlich vor: Da kommt einer vom Fest und freut sich, wenn die Tür geöffnet wird. Wer von einem Fest kommt, ist doch meistens fröhlich, ausgelassen. Hat viel erlebt und möchte davon erzählen. Und bringt vielleicht sogar etwas mit, Kuchen oder Blumen, so dass auch die Leute zu Hause etwas davon haben. Wie schön, wenn die dann auch wirklich gewartet haben und sagen: Komm, setz dich, erzähle uns von deinen Erlebnissen! Das genau ist der Tipp von Jesus. Bleib offen. Lenk dich nicht ab, mach dich nicht zu, sondern bleib offen. Bleib achtsam.

Und weil Jesus sich ein Leben ohne Gott nicht denken kann, sondern ganz davon erfüllt ist, heißt sein Tipp: Bleib offen für Gott! Gott will dir etwas mitbringen in dein Leben. Er hat dir etwas zu bieten. Wenn er heimkommt, will er dir geben, was dich sehr erfüllen kann. Er will dir etwas von sich geben. Seine Liebe. Und inneren Frieden. Das könnte für dich ein wirklicher Schatz sein.

Musik 4: Robert Schumann, „Andantino – Etwas schneller“ aus Studien für den Pedalflügel op. 56 (CD: (CD: Robert Schumann, Sämtliche Werke für Pedalflügel / Orgel, Andreas Rothkopf, Orgel, Track 7).

Seid wie Menschen, die auf ihren Herrn warten, der von einer Hochzeit zurückkehrt, damit sie ihm sogleich öffnen, wenn er kommt und anklopft. Selig die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt! So erzählt die Bibel vom Glück und vom Schatz.

Gott will nach Hause kommen. Zu jedem Menschen „heimkommen“, der auf ihn wartet. Von diesem Schatz spricht Jesus. Und es ist ein wirklicher Schatz. Ich stelle mir das vor, es ist einfach wunderbar, wenn Gott heimkommt! Das bedeutet: Gottes Zuhause ist die Welt, und noch viel genauer: Gottes Zuhause sind auch die Menschen. Das ist ein sehr schönes Angebot! Ich finde es überwältigend. Niemand muss das wollen – aber Jesus empfiehlt denen, die ihm zuhören, er bedrängt sie fast: Lass doch Gott in dein Herz statt so viel anderes. Gott ins Herz lassen, das ist Glauben. Jesus sagt: Glauben ist ein möglicher Schatz! Glauben muss gar nicht perfekt klappen. Glauben entsteht schon dann, wenn jemand versucht, sich mit Gott zu beschäftigen, zu beten, die Bibel zu lesen. Glauben ist eine Übung, die mal mehr oder weniger gelingt. Glauben ist keine Versicherung gegen Schwierigkeiten, und hinterlässt manchmal auch viele Fragen. Aber er ist für viele eben doch ein wichtiger Halt. Auch wenn die Kirchen selbst an Bedeutung verlieren und dazu leider auch selbst viel beigetragen haben.

Was aber bleibt ist Gott. Und der Glaube an Gott. Und der ist ein großer Schatz, der dem Menschen Sinn geben kann, und Weisung für den Alltag, und Halt. Und dazu muss man gar nicht viel tun. Außer: das Herz öffnen, und Gott einlassen, so gut es eben möglich ist.

Jesus würde dazu sagen: Versuche es. Es lohnt sich! Es lohnt sich wirklich!

Musik 5: John Rutter, „God be in my head“ (CD: Evensong, Mainzer Domchor / Domkantorei St. Martin / Mädchenchor am Chor und St. Quintin, Mainz, Track 2).

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