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„Du musst dich mal schütteln“ – Wenn die Last größer ist als man tragen kann
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„Du musst dich mal schütteln“ – Wenn die Last größer ist als man tragen kann

Dr. Ulf Häbel
Ein Beitrag von Dr. Ulf Häbel, Evangelischer Pfarrer, Laubach-Freienseen

„Du musst dich mal schütteln“, hat mein Nachbar zu mir gesagt, „an dir hängt lauter Stroh.“ Er hat mir beim Einfahren der Ernte geholfen. Ich habe die Strohballen vom Erntewagen in der Scheune hochgegabelt. Das muss jetzt in der Erntezeit sein, damit wir unsere Tiere über den Winter bringen. Beim Hochgabeln fallen immer wieder Strohhalme runter. Die lagen dann auf meinem Pullover. Das sollte ich abschütteln und nicht mit ins Haus schleppen.
„Du musst dich mal schütteln." Der Rat passt nicht nur für die Strohernte; der gilt auch sonst im Leben: Schüttle dich mal; wirf etwas von dir ab. Schlepp es nicht weiter mit.
So ähnlich hat das einmal meine Großmutter gesagt. Sie hat neun Kinder aufgezogen in der armen Zeit, in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Sie hat wenig über ihr Leben geklagt – soweit ich mich erinnere. Aber sie hat uns, ihren Enkeln gesagt, dass wir nicht aufgeben sollen, wenn’s schwierig wird im Leben. Aber auch dass wir mal was lassen sollen – abschütteln, wenn’s zu schwer wird.
Ich kenne eine junge Frau, die in der Jugendhilfe arbeitet. Sie kümmert sich um Jungen und Mädchen, die in ihren Familien nicht mehr leben können. Seit ein paar Jahren betreut sie auch jugendliche Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan. Das belastet sie sehr. Jeder bringt da sein eigenes Schicksal mit – Fluchttrauma oder Gewalt und Missbrauch in der Familie. Sie will allen helfen, ihnen Gutes tun. Aber sie kommt an ihre Grenzen. Sie kann nicht gleichzeitig für den Siebzehnjährigen dasein, der beim Zigarettenklauen im Bahnhof geschnappt wurde, und auf andere im Heim aufpassen. Wenn die Last zu groß wird, hat es keinen Sinn, sich weiter abzuquälen. Dann muss man es lassen, abschütteln wie das runtergefallene Stroh vom Pullover bei der Ernte.
Ein Ereignis, das aus dem Leben von Jesus erzählt wird, verstehe ich so. Die Bibel erzählt, wie Jesus mit seiner Botschaft vom Reich Gottes auf Erden unterwegs war. Er erzählt den Leuten, dass diese Erde ein Reich des Friedens und der Versöhnung sein kann. Mit dieser Botschaft zieht er von Ort zu Ort. Manche sind davon begeistert. Aber es gibt auch andere, die seinen Glauben an eine versöhnte Welt nicht teilen. Sie lehnen Jesus ab. Manche verspotten ihn sogar. Da sagt er zu seinen Freunden: Wenn die Menschen die Botschaft vom Reich Gottes nicht annehmen (wollen oder können), wenn du dich abgemüht hast und das war umsonst, dann schüttle den Staub von deinen Füßen und geh weiter.
„Du musst dich mal schütteln", hat mein Nachbar zu mir gesagt. Manchmal muss man etwas lassen, wenn es zu schwer und belastend wird. Dann muss man es abschütteln so wie das Stroh von meinem Stallpullover, damit man es nicht nach Hause schleppt."

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