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Demo für Gott
Bildquelle: Dr. Arnulf Müller

Demo für Gott

Winfried Engel
Ein Beitrag von Winfried Engel, Katholischer Ltd. Schulamtsdirektor i. K. i. R., Fulda
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Solange ich denken kann, hat dieser Donnerstag, der Fronleichnamstag, für mich immer gleich begonnen. Früh aufstehen, den dunklen Anzug anziehen und dann zum Gottesdienst in die Kirche. Danach fand dann eine Prozession statt, durch die Straßen meines Heimatortes. Heute, an diesem Fronleichnamstag im Jahr 2020, ist alles anders. Einen Gottesdienst, ja den werden wir haben, und eine Miniprozession rund um die Kirche mit einem abschließenden Segen auch. Mehr ist nicht drin. Wenn ich ehrlich bin, dann fehlt mir wirklich etwas. Und dass da etwas fehlt, wird mir gerade heute richtig bewusst.  Dennoch kann ich es nicht ganz genau beschreiben. Äußerlich betrachtet ist es eine Prozession, wobei die Fronleichnamsprozessionen schon immer etwas Besonderes waren, für mich jedenfalls. Christen gehen auf die Straße. Mit Gesang, Musik und Gebet, begleitet von Fahnen, ziehen sie durch ihren Wohnort. In der Mitte ihres Zuges läuft der Priester, begleitet von Ministranten, geschützt von einem Baldachin. Der Priester trägt ein kostbares und kunstvoll verziertes goldenes Gefäß. Darin befindet sich eine kleine weiße Hostie, ein Stück Brot. Auch ein unwissender Beobachter erkennt schnell, dass es damit etwas Besonderes auf sich haben muss, denn alles Geschehen ist auf diese Mitte ausgerichtet. Der Weg, den der Zug nimmt, ist meist seit vielen Jahren immer gleich. Er führt durch die Straßen der Stadt oder des Dorfes. Unterwegs macht er Halt an im Freien errichteten festlich geschmückten Altären. Dort wird gebetet und gesungen und dann werden die Menschen und die Umgebung gesegnet, mit diesem Brot. Das Ganze endet meist wieder in der Kirche, wo es begonnen hat. "Heute halten die Katholiken ihre Demo", haben manche dieses Geschehen kommentiert. Und in der Tat lassen sich gewisse Parallelen zu Demonstrationen nicht bestreiten. Gewiss werden Katholiken jetzt sagen: Wir halten keine Demonstration ab! Wir machen eine Prozession, das ist etwas Religiöses, etwas Frommes. Ich persönlich finde es auch nicht so gut, wenn meine Prozession mit einer Demonstration gleichgesetzt wird. Doch gerade heute, wo sie nicht stattfinden darf, frage ich mich, ob es nicht genau das ist, was mir fehlt, dass ich nämlich nicht aller Welt zeigen kann, wofür ich stehe, was mein Leben trägt, gerade jetzt in diesen Zeiten der Pandemie.        

Musik

Prozession oder Demonstration?  Das Wort Demonstration kommt vom Lateinischen "demonstrare", zeigen. Demonstratio bedeutet im Lateinischen das Hinweisen, das Zeigen. Auch in dem Wort Prozession, das für diese Art kirchlicher Umzüge gebräuchlich ist, steckt die Bedeutung hervortreten, öffentlich zeigen, auch wenn die genauere Übersetzung wohl "Feierlicher Umzug" ist. Und was wird gezeigt? Ein kleines Stückchen Brot! Für sich betrachtet eher unscheinbar, jedoch schon allein durch die Art seiner Präsentation bedeutend. Und tatsächlich ist der Fronleichnamstag in ganz besonderer Weise mit Brot verbunden. Fronleichnam ist das Fest in der katholischen Kirche, an dem Brot im Mittelpunkt steht. Nicht etwa die Vielfalt der Sorten, die heute zu bekommen sind, auch nicht ihr Nährwert, sondern die Bedeutung von Brot als Zeichen für die Gegenwart Gottes in dieser Welt. Heute Vormittag sollte dieses Zeichen aus den Kirchen heraus wieder in die Öffentlichkeit getragen werden. Gezeigt würde es in einem kostbaren goldenen Zeigegefäß, der sogenannten Monstranz. Und darin befindet sich nichts anderes als ein Stückchen Brot. Doch in diesem Stückchen Brot ist, so glauben es die katholischen Christen, der große Gott in seinem Sohn Jesus Christus selbst gegenwärtig. Bis heute wandelt ein katholischer Priester in Erinnerung an das letzte Mahl, das Jesus mit seinen Jüngern vor seinem Tod gehalten hat, in der heiligen Messe dieses Brot und verteilt es dann an die Anwesenden. Sie empfangen im Zeichen des Brotes den Leib und das Blut Jesu Christi. Das gewandelte Brot wird in den katholischen Kirchen aufbewahrt in goldenen Gefäßen, normalerweise eingeschlossen in einem Schrank, dem so genannten Tabernakel. Dort wird es von den Gläubigen verehrt. Diese Gegenwart Gottes gibt den katholischen Kirchen einen besonderen Charakter. Der Tabernakel ist Zeichen dafür, dass Gott da ist, im Zeichen des Brotes. Wenn die Katholiken am Fronleichnamstag dieses Brot durch die Straßen ihrer Wohnorte tragen, dann tragen sie eigentlich Gott durch die Straßen, als wollten sie ihm zeigen, wo sie täglich leben und arbeiten. Das hat er sicherlich nicht nötig, dieser Gott, denn das weiß er ohnehin. Aber umgekehrt wird dadurch symbolhaft deutlich, dass dieser Gott mit den Menschen ist, gerade da, wo sie leben und arbeiten. So wird das kleine Stückchen Brot zum Zeichen der Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen. Und es wird auch zum Zeichen für den Glauben derer, die es durch die Straßen tragen: Unser Gott ist bei uns, wirklich und greifbar. Er geht mit uns durch unser Leben, in unseren Alltag, dorthin, wo wir Tag für Tag sind. Und wäre das nicht gerade heute, in diesen Krisenzeiten ein wichtiges Zeichen?  

Musik

Ich glaube schon, dass wir am Fronleichnamstag von einer Demonstration sprechen dürfen, an der wir Katholiken teilnehmen. Es soll aller Welt gezeigt werden, dass Gott bei uns und unter uns ist. Und das ist auch das einzige Interesse, das sich mit dieser Demonstration verbindet. Keine lautstarken Forderungen, keine dringenden Mahnungen, nein, nur Gottes Gegenwart ist das Thema. Nun hat sich manch einer daran gestört, dass diese Prozessionen so pompös und aufwendig durchgeführt wurden. Wäre nicht die Kirche in unserer modernen Zeit besser beraten, sich in Einfachheit und Bescheidenheit zu üben? Verdecken die kostbaren Gewänder, die Fahnen und vor allem die goldene Monstranz nicht das Eigentliche, um das es geht? Verliert Kirche über solche Äußerlichkeiten nicht ihre eigentliche Botschaft aus den Augen?  Solche Fragen dürfen gestellt werden. Die Antwort darauf muss aber lauten, dass es nicht um die handelnden Personen, um eine Präsentation kirchlicher Pracht in der Öffentlichkeit geht. Aller Schmuck und aller Aufwand sind allein der Ehre Gottes gewidmet. Es geht der Kirche also nicht um Pracht und Glanz, sondern es geht um die Menschen, besonders um die, die genau im Gegenteil von Pracht und Glanz leben müssen. Papst Franziskus wird nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen und so seine Kirche daran zu erinnern, was ihre eigentliche Aufgabe ist.
Früher haben sich evangelische Christen nicht selten an diesem katholischen Fest gerieben. In diesem Fest zeigt sich einer der grundlegenden Unterschiede zwischen Reformatoren und der katholischen Lehre. Martin Luther gilt als ein entschiedener Gegner des Fronleichnamsfestes. Diese Rivalität war noch bis in die jüngere Vergangenheit zu spüren. Gott sei Dank ist das heute weitgehend vorbei. Auch wenn die Trennung der christlichen Kirchen in dieser Frage immer noch besteht, die gegenseitige Wertschätzung überwiegt. Echte Ökumene weiß um die grundlegenden Unterschiede und respektiert sie, auch wenn sie bemüht ist, sie zu überwinden.
Die Botschaft des Fronleichnamsfestes gilt allen Menschen, sie ist nicht nur katholisch: Der christliche Gott ist wirklich Mensch geworden. Er will bei den Menschen sein, dort wo sie leben und arbeiten. Die Menschen sollen ihn anbeten und verehren, ihn als ihren Gott anerkennen. Daraus erwächst ihnen Kraft für das, was an Herausforderung auf jeden Einzelnen zukommt. Daran will der heutige Tag erinnern, auch wenn wir heute nicht in gewohnter Weise auf die Straße gehen dürfen.

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