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Vielfältiges Fasten
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Vielfältiges Fasten

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
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Jetzt hat sie wieder begonnen: die Fastenzeit. Ich hab den Eindruck, es gibt immer mehr Leute, die mit ihr etwas anfangen können, und das sind längst nicht nur die kirchlichen und religiösen Menschen. Viele lassen in diesen nächsten Wochen bis Ostern irgendetwas weg oder verändern ihre Lebensgewohnheiten. Und sie merken: Es tut ihnen gut. In meiner Kindheit hatte Fasten und Verzicht einen ziemlich negativen Klang, aber das hat sich geändert, hab ich den Eindruck. Die Fastenzeit ist fast ein wenig in Mode gekommen. Das liegt sicher auch daran, dass die Ziele anders formuliert werden als früher und dass sie frei gewählt werden: Es geht nicht darum, Opfer zu bringen oder sich zu quälen, naja, jedenfalls nicht nur. Wer heute fastet, der will vor allem, dass es ihm besser geht. Oder auch: dass es der Welt besser geht. Um das zu erreichen, gibt es viele Wege und Methoden, auch das hat sich geändert, das Fasten ist vielfältiger geworden. Es geht nicht mehr nur darum, Schokolade oder Alkohol wegzulassen. Heute gibt es Autofasten oder Handyfasten. Menschen verzichten in den nächsten Wochen auf Fleisch oder aufs Fernsehen. Diese Vielfalt beim Fasten finde ich gut. Auch bei mir hat sich das Fasten geweitet. Als Kind hab ich Bonbons in ein Glas gesteckt und Geldstücke in eine Sammelbox. Heute nehm ich mir ganz Unterschiedliches vor. Für mich hat dieses vielfältige Fasten viel mit meinem Glauben zu tun. Ich will in dieser Morgenfeier heute am ersten Fastensonntag von ein paar Fastenideen erzählen. Und darüber, warum dieses vielfältige Fasten für mich ganz wesentlich auch mit Gott zu tun hat.

Musik 1: „Sideways“, Thomas Leeb (CD: Thomas Leeb, Trickster).

Es ist ein Fasten, zu dem die Kirchen schon seit über zwanzig Jahren einladen: das Autofasten. Bistümer und Landeskirchen - auch bei uns in Hessen - rufen dazu auf, bis Ostern das Auto so oft wie möglich stehenzulassen. Es geht nicht darum, das Auto komplett zu verteufeln, viele brauchen es ja. Aber: Jeder weiß auch: Es gibt viele Fahrten, die man auch zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen könnte. Das tut nicht nur mir gut, weil ich mich bewege und etwas für die Gesundheit tue. Es ist natürlich besonders gut fürs Klima. Das Umweltbundesamt hat einmal ausgerechnet: Wenn die Deutschen alle ihre Fahrten unter fünf Kilometern ohne Auto bewerkstelligen könnten, dann würde das mehr als 11 Millionen Tonnen CO 2 im Jahr sparen. Eine gewaltige Zahl.

Ich mache schon seit vielen Jahren mit beim Autofasten, wie rund 2000 andere Menschen auch, die sich jedes Jahr im Internet anmelden. Viele machen die Erfahrung: Autofasten kostet zwar mitunter Überwindung und etwas zusätzliche Organisation. Aber es entstresst oft auch: In der Bahn bin ich, auch wenn’s mal Verspätung gibt, längst nicht so gestresst wie im Straßenverkehr. Ich kann Zeitung lesen, surfen, Podcasts hören, im Bistro einen Kaffee bestellen oder einfach nur träumend in die Landschaft gucken. Und auch mehr Fahrradfahren und zu Fuß gehen tut gut, gerade jetzt, wenn‘s nach dem Winter endlich wärmer und heller wird. Bewegung ist da heilsam und gesund, und ein bisschen Gewicht verliere ich durch’s Autofasten womöglich auch.

Was das alles mit Gott zu tun hat? Ich bin davon überzeugt: Gott will, dass ich mich so fortbewege, dass es meinem Körper und meiner Seele gut tut. Und nicht zuletzt will er auch, dass ich so unterwegs bin, dass es seiner Schöpfung gut tut. Autofasten spart CO 2 und schont das Klima, es ist ein kleiner Schritt, diese Welt vor der Klimakatastrophe zu schützen. Papst Franziskus hat 2015 in seinem Schreiben „Laudato si“ dazu aufgerufen, das gemeinsame Haus Erde zu bewahren. Und er hat darin auch etwas gesagt zur Mobilität. Er rät, möglichst „öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen oder ein Fahrzeug mit mehreren Personen zu teilen“ (Laudato si Nr. 211). Solche Tipps stehen mittlerweile in päpstlichen Enzykliken. Es ist klar: Klimaschutz und Autofasten sind nicht irgendwelche zweitrangigen Aspekte des Glaubens. Sie gehören wesentlich zum christlichen Leben dazu.

Auch, weil Autofasten nicht nur Auswirkungen auf die Schöpfung hat. Sondern auch auf die vielen Menschen, die vom Klimawandel betroffen sind, in anderen Ländern und zu zukünftigen Zeiten. Autofasten, das ist auch ein Fasten für mehr Gerechtigkeit. Und damit komme ich sogar den ganz alten biblischen Formen von Fasten näher. Schon in der Bibel geht es ja nicht darum, beim Fasten einfach nur sich selbst zu kasteien. Es geht darum, anderen etwas Gutes zu tun, sozial gerechter zu leben. Und dazu gibt schon die Bibel vielfältige Anregungen und Ideen…

Musik 2: „Swing in the Grooveyard“, Thomas Leeb (CD: Thomas Leeb, Trickster).

Die Bibel liefert schon vor zweieinhalb tausend Jahren vielfältige Ideen zum Fasten – und die haben viel mit Gerechtigkeit zu tun, mit sozialem Verhalten. Beim Propheten Jesaja spricht Gott so zu den Menschen: „Das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, den Hungrigen dein Brot auszuteilen.“ (Jesaja 58,5-7). Beim Fasten im religiösen Sinn geht’s weniger um Enthaltsamkeit oder gar Gewichtsreduzierung. Es geht vor allem darum, den Hunger in der Welt zu bekämpfen. Und Menschen hungern, damals zuzeiten des Jesaja genauso wie heute, bei uns und weltweit. Über 800 Millionen Menschen sind es immer noch auf dieser Welt, die hungrig aufstehen und hungrig schlafen gehen, jeden Tag. Eine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun, die heute viele Menschen wählen, auch die gar nicht so religiösen, das ist: weniger Fleisch essen.

In Europa ist der Fleischkonsum ja enorm groß, und das trägt auf verschiedene Weise zum Hunger in der Welt bei: Zum Beispiel dadurch, dass in Südamerika auf riesigen Monokulturen Soja angebaut wird – das wiederum dient als Viehfutter für unsere Fleischfabriken in Europa. Ackerflächen sind das, die den Menschen dort verloren gehen. Außerdem braucht ein Kilo Rindfleisch in der Herstellung rund 15 000 Liter Wasser. Ein Kilo Mais zum Vergleich benötigt etwa 900 Liter. Fleisch hat also eine viel schlechtere Energiebilanz als etwa Gemüse. All das ist schlecht fürs Klima und schlecht für die Menschen, die von den Landflächen in Südamerika und vom Klima abhängig sind. Ich erinnere mich gut: Es waren für mich all diese Bilder und Nachrichten aus Südamerika, die mich ins Nachdenken brachten über meinen Fleischverzehr. Erst hab ich weniger gegessen. Mittlerweile esse ich gar keines mehr. Und ich freu mich darüber, dass es immer mehr Menschen gibt, die ihren Fleischkonsum reduzieren. Die zum Beispiel wieder ganz bewusst freitags kein Fleisch essen, einen Veggieday in der Woche einlegen. Oder die sagen: Ich esse jetzt in der Fastenzeit nur noch sonntags ein Stück Fleisch. Das ist nicht nur gesünder für den Einzelnen: Es ist wirklich auch ein Beitrag gegen den Hunger in der Welt. Nicht nur Ärzte empfehlen also heute, weniger Fleisch zu essen. Auch kirchliche Hilfswerke tun das, wie zum Beispiel Misereor, das gestern seine Fastenaktion eröffnet hat. Es wird immer klarer: Wer bei uns viel Fleisch isst, der isst den Menschen in den armen Ländern förmlich den Teller leer. Weniger Fleisch, das bedeutet mehr Gerechtigkeit. Und es ist damit wohl ein Fasten, vom dem Gott sagen würde: „Das ist ein Fasten, wie ich es liebe.“

Musik 3: „Get up, stand up“, Thomas Leeb (CD: Thomas Leeb, Trickster).

Weniger Auto fahren, weniger Fleisch essen: Ich finde es spannend, wie solche modernen Fastenideen mit den Fastenideen aus der Bibel verbunden sind. Vieles, was schon vor zweieinhalb tausend Jahren für das Fasten gegolten hat, ist heute noch gültig. Dazu gehört für mich auch: Es geht um eine Umkehr. Das ist ein ganz wichtiges Wort in der Bibel und der christlichen Tradition, das in der Fastenzeit immer wieder zu hören ist. „Kehrt um!“ lautet schon der erste Ruf Jesu, gleich am Anfang des Markus-Evangeliums, nachdem er zurückgekehrt ist aus vierzig Tagen Wüste. Jesu erste Botschaft lautet: Wir sollen die Richtung ändern, eine Kehrtwende vollziehen. Das klang schon damals vor zweitausend Jahren ziemlich radikal und utopisch. Aber auch heute gibt es diese radikalen Rufe zur Umkehr. Ich muss da an die 16jährige schwedische Schülerin denken, Greta Thunberg. Im vergangenen August hat sie damit begonnen, freitags die Schule zu schwänzen und vor dem Reichstag in Stockholm für den Klimaschutz zu demonstrieren. Mittlerweile haben sich ihr viele tausend Schülerinnen und Schüler auf der ganzen Welt angeschlossen, auch bei uns in Deutschland. Sie sagen: Warum sollen wir für die Zukunft lernen, wenn es diese Zukunft für uns gar nicht mehr gibt? Wir demonstrieren so lange, bis ihr aufhört, unsere Zukunft und das Klima zu zerstören. Der Ruf lautet auch da: Kehrt um! Ändert endlich die Politik und euer Leben!

Es muss heute also auch in Sachen Klimapolitik und Klimaverhalten eine Umkehr geben. Und die ist durchaus mit der religiösen Umkehr verbunden. Papst Benedikt hat schon vor über 17 Jahren den Begriff „ökologische Umkehr“ geprägt. Papst Franziskus hat ihn immer wieder aufgegriffen und verstärkt. In seinem Schreiben zur Umwelt lädt er zu einem ganz neuen Lebensstil ein, nicht nur die Katholiken, sondern alle Menschen.

Aber: Umkehren, radikal die Richtung und den eigenen Lebensstil ändern: Das ist natürlich nicht so einfach. Und deshalb verhallt der Ruf zur Umkehr oft auch ungehört, deshalb tut sich nicht immer etwas. Auch Greta Thunberg und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter müssen ja erleben: Es gibt viel Zuspruch und freundliche Worte, aber wenige Taten und politische Entschlossenheit.

Für mich ist die Fastenzeit eine Zeit, in der ich diese radikalen Umkehrrufe mehr an mich heranlassen will. In der ich wirklich versuchen will, auch mal Dinge auszuprobieren, die schwieriger und anstrengender sind. Ich hab mir zum Beispiel vorgenommen: Ich will bis Ostern das Plastikfasten radikaler umsetzen als bisher. Nicht mal nur hier und dort eine Tüte weglassen – sondern wirklich so wenig wie möglich Plastik und Verpackung verbrauchen. Ich will endlich mal den plastikfreien Laden ausprobieren, den es bei uns in der Stadt gibt. Will testen, ob ich Nudeln im Glas kaufen kann und mit Shampoo in Seifenform auskomme. Und konsequent auf den Kaffee to go verzichten, wenn ich meinen Mehrwegbecher vergessen habe. Das ist für mich Umkehr. Umkehr in Sachen Klima. Aber auch Umkehr im religiösen Sinn, Umkehr zu Gott.

Musik 4: „Fishbowl“, Thomas Leeb (CD: Thomas Leeb, Trickster).

Es gibt viele Möglichkeiten, wie man heute fasten kann in der Fastenzeit, viele haben mit Klima und Ökologie zu tun, das Plastikfasten, das Autofasten, das Fleischfasten. Für Menschen, die an Gott als Schöpfer dieser Welt glauben, sind all das auch Formen des religiösen Fastens. Ich glaube daran: Gott liebt dieses Fasten, das der Welt gut tut und das auch mir als Mensch gut tut.

Ich muss nicht alle Formen des Fastens gleichzeitig ausprobieren, nicht alles auf einmal und sofort tun. Muss die Messlatte nicht so hoch hängen, dass ich womöglich daran scheitere. Das Schöne an der Fastenzeit ist ja: Ich kann mir ein, zwei Vorsätze auswählen und die in einem überschaubaren Zeitrahmen ausprobieren. Kann eine Zeit lang radikaler leben, als ich das übers ganze Jahr hindurch hinbekommen würde. Sechseinhalb Wochen anders leben, das kann ich schaffen. Und dann kann es ja sein, dass ich merke: Dinge, die ich weggelassen haben, brauche ich auf Dauer gar nicht mehr.

Bei aller Mühe, die das Fasten mit sich bringt: Es ist ja auch etwas Großartiges, wenn ich merke: Ich kann mein Leben verändern. Ich kann mich ändern. Kann mit vielen kleinen Schritten etwas gegen die Klimakatastrophe tun. Oder für einen gesünderen Lebensstil. Ich hab die Kraft und die Möglichkeit dazu. Und ich stelle dabei oft fest: Auch ein gutes Gewissen ist eine ganz wunderbare Sache, die ich genießen kann und die mir gut tut. Papst Franziskus hat es in seinem Schreiben zur Umwelt einmal so gesagt: Ein solches Verhalten gibt uns „das Gefühl der eigenen Würde zurück, führt uns zu einer größeren Lebenstiefe und schenkt uns die Erfahrung, dass das Leben in dieser Welt lebenswert ist.“ (Laudato si Nr. 212)

Das mag für manchen schon allzu pathetisch klingen. Aber andererseits haben ja schon viele Menschen die Erfahrung gemacht: Fasten kann wirklich etwas Erhebendes sein. Es lässt mich erleben: Ich habe es in der Hand, etwas zu verändern in meinem Leben und für die Welt. Und dann ist Fasten eben nicht nur ein Verzicht. Es ist auch ein großer Gewinn.

Musik 5: „Deep, deep down“, Thomas Leeb (CD: Thomas Leeb, Trickster).

 

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