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Michael Tönges-Braungart
Ein Beitrag von Michael Tönges-Braungart, Pfarrer

Heute vor 150 Jahren erschien die erste Reclam-Ausgabe von Goethes „Faust“. 1867 wurden per Gesetz alle Werke gemeinfrei. Das bedeutete: Für Werke, deren Verfasser länger als 30 Jahre tot waren, mussten die Verlage weder Honorare noch Lizenzgebühren zahlen. Deshalb konnte der Reclam-Verlag seine Universalbibliothek zu unglaublich günstigen Preisen anbieten.

Die kleinen Bände waren einfach hergestellt – Literatur zum Gebrauch, ja zum Verbrauch und nicht zur Zierde einer Bibliothek. Generationen von Schülern haben Klassiker der Literatur und auch moderne Schriftsteller über die Reclam-Hefte kennengelernt. Ein paar davon, ziemlich zerfleddert und zerlesen, habe ich auch noch im Regal stehen.

Das war eine tolle Geschäftsidee des Verlags, die bis heute funktioniert. Aber diese Geschäftsidee hatte auch eine politische Dimension: Literatur und Bildung für alle. Es sollte nicht am Geld scheitern, dass Schüler mit wichtigen Bildungsinhalten vertraut werden, wichtige Werke der Literatur kennenlernen.

Literatur und Bildung für alle – das war schon die Idee der Reformatoren. Die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg ermöglichte es vor 500 Jahren, Druckerzeugnisse in großer Stückzahl und zu erschwinglichen Preisen herzustellen. Die Reformatoren – und vor allem auch Luther – haben sich das zunutze gemacht. Ihre Schriften wurden schnell unters Volk gebracht. Nicht zuletzt auch Luthers Bibelübersetzung.

Aber die Bibelübersetzung ergibt ja nur Sinn, wenn die Leute auch lesen und schreiben können. Erst dann kann jeder die Bibel selber studieren. Deswegen trat Luther dafür ein, dass die Landesherren und Stadträte Schulen für alle errichten. Lesen und Schreiben sollte kein Privileg der Kinder von Reichen bleiben. 1524 verfasste Luther darüber seine Schrift: „An die Ratsherren deutscher Nation, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen“. Übrigens war Luther der Auffassung, dass Jungen und Mädchen zur Schule gehen sollten.

Luther und die Reformatoren wünschten sich mündige Christen, die in der Lage waren, selber die Bibel lesen und sich daraus ein Urteil zu bilden. Die Menschen sollen selber verantworten, was sie glauben und was nicht.

Der Gedanke an mündige Staatsbürger, wie er heute für unsere Gesellschaft prägend ist, war den Reformatoren dabei noch fern. Aber dieser Gedanke hat seine Wurzeln auch in den Impulsen der Reformation zur Bildung für alle.
Literatur und Bildung für alle. Das ist heute selbstverständlich. Es gilt die allgemeine Schulpflicht – und in vielen Bundesländern darüber hinaus Lernmittelfreiheit. Der Staat stellt die Schulbücher.

Trotzdem ist der Bildungserfolg von Kindern bei uns stark abhängig von ihrer sozialen Herkunft. Mehr als in den meisten anderen Ländern der westlichen Welt. Bei uns in Deutschland gilt viel zu oft: Arme Eltern, schlechte Schüler. Gleiche Bildungschancen – ein Ideal, das noch nicht verwirklicht ist. Eine Idee, für die sich auch kirchliche Bildungseinrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Hochschulen stark machen. Eine Idee, deren frühe Wurzeln bis in die Zeit der Reformation reichen.

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