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Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte“
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Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte“

Winfried Engel
Ein Beitrag von Winfried Engel, Katholischer Ltd. Schulamtsdirektor i. K. i. R., Fulda
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Wenn man bei uns in der Rhön wandern geht, dann kann man sie noch treffen: Schäfer mit einer Schafherde. Schon als Kind hat es mich fasziniert, wie eine große Herde von Schafen hinter einem Schäfer herzog. Begleitet von Hunden, die aufpassten, dass es keine Ausreißer gab. Die Schafe waren fixiert auf den, der vor ihnen her ging. Sie blieben auch dicht beisammen, wenn die Herde an einem Ort zum Grasen verweilte. Dann stand der Schäfer neben der Herde, meist auf seinen Stab gestützt und schaute den Tieren zu. Ein friedliches Bild. Deshalb diente es wohl auch häufig Malern als Vorlage, wenn sie eine idyllische Landschaft zeichneten. Mit Schafen und einem Schäfer wirkt das Ganze noch friedlicher.

Schafe gelten als dumm, so jedenfalls sagt man allgemein. In Schimpfworten findet das dann seinen Ausdruck. Auch schwarze Schafe kennt man. Als Bild auf uns Menschen angewandt sind das die, die negativ auffallen, weil sie nicht angepasst sind, weil sie vielleicht sogar etwas ausgefressen haben. In Schafherden sind sie eher selten, aber es gibt sie wirklich. Und noch eine Eigenschaft schreibt man dem Schaf oder besser dem jungen Schaf, dem Lamm zu: Es erduldet widerstandslos so manches, selbst wenn es zur Schlachtbank geführt wird.

Die Bibel greift immer wieder auf das Bild des Schafes oder besser der Schafherde und ihres Hirten zurück. Das rührt daher, dass in allen Epochen der Bibel Schafe zu den Tieren gehörten, die die Menschen im Alltag um sich hatten und zu ihren Haustieren zählten. Das war auch zu Zeiten Jesu so. Schafe oder gar eine ganze Herde zu besitzen, bedeutete Wohlstand. Das Schaf lieferte Dinge des täglichen Gebrauchs: Wolle für die Kleidung, Milch für die Ernährung und sein Fleisch konnte ein Leckerbissen sein. Kein Wunder, dass das Schaf einen besonderen Wert besaß. Wenn Jesus zum Beispiel die Geschichte vom verlorenen Schaf erzählt, dann greift er auf die Lebenserfahrung der Menschen seiner Zeit zurück. Er erzählt vom guten Hirten, der sich um seine Schafe sorgt, um jedes einzelne. Sie sind ihm so viel wert, dass er dem einzelnen Schaf nachgeht, wenn es die Herde verloren und sich in der felsigen Landschaft verlaufen hat. Der gute Hirte geht seinem Schaf nach und holt es zurück. Dadurch bewahrt er es davor, von anderen Tieren angefallen und gefressen zu werden. Besser konnte man Menschen damals wohl nicht deutlich machen, wie Gott zu den Menschen steht. Wie der gute Hirte eben. Jeder einzelne Mensch ist ihm wichtig. Auch Gott geht jedem einzelnen nach, wenn er auf Abwege gekommen ist, wenn er sich verirrt hat. Dieses Bild haben die Menschen verstanden. Und wahrscheinlich hat es ihnen gutgetan, genau dieses zu wissen: dass da einer ist, der sich um sie sorgt, der sie nicht im Stich lässt, auf den sie sich immer verlassen können. 

Musik

Das Bild des Schafes oder besser, das des Hirten, prägt auch einen Text, den ich persönlich besonders mag. Es ist der Psalm 23. Er überträgt das Bild des Hirten auf Gott und beschreibt, wie Gott den Menschen auf seinem Lebensweg begleitet:

"Der Herr ist mein Hirte"

"Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Er stillt mein Verlangen; er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen. Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht. Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl, du füllst mir reichlich den Becher. Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang, und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit."

In diesem Text ist alles drin, möchte ich sagen. Verschiedene Lebenssituationen werden angesprochen. Er ist für mich ein wunderbares Bild, um die alles umfassende Fürsorge Gottes deutlich zu machen. Das beginnt schon mit der Feststellung zu Beginn: Wenn der Herr mein Hirte ist, dann mangelt es mir an nichts. Für die Schafherde bedeutet das, dort zu lagern, wo es grüne Pflanzen zu fressen gibt. Und wenn dieser Platz noch an einer Wasserstelle liegt, ist er kaum zu überbieten. Bilder von Schafherden, wie ich sie in Erinnerung habe, tauchen vor meinen Augen auf. Wie sie friedlich weiden und nichts zu vermissen scheinen. So darf auch ich mich fühlen, wenn Gott für mich sorgt. Doch wer will schon gern Schaf sein, so könnte jemand einwenden. Bedingungslos einem anderen folgen? Dumm und vielleicht sogar noch willenlos? Ganz sicher ist das nicht der Preis, den Gott von den Menschen fordert: Füge dich bedingungslos, und ich werde für dich sorgen. Mit dieser Deutung würde man das Bild vom treu sorgenden Gott total verfälschen. In dem Psalm geht es ja auch nicht um die Schafe, sondern um die Fürsorge des Hirten. Und die geht über das leibliche, nein, ich muss wohl sagen, das tierische Wohl hinaus. Sie ist umfassend. Dazu gehört auch, die Herde immer wieder an Stellen zu führen, wo sie das findet, was sie braucht. Doch damit nicht genug: Der Weg kann auch schwierig werden, durch finstere Schlucht führen, als bedrohlich empfunden werden. Doch solange der Hirte die Herde leitet, ist nichts zu befürchten. Mit seinem Stock wird er sie verteidigen, wenn es sein muss. Und dann setzt der Text noch einen drauf, wie man sagt: Nicht nur Schutz wird mir zuteil, nein, ich bekomme noch Wohltaten, wo ich sie eigentlich gar nicht erwarten könnte. Der gedeckte Tisch vor den Augen der Feinde, der gefüllte Becher, das geht schon weit über die alltäglichen Bedürfnisse hinaus. Und dazu werde ich noch herausgehoben aus der Masse, denn gesalbt wurde damals nur jemand, dem ein besonderes Amt übertragen wurde. Und das noch nicht genug: "Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang" und "wohnen darf ich im Hause des Herrn für lange Zeit". Also eine Perspektive, die besser nicht sein kann, die es an nichts fehlen lässt.

Musik

Eigentlich zu schön, um wahr zu sein, so sage ich zu mir selbst, wenn ich mir das in dem Psalm gemalte Bild vor Augen führe. Träumen darf man sicher davon, doch die Realität sieht nun einmal ganz anders aus. Das Bild, das der Psalm malt, gehört eher in den Bereich Idylle als in die harte Wirklichkeit. Würde dieser Text etwa den Menschen helfen, die in Kriegsgebieten dieser Erde leben und alles verloren haben? Würde er angesichts von Naturkatastrophen und Hunderter von Toten überhaupt noch gesprochen werden können? Müssten ihn nicht schon Menschen bei uns oder in anderen Teilen dieser Welt, denen das Notwendigste zum Leben fehlt, eher als Hohn denn als Trost empfinden? Das sind Fragen, die man nicht von der Hand weisen kann. Dennoch vertraue ich darauf: Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Ja, ich persönlich bin sogar fest davon überzeugt, dass dies eine reale Zusage ist. Die Bibel ist voller Zeugnisse, aus denen deutlich wird, dass Menschen es genau so erfahren haben. Und ich weiß, dass diese Erfahrungen auch heute stattfinden. Sicher nicht so, dass schlimme Ereignisse im Leben dadurch verschwinden. Krankheit, Leid und sonstige Not bleiben bittere Wahrheit, auch für den religiösen Menschen. Als Christ darf ich jedoch in der Gewissheit leben, dass Gott mich nicht verlässt, wenn mein Weg durch eine finstere Schlucht führt, wenn Unheil mich bedroht oder was immer auch geschieht. Mit diesem Bewusstsein kann ich mich auch den bitteren Ereignissen in diesem Leben stellen. Ich weiß, dass genau hier auch harte Kritik an der Religion ansetzt. Religion als Vertröstung angesichts des irdischen Elends, als Opium, das den Menschen berauscht und ihn unfähig macht, sich gegen Missstände in dieser Welt zu wehren. Und ich weiß auch, dass mein Glaube allein daran hängt, dass es diesen Gott gibt und dass sein Wort wahr ist. Doch genau darauf vertraue ich, und ich weiß mich hier in Gemeinschaft mit all denen, die seit Jahrhunderten genau so wie ich vertrauen. Ungezählte Menschen haben immer wieder bezeugt, dass sie diesen Gott und seine Fürsorge erfahren haben. Und so bin ich ganz sicher: Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.

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