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Musik: Trost in schwerer Zeit
Bild: Pixabay

Musik: Trost in schwerer Zeit

Alexander Matschak
Ein Beitrag von Alexander Matschak, Medienkoordinator des Bistums Mainz
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Sie bleibt eine große Herausforderung: diese Corona-Zeit. Für meine beiden Kinder, für meine Frau und für mich. Da geht es uns nicht anders als vielen anderen Familien. Auch wenn es jetzt erste Lockerungen gegeben hat. Die Kontaktsperre bleibt. Das heißt weiterhin für uns: Noch immer keine Schule für meine Kinder. Der Sportplatz bleibt gesperrt. Kein Spielen mit den Freundinnen und Freunden. Kein Shopping-Tag mit der Patentante. Kein Monopoly-Spielen mit dem Opa. Kein Kuscheln mit der Oma. Klar, wir wissen: Distanz ist notwendig. Aber sie fehlt uns trotzdem ganz schön, diese körperliche Nähe. Die kann auch der Videochat mit meiner Schwiegerfamilie, den wir jeden Abend machen, nicht wirklich ersetzen. Diese Distanz drückt uns manchmal wirklich aufs Gemüt. Da fließt auch so manche Träne.

„Besonders hilft mir die Musik“

Jede Abwechslung, die uns ablenkt von diesen trüben Gedanken, tut da gut. Und da gibt es Einiges, was mir Trost spendet. Besonders hilft mir die Musik. Ich habe heute für diese Morgenfeier ein paar Musiken mitgebracht, die mir in den vergangenen Wochen sehr geholfen haben. Da gehören Kirchenlieder dazu wie zum Beispiel „Christ ist erstanden“ oder auch „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr“. Ich will sie vorstellen und erzählen, warum sie mir Trost spenden.

Ein Familien-Nachmittag mit Beethoven

Eine solche Musik ist aber auch die berühmte „Ode an die Freude“ von Ludwig van Beethoven gewesen. Denn an einem Sonntagnachmittag wurde in einer unserer WhatsApp-Gruppen plötzlicher ein ganzer Satz von Notenblättern gepostet. Und zwar mit der „Ode an die Freude“. Der berühmte Chor aus Beethovens Neunter Sinfonie. Dazu die Aufforderung: Stellt euch um 18 Uhr ans Fenster, auf euren Balkon, auf eure Terrasse und musiziert mit.

Das hat bei uns so richtig gezündet. Meine Frau hat ihr Cello ausgepackt, ich mein Waldhorn – beide hatten seit Jahren unbenutzt in ihren Koffern gelegen. Meine Tochter hat sich ans Klavier gesetzt, mein Sohn hat sich am Schlagzeug einen Rhythmus ausgedacht. Und dann haben wir zusammen im Wohnzimmer geprobt. So hat man die „Ode an die Freude“ vermutlich noch nie gehört und auch ganz fehlerfrei war unser Musizieren nicht. Aber es hat uns Spaß gemacht, dieses gemeinsame Musizieren. Denn es hat uns für ein paar Stunden die trüben Gedanken rund um Corona vertrieben.

„Ode an die Freude“ auf dem Balkon 

Und noch besser wurde es um 18 Uhr. Da haben wir dann gemeinsam mit unseren Nachbarn musiziert: mit Blockflöten, einer Spielzeugtrompete, einer Klarinette und natürlich mit viel Gesang. Von überall her hat es geschallt: „Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, wir betreten feuertrunken, Himmlische, Dein Heiligtum“. Ziemlich ungewöhnlich hat Beethovens weltberühmte Musik bei uns Stadtviertel geklungen. Fast 200 Jahre ist sie alt: Und doch hat sie unsere Seele gewärmt, hat uns getröstet. Gerade in Corona-Zeiten.

Musik 1: aus: Ludwig van Beethoven: Schlusschor aus der Sinfonie Nr. 9 „An die Freude“ (CD: Beethoven Symphonie Nr. 9, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Wiener Staatsopernchor, Karl Böhm, Deutsche Grammophon, Track 5, 0.00 – 2.35 min).

Sterbensangst

Diese Zeit mit Corona: Sie ist auch eine Angst-Zeit. Viele Menschen haben zurzeit Angst. Angst um ihre wirtschaftliche Existenz, Angst um ihre Gesundheit, Angst um ihr Leben. Meine Mutter hat letztens zu mir gesagt: „Corona – das wird wohl doch noch mein Ende sein.“ Ich habe das abgetan. Gesagt, sie soll sich mal nicht so anstellen. Sie sei doch gesund. Aber mir ist das dann doch nachgegangen. Meine Mutter gehört mit fast siebzig Jahren zur Risikogruppe. Sie verlässt kaum noch ihre Wohnung. Geht höchstens mal mit meinem Vater in den Schrebergarten. Denn der Corona-Virus macht ihr Angst. Sterbensangst. 

„Nimm diesen Kelch von mir!“

Ich vermute: Viele kennen das. Sterbensangst, die Angst kurz vor dem Tod. Die Angst vor dem Moment, wenn das irdische Leben unwiderruflich endet. Kein sehr angenehmer Gedanke, den auch ich gerne zur Seite schiebe. Der mich aber angesichts des Corona-Virus irgendwie nicht loslässt. Sterbensangst: Die hat auch Jesus Christus gekannt. Im Garten Getsemani, am Tag vor seiner Kreuzigung, hat ihn tiefe Angst ergriffen vor dem, was auf ihn zukommt. Er hat zu Gott gebetet, geweint und gefleht: „Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir!“ (Markus 14,36) Und wenig später, in seiner Todesstunde am Kreuz, ruft Jesus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Markus 15,34) Wenn ich diese Passagen aus dem Neuen Testament höre, wird mir immer ganz besonders deutlich, wie menschlich Jesus war. Er muss sich in diesen letzten Stunden verzweifelt alleine gefühlt haben. Und ich denke jetzt an die vielen Menschen in den Krankenhäusern und Altenheimen, die sterben müssen. Die in ihrer schwersten Stunde nur ganz wenige Angehörige an ihrer Seite haben können. Ja, vielleicht nur eine Altenpflegerin, die ihre Hand hält. Auch sie rufen vielleicht: Wo ist Gott? Warum bin ich hier so gottverlassen?

„Wenn ich einmal soll scheiden“

Es gibt da einen Text des evangelischen Theologen und Dichters Paul Gerhardt. Über 400 Jahre ist er alt, aber er tröstet mich auch heute immer wieder, gerade jetzt in diesen Corona-Krisenwochen. Es ist das Passionsgedicht „O Haupt voll Blut und Wunden“. In der vorletzten Strophe heißt es: „Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir. Wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür. Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten, kraft deiner Angst und Pein.“ Dieses Gedicht geht auf einen mittelalterlichen Hymnus zurück, die Melodie stammt von dem deutschen Komponisten Hans Leo Haßler.

Bekannt ist das Lied vor allem durch die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach geworden. Dort erklingt diese Liedstrophe direkt nach dem Tode Jesu, nach den Evangelistenworten „Aber Jesus schrie abermal laut und verschied“. Mich hat diese Stelle in der Matthäus-Passion immer wieder besonders berührt. Es geht da eben nicht nur um das Sterben Jesu, sondern um das Sterben jedes Menschen. Und letztlich auch um mein Sterben. Unzähligen Menschen haben diese Worte, hat dieses Lied geholfen, getröstet aus dem Leben zu scheiden. Ich bete und singe diesen Text in diesen Krisenzeiten für die Menschen, denen es in ihrer letzten Stunde Angst und Bange ums Herz ist. Und ich hoffe, dass Gott ihnen die Sterbensangst ein wenig nehmen kann. Dass sie spüren: Gott nimmt mich jetzt in seine Arme.

Musik 2: Johann Sebastian Bach, Choral „Wenn ich einmal soll scheiden“ (CD: Matthäus Passion, Gächinger Kantorei, Bach-Collegium Stuttgart, Helmuth Rilling, CD 3, Track 8, 1.26 min).

Kar- und Ostertage ohne gemeinsame Gottesdienste

Ich habe es an den Kar- und Ostertagen dann doch wirklich sehr vermisst: Ich konnte keinen Gottesdienst mit vielen anderen Menschen in einer Kirche feiern. Zum Beispiel am Karfreitag: Da wird in katholischen Gottesdiensten normalerweise die Passion gelesen oder gesungen, da gibt es eine eindrucksvolle Kreuzverehrung. Und in der Osternacht wird sonst am Osterfeuer die Kerze entzündet und in die stockdunkle Kirche hineingetragen – und dann entzünden immer mehr Menschen ihre eigenen Kerzen und ein Lichtermeer entsteht – auch das hat mir richtig gefehlt. Und natürlich das gemeinsame Singen und Beten mit den Menschen in meiner Pfarrei. 

Am Ostermontag haben meine Familie und ich dann doch einmal bei unserer Pfarreikirche in Wiesbaden-Schierstein vorbeigeschaut. Wir wurden herzlich willkommen geheißen: Weit offen waren die Kirchentüren, und vor dem Altar brannte die Osterkerze auf einem geschmückten Kerzenleuchter. Wir haben unsere mitgebrachten Kerzen entzündet und uns in die Bank gesetzt. Haben zusammen in der leeren Kirche gebetet und gesungen.

Und doch: Ostergefühl und Trost beim Singen

Und dabei hatte ich dann doch so noch ein richtiges Ostergefühl. Und darüber habe ich mich richtig gefreut. Denn wir haben aus vollem Halse „Christ ist erstanden“ gesungen. Fast 1000 Jahre wird dieses Lied schon an Ostern gesungen, es ist das älteste deutsche Kirchenlied. Entstanden ist es um 1100 wahrscheinlich bei Passau, sein Vorbild für Melodie und Text ist der lateinische Ostergesang „Victimae paschali laudes“. Und wenn ich dieses Lied singe – dann ist Ostern für mich. In der dritten Strophe heißt es: „Halleluja. Des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.“ Und ich war tatsächlich getröstet.

Musik 3: „Christ ist erstanden“ (CD: Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder, Windsbacher Knabenchor / Leiter: Karl-Friedrich Beringer; Torsten Laux, Orgel, Track 1, 2.28 min).

Zwei Jünger auf dem Weg nach Emmaus

Bei dem Ostermontagsbesuch in der Kirche: Da ist mir auch das Evangelium des Ostermontags durch den Kopf gegangen. Es ist die Erzählung von den zwei Emmaus-Jüngern. Die beiden sind auf dem Weg von Jerusalem zu dem Dorf Emmaus. Unterwegs treffen sie den auferstandenen Jesus, erkennen ihn aber nicht. Er ist wie ein Fremder für sie. Sie sprechen mit ihm über das, was in Jerusalem geschehen ist: die Kreuzigung und den Tod Jesu. Und über die Gerüchte um das leere Grab. Jesus versucht, ihnen alles zu erklären und einzuordnen. Schließlich erreichen sie das Dorf Emmaus und laden Jesus ein, mit ihnen zu essen. Dann sitzt er am Tisch und bricht das Brot. Da erkennen sie ihn. Doch in diesem Moment ist Jesus verschwunden.

„Bleib doch bei uns!“

An einen Satz aus dieser Erzählung musste ich an diesem Ostermontag ganz besonders denken. Bevor die Jünger mit Jesus in das Gasthaus gehen, sagen sie zum ihm: „Bleib doch bei uns; denn es wird bald Abend, der Tag hat sich geneigt.“ (Lukas 24, 29) Die beiden Jünger haben Jesus nicht erkannt. Aber sie haben gespürt: Da ist jemand Außergewöhnliches mit uns mitgegangen. Jemand, der uns in dieser ausweglosen Situation guttut. Der ein Ohr hat für unsere Sorgen und Nöte. Der uns tröstet. Der uns Hoffnung gibt. Und deswegen bitten sie ihn: Bleibe bei uns. Und Jesus bleibt. Ich bin tief davon überzeugt: Jesus ist auch jetzt bei uns. Auch in diesen Corona-Zeiten. Er hat uns nicht verlassen. Er steht uns bei.

Ein Abendlied von Rheinberger

„Bleib doch bei uns; denn es wird bald Abend, der Tag hat sich geneigt.“ Der Komponist Joseph Rheinberger hat diesen Satz für sechsstimmigen Chor vertont. Gerade mal 15 Jahre ist er dabei alt gewesen. Ich habe dieses Stück selbst gesungen. Zurzeit höre ich es mir abends oft vor dem Schlafengehen an. Und ich finde: Es ist Rheinberger wie keinem anderen gelungen, diesen Bibelsatz zu vertonen, die Atmosphäre der Situation zwischen den Jüngern und Jesus in Tönen einzufangen. Bitte, Hoffnung, Trost: All das klingt in dieser kleinen, wunderbaren Komposition an. 

Musik 4: Joseph Rheinberger, Abendlied (CD: Singer Pur, Musik für Stimmen, Track 19, 2.59 min).

„Glaube ohne Musik kann ich mir nicht vorstellen“

Die Musik: Sie hat schon mein ganzes Leben begleitet. Ich habe als Jugendlicher Klavier, Orgel und Waldhorn gelernt und Gesangsunterricht bekommen, schließlich Musikwissenschaft studiert. Auch wenn ich jetzt als Medienmensch in der Kirche arbeite: Musik wird mir immer wichtig bleiben. Und: Ich kann mir auch meinen Glauben ohne die Musik nicht vorstellen. Ich meine: Musik kann wie kaum eine andere Kunst religiöse Emotionen transportieren. Ich denke da zum Beispiel an den mitreißenden Halleluja-Jubel aus Georg Friedrich Händels Oratorium „Messias“. Oder an die Trauer, die Johannes Brahms „Deutsches Requiem“ durchwebt. Ich denke da aber auch an zwei Kirchenlieder, die ich sehr liebe.

„Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr“

Eins zum Beispiel ist das Lied des niederländischen Textdichters Huub Oosterhuis  „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr“. Der Text der ersten Strophe lautet: „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr; fremd wie dein Name sind mir deine Wege. Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott; mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen? Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt? Ich möchte glauben, komm mir doch entgegen.“ Oosterhuis schrieb das Lied für die Trauerfeier nach dem Tod eines jungen Mannes. Zurzeit geht mir dieses Lied nicht aus dem Kopf. Es fragt nach den unbegreiflichen Wegen Gottes. Spricht von der Angst vor dem Tod. Formuliert Zweifel. Bittet um die Nähe Gottes. Und das schätze ich an diesem Lied: Dass ich Gott alles das sagen kann. (1:30)

Musik 5: Huub Oosterhuis / Bernard Huijbers, „Ich steh vor dir mir leeren Händen, Herr“ (CD: Atem meiner Lieder, Schola der Kleinen Kirche Osnabrück, CD 1, Track 1, 2.42 min).

„Wer nur den lieben Gott lässt walten“

Aber trotz so mancher Zweifel: Ich habe mein Gottvertrauen noch nie ganz verloren. Gott sei Dank. Und ich bete darum, dass es so bleibt. Auch und gerade jetzt in den Zeiten der Corona-Pandemie. Und da ist es wieder die Musik, da ist es wieder ein Kirchenlied, das mir diese Zuversicht schenkt. Das mich tröstet und stärkt. Georg Neumark hat es in der Mitte des 17. Jahrhunderts gedichtet und vertont. Und die erste Strophe lautet: „Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit. Den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit. Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut, der hat auf keinen Sand gebaut.“ Das Lied geht zurück auf Psalm 55 – dort heißt es in Vers 23: „Wirf deine Sorge auf den Herrn, er wird dich erhalten! Niemals lässt er den Gerechten wanken.“ Neumark selbst hat das Lied als ein „Trostlied“ bezeichnet und mit diesen wunderbaren Zeilen endet es: „Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht.“

Musik und Glaube: „Beides trägt mich“

Es sind so viele, auch ganz verschiedene Melodien, die mich immer wieder stärken und trösten. Musik, die fast 1000 Jahre alt ist. Aber auch aktuelle Musik. Musik: Sie ist ein innerer Schatz, auf den ich immer wieder zurückgreifen kann. Gerade, wenn es ans Eingemachte geht, wenn ich mich schlecht fühle, wenn es Krisen zu bewältigen gibt. Musik und mein Glaube: Beides trägt mich, durch alle Zeiten hindurch.

Musik 6: „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ (CD: Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder, Windsbacher Knabenchor / Leiter: Karl-Friedrich Beringer; Torsten Laux, Orgel, Track 10, 0.58 min).

 

 

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