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Martin – Patron der Gerechtigkeit
Foto: Bistum Mainz / Dr. Sven Herget

Martin – Patron der Gerechtigkeit

Dr. Ansgar Wucherpfennig
Ein Beitrag von Dr. Ansgar Wucherpfennig, Jesuitenpater, Professor für Neues Testament an der Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt
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Neulich bin ich am Berliner Hauptbahnhof morgens in den Zug eingestiegen, die warme Oktobersonne hat noch geschienen, und ich habe mich auf die Fahrt zurück gefreut durch die Felder mitten in den goldgelben Herbstfarben. Zwischen Hauptbahnhof und Zoo stieg ein Obdachloser ein und hat die Zeitung der Obdachloseninitiative verkauft. Und mit ihm ist auf einmal eine andere Welt in den voll besetzten Zug gekommen. Viele Leute leben in Berlin auf der Straße, hat er gesagt, und von ihren Lebensbedingungen erzählt, ihrem Stress und, was ihre Projekte sind.

„Glücklich die Armen, denn ihnen gehört das Reich Gottes“, dieser Satz aus den Seligpreisungen Jesu fiel mir ein. Wie weit lebe ich doch von diesen Armen entfernt, die Jesus glücklich preist. Dieses Jahr war ein warmer Sommer, aber auf der Straße hätte ich ihn nicht verbringen wollen. Im Zug in Berlin habe ich einen Moment überlegt, dann habe ich dem Obdachlosen zwei Euro gegeben und hatte seine Zeitung in den Händen. Darin habe ich von einem Wohnungslosentreffen 2018 gelesen. Über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland und Europa waren dazu in den niedersächsischen Ort Freistatt gekommen. Fünf zentrale Themen haben sie mit konkreten Forderungen ausgearbeitet: Soforthilfe, Hilfe zur Selbsthilfe, Medizinische Versorgung, Konfliktlösungen und Wohnen und Wohnungsbau. Zur Soforthilfe hieß es dort: „Das Leben auf der Straße ist eine Bedrohung für Leben und Gesundheit und des Menschen unwürdig. Hilfe und Unterstützung müssen unmittelbar zur Verfügung stehen. Für uns heißt das konkret, dass beispielsweise der Regelsatz an Sozialhilfe nicht angetastet werden darf. Die Lebens(er)haltungskosten auf der Straße sind hoch.“

Dann habe ich mich geschämt, dass ich dem obdachlosen Mann nur Zwei Euro gegeben habe. 1,50 hätte das Blatt gekostet, 50 Cent mehr. Was hilft das für das Elend, das er und unzählige Obdachlose erleben, und das erst recht in den kommenden kalten Monaten wieder viel beißender und härter wird?

An diesem Wochenende finden viele Martinsumzüge statt. Sie erinnern daran, wie der heilige Martin seinen Mantel mit einem Bettler geteilt hat. Auch der heilige Martin hätte sich das fragen können: Was bringt meine Hilfe? Mit der Hälfte seines Mantels hat er sicher mehr gegeben als ich mit meinen armseligen 50 Cent. Ich habe einmal gehört, er habe damit den ganzen Teil seines Soldatenmantels gegeben, der ihm gehörte. Der Rest des Mantels war als Teil der Ausrüstung römisches Staatseigentum. Der Mantelteil hat den Bettler im Stadttor von Tours sicher einige Nächte lang warmgehalten.

Auch ich kann etwas für mehr Gerechtigkeit tun, und wenn es nur 50 Cent sind, die ich gebe, oder wenigstens ein freundlicher Gruß oder ein Lächeln für jemand, der an der Straße sitzt und bettelt. Politik kann mehr bewegen als ein Einzelner. Soziale Gerechtigkeit braucht Politik, die Obdachlosen haben recht mit ihren politischen Forderungen. Morgen beginnt in der ARD eine Themenwoche zur Gerechtigkeit. Ein glücklicher Zufall, dass sie morgen mit dem Tag des heiligen Martin beginnt.

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