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Mal tags, mal nachts
Bildquelle: falco/Pixabay

Mal tags, mal nachts

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer i. R., Kassel
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Immer der gleiche Griff. Bevor Franz losfährt, greift er neben sich auf den Sitz. Da liegt ein Rosenkranz. Nach dem greift er. Nicht, weil Kranz sich auf Franz reimt, sondern weil er Schutz sucht. Schutz vor dem Fehler, der Unachtsamkeit. Franz ist Kraftfahrer; fährt Lkw, mit Anhänger. Und ist viel unterwegs auf allen Straßen. Mal tags, mal nachts. Er hat schon manches erlebt. Schönes und Übles. Beim Üblen fürchtet er, dass es ihn mal trifft. Dass er einen Fehler macht, nicht aufpasst und so. Der Lkw ist wie Zuhause. Hier schläft er oft, kocht, liest und schreibt Nachrichten an seine Frau. Glücklich ist die nicht, dass Franz oft weg ist. Es wackelt etwas, das Glück Zuhause. Noch ein Grund, Schutz zu suchen.

Bevor Franz den Motor anlässt, greift er zum Rosenkranz mit den Perlen. Ein Erbstück der Großmutter. Als ihre Wohnung ausgeräumt wurde, fand man den Kranz. Niemand wusste so recht, was damit machen. Da nimmt ihn Franz. Denkt nicht lange nach und legt ihn auf den Beifahrersitz. Dort liegt er. Seit drei Jahren. Und tut seine Dienste. Franz nimmt dann mit der rechten Hand den Kranz und lässt ihn ein wenig durch die Hand gleiten. Perlen aus Holz; jede Perle ein Gebet. Das weiß Franz. Aber ungenau. Einzelheiten sind ihm nicht wichtig. Wichtiger ist ihm, was er dabei denkt. Bewahre mich vor dem Bösen, denkt Franz. Das braucht er. Jedes Mal braucht er das, wenn er den Lkw startet. Er fühlt sich dann besser, aufmerksamer. Manchmal schaut er während der Fahrt nach rechts auf den Sitz, ob der Rosenkranz noch da liegt, nicht weggerutscht ist. Immer liegt er am Platz.  

Immer beschützt er, hofft Franz. Er fühlt sich behütet, seit er den Kranz hat. Weniger allein. Er weiß, dass er nicht alles alleine schafft. Er hat einfach zu viel erlebt. Und kennt Kollegen, die auch Schutz suchen. Andere haben Figuren im Fahrerhaus. Er hat Gott. Also den Rosenkranz. Der ist ihm ein bisschen wie Gott. Und bewahre mich vor dem Bösen, flüstert Franz, wenn er die Perlen in der Hand hat. Immer in der rechten. Ihm würde was fehlen ohne den Kranz. Ohne den Schutz, um den er bittet. Bitten muss. Er fühlt sich mehr bei sich, seit er bittet. Weil jemand auf ihn achtet.

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