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Kommen Übeltäter auch in den Himmel?
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Kommen Übeltäter auch in den Himmel?

Dr. Annegreth Schilling
Ein Beitrag von Dr. Annegreth Schilling, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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Kinderfragen sind schwer zu beantworten. Gerade verbringen wir mit unseren drei Kindern wie alle viel Zeit zu Hause. Also hat mein sechsjähriger Sohn noch mehr Gelegenheit, mir Löcher in den Bauch zu fragen. Neugierig wie er ist, will er alles wissen und die Welt verstehen. Neulich hat er mich gefragt: „Mama, wie ist das eigentlich mit Menschen, die ganz Schlimmes gemacht haben: Kommen die auch in den Himmel?“

Kommen böse Menschen in den Himmel?

Solche Fragen sind auch jetzt nicht weg, obwohl in der Corona-Krise ganz andere Ungewissheiten auf uns allen lasten. Mein Sechsjähriger will trotzdem wissen: Kommen böse Menschen in den Himmel? Klare Fragen verlangen eine klare Antwort. Ich versuche es, aber ich tue mich schwer. Ich sage zu meinem Sohn: „Naja, also vielleicht… Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht.“
Das ist weder eine klare Antwort noch befriedigend, das weiß ich selber.
Mein Sohn schaut mich fragend an und geht dann spielen.
Die Frage nagt an mir. Ja, was ist mit den Übeltätern?
Menschen, die anderen willentlich Leid zufügen?

Wie sieht Gott böse Menschen an?

Ich denke an Menschen wie den Attentäter von Hanau, der im Februar zehn Menschen ermordet und dann sich selbst erschossen hat. Oder an Menschen, die jemanden missbraucht haben. Menschen, die böse Sachen machen, so würde mein Sohn sie nennen. Wie sieht Gott diese Menschen an? Haben sie überhaupt einen Platz bei Gott?

Drei Kreuze auf Golgatha

Diese Frage kommt auch im Evangelium vor, das zum Karfreitag heute gehört. (Lukas 23) Jesus wird zum Tod verurteilt. Er soll gekreuzigt werden. Die Kreuzigung war damals eine übliche und rechtlich anerkannte Strafe. In der Bibel steht, dass Jesus mit zwei Übeltätern hingerichtet wird. Auf Golgatha, so heißt der Hügel der Hinrichtung, stehen drei Kreuze. In der Mitte das von Jesus, rechts und links daneben das der beiden anderen Verurteilten. Was sie genau getan haben, wissen wir nicht, sie haben auch keine Namen. Aber in der Bibel ist überliefert, dass die beiden Verbrecher am Kreuz mit Jesus sprechen.

Worum es in diesem Gespräch geht, davon erzähle ich nach der Musik.

Musik

Die zum Tode Verurteilten

Es gibt viele Bilder von der Kreuzigung Jesu auf dem Hügel Golgatha: in der Mitte ein großes Kreuz und rechts und links davon zwei kleinere Kreuze. Mit Jesus wurden zwei Menschen zum Tod verurteilt, weil sie Böses getan haben. Und sie gehen sehr unterschiedlich mit der Schuld um, die sie durch ihre Tat auf sich geladen haben.

Ein ohnmächtiger Erlöser

Der eine lästert sogar noch am Kreuz über Jesus und fragt ihn: „Bist du nicht der Christus?“ Der große Retter und Wundertäter. Und dann fordert er Jesus spöttisch auf: „Hilf dir selbst und uns!“ Dieser Verbrecher hat wohl davon gehört, was viele erzählen: dass Jesus übermenschliche Kräfte besitzt. Er macht sich darüber lustig, dass Jesus jetzt hilflos am Kreuz hängt. Ein ohnmächtiger Erlöser – lächerlich! Und er fordert ihn dazu auf, sie (also die Verbrecher) und sich selbst vom Tod zu retten. Dieser Mensch spricht kein Wort über seine Schuld.

„Wir bekommen, was unsre Taten verdient haben."

Der andere Verbrecher reagiert ganz anders. Er weist den Spötter zurecht: „Wir bekommen, was unsre Taten verdient haben. Aber Jesus hat nichts Unrechtes getan.“ Dieser Mann am Kreuz neben Jesus geht offen mit seiner Schuld um. Er weiß, was er getan hat. Er versucht nicht, sich im Angesicht des Todes herauszuwinden, sondern übernimmt die Verantwortung für sein Fehlverhalten bis zur letzten Minute.

Beeindruckend! Damit wird ja nicht das, was er getan hat, ungeschehen gemacht oder weniger schlimm. Aber ich erkenne, dass dieser Mensch mit sich und seiner Tat ringt. Ganz kleinlaut, ganz demütig spricht er Jesus an und bittet ihn: „Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ Für ihn ist klar: Ich gehe hier und jetzt in den Tod. Ich muss mich verantworten für meine Tat. Was danach ist, das steht nicht mehr in meiner Hand.

Mit Jesus gemeinsam im Paradies

Jesus antwortet ihm etwas Unglaubliches: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Wie das wohl in den Ohren des Verbrechers geklungen hat? Jesus verspricht, nicht nur vom Himmel aus milde an ihn zu denken. Er verspricht ihm, dass er selbst dort sein wird. Mit Jesus gemeinsam im Paradies. Das übersteigt alles, was ich mir vorstellen kann.

Gott vergibt dem, der seine Schuld eingesteht

Und der andere Verbrecher, der über Jesus lästert? Kommt der nicht ins Paradies? Das Evangelium lässt das offen. Und ich bin da heilfroh drum, dass Jesus nicht zu dem anderen sagt: Du bist verdammt! In dieser Szene am Kreuz geht es darum, dass Gott dem vergibt, der seine Schuld eingesteht. Mehr noch: Dass er gemeinsam mit Jesus einen Platz im Paradies sicher hat.

Jemandem zu vergeben, der Schlimmes getan hat – kann ich das? Wie gehe ich mit Menschen um, die in meinen Augen Böses getan haben?

Musik

Der Karfreitag mutet den Glaubenden viel zu

Der Karfreitag mutet mir viel zu! Jesus verspricht einem Verbrecher, mit ihm ins Paradies zu kommen. Daran erkenne ich in Bruchstücken: Gott vergibt und liebt bedingungslos, egal was er oder sie gemacht hat.

Ehrlich gesagt, da stockt mir der Atem. Denn wenn ich an den Attentäter von Hanau denke, dann kann, ja dann will ich mir nicht vorstellen, dass er einen Platz im Paradies bekommt. Nein, soweit kann Gottes Liebe doch nicht gehen, dass Opfer und Täter sich auch noch im Himmel gegenübersitzen müssen. Das denke ich auch bei weniger schlimmen Verbrechen. Etwa bei den Leuten, die jetzt die Corona-Krise ausnutzen und andere betrügen. Sie geben sich bei Senioren als Angehörige von Corona-Erkrankten aus und behaupten, sie bräuchten dringend Geld für die Behandlung im Krankenhaus. Da denke ich: Gott, wie schlecht können Menschen sein! Da muss es doch Strafe und Gerechtigkeit geben – wenn nicht hier und jetzt, dann spätestens im Jenseits. Und doch weiß ich, dass meine Antwort nur vorläufig ist. Denn nur Gott wird das letztlich entscheiden.

Wie gehen wir mit Verbrechern um?

Wie gehen wir mit Menschen um, die Verbrechen begangen haben und unser Zusammenleben erschüttern? Jesus fordert an einer Stelle in der Bibel dazu auf: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“ (Matthäus 5,44) Noch so eine Zumutung.

In den zahlreichen Gedenkgottesdiensten nach dem Attentat von Hanau wurden Kerzen angezündet. Menschen haben für die Opfer und ihre Angehörigen gebetet. In einem dieser Gottesdienste wurde auch eine Kerze angezündet für den Attentäter. Sie stand etwas abseits, nicht im Rampenlicht. Das wäre eine Verhöhnung der Opfer. Aber sie stand da und flackerte still und einsam. Dieses Bild hat sich mir eingeprägt. „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“

„Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“

Das ist viel verlangt. Bei der zentralen Trauerfeier in Hanau hat Alja Kurtovic geredet, die Schwester eines Ermordeten. Sie hat gesagt: „Ich wurde gefragt, ob ich Hass spüre. Nein, ich empfinde keinen Hass (…) Ich will, dass wir uns alle von Hass abgrenzen.“ Mich hat das sehr bewegt.

Es ging ihr nicht um Versöhnung mit dem Täter. Das geht so kurz nach solch einer Tat auch nicht – falls es jemals möglich sein kann. Aber es ging ihr darum, dass die Bluttat und der Hass nicht das letzte Wort haben, sondern dass das friedliche und glückliche Zusammenleben der Menschen siegt.

Gottes Liebe ist stärker als Hass und Gewalt.

Ich habe immer noch die Frage meines sechsjährigen Sohnes im Ohr: Kommen die Übeltäter der Welt nun in den Himmel oder nicht? Das wissen wir nicht genau. Aber ja, es kann sein. Ich glaube, wenn Menschen im Himmel vor Gott stehen, dann ist Gottes Liebe so durchdringend, dass sie einsehen, was sie getan haben – auch die Übeltäter. Und das geht so tief und ist so bitter, dass sie erkennen, was sie anderen angetan haben. Dann spüren sie – so wie der einsichtige Verbrecher am Kreuz neben Jesus: Ich habe nichts als den Tod verdient. Und genau in dem Moment sagt Jesus: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“

Das ist der Karfreitag. Gottes Liebe überwindet Schuld. Gottes Liebe ist stärker als Hass und Gewalt. Und sie ist stärker als der Tod. Und zwar nicht erst im Himmel, sondern schon jetzt.

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