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Jona und Corona: von den Schwierigkeiten eines Propheten
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Jona und Corona: von den Schwierigkeiten eines Propheten

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
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An den Propheten Jona muss ich in Corona-Zeiten jetzt immer mal wieder denken. Genau, der mit dem Walfisch. Ein Buch in der Bibel erzählt von ihm, es heißt auch so: das Buch Jona. Es gehört zu dem alttestamentlichen Prophetenschriften. Propheten waren in der Bibel aber keine Wahrsager, keine Leute, die die Zukunft aus dem Nichts oder aus einer Glaskugel bestimmen können. Propheten: Das sind Menschen, die Dinge sehen und hören können, die andere nicht sehen und hören. Die Stimme Gottes zum Beispiel. Oder auch bestimmte Zeichen der Zeit. Meistens sind es warnende Stimmen und warnende Zeichen der Zeiten. Wenn ihr so weiter macht, dann gibt’s eine Katastrophe. So in der Art. Und die Propheten mussten diese Warnungen weiterreichen. Jona zum Beispiel, aber auch Jeremia oder Jesaja.

Ihr müsst euer Leben umstellen

Das war kein leichter Job. Warnungen hat das Volk damals nicht so gerne gehört – und es hört sie auch heute meist nicht so gern. Vor allem, wenn mit den Warnungen der Aufruf verbunden ist: Ihr müsst etwas ändern! Euer Leben umstellen! Eure Gewohnheiten verändern! Es klingt vielleicht etwas komisch, aber: Für mich waren in den letzten Wochen die Virologen auch so etwas wie Propheten. Christian Drosten oder Lothar Wieler. Sie haben auch unentwegt gerufen: „Ihr müsst euer Leben umstellen! Bleibt zuhause! Bleibt auf Distanz! Sonst gibt’s womöglich überfüllte Krankenhäuser und viele Tote!“ Der Prophet Jona damals musste durch die ganze riesige Stadt Ninive laufen und dabei ständig rufen: „Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört!“

Ich kann nicht weglaufen

Es macht keinen Spaß, so zu rufen und zu warnen. Jona hatte sich vor dieser Propheten-Aufgabe auch erst mal drücken wollen. Und hier kommt der Walfisch ins Spiel. Als Gott zu Jona sagt: Warne die Leute! Da flieht Jona erst mal bis ans andere Ende der Welt. Er besteigt ein Schiff und will „weit weg vom HERRN“, so heißt es im Buch Jona gleich zweimal (Jona 1,3). Aber Gott, der HERR, stoppt Jona. Er lässt einen gewaltigen Seesturm aufziehen, das Schiff droht zu sinken. Und weil die Seeleute ahnen: Das hier hat mit Jona zu tun, werfen sie ihn über Bord. Dann schickt Gott den großen Fisch, genau genommen steht in der Bibel gar nichts von einem Wal. Dieser Fisch verschlingt den Jona. Und im Bauch des großen Fisches versteht Jona: Ich kann nicht weglaufen. Ich muss meinen Job als Prophet erledigen.

Manchmal hab ich die letzten Wochen gedacht: Womöglich wären die Virologen Christian Drosten und Co. oder auch unsere Politikerinnen am liebsten auch bis ans Ende der Welt geflohen. Aber sie mussten ihren Job machen: Sie haben sich vors Volk gestellt und ihm gesagt: Leider müssen wir unser Leben gerade komplett umstellen, und zwar für eine ganze Weile!

Aber ich entdecke noch andere Parallelen zwischen Jona und den Virologen und Politikern heute.

Alles kann so bleiben

Wie reagiert ein Volk, wenn man ihm sagt: Stellt euer Leben komplett um! Verändert eure Gewohnheiten! Es gibt zwei Möglichkeiten. Die eine: Die Menschen sagen: Das kommt überhaupt nicht in Frage! Wir machen so weiter wie bisher! All diese dunklen Warnungen sind doch eh Quatsch. In der Bibel ist das die Antwort, die die Propheten ziemlich oft zu hören bekommen. Zum Beispiel der Prophet Jeremia. „Kehrt um“, ruft er. Aber das Volk sagt: „Daraus wird nichts! Wir wollen unseren eigenen Plänen folgen.“ (Jeremia 18,12 / Luther) Die Leute hören nicht auf ihn. Lieber hören sie auf die anderen Propheten – und die Bibel nennt sie die falschen Propheten -, die sagen: Alles kann so bleiben, wie es ist. Euch passiert schon nichts. Vermutlich rechnet auch der Prophet Jona mit gehörigem Widerstand, als er das Volk von Ninive warnen soll, deswegen: Flucht bis ans Ende der Welt, Walfisch und so weiter.

Menschen ändern ihr Verhalten

Aber das Interessante: Bei Jona kommt die zweite Möglichkeit zum Tragen. Als er auf Geheiß seines Gottes durch die große Stadt Ninive läuft und dem Volk zuruft: „Achtung, Achtung, Ninive wird zerstört werden!“ Da geschieht nämlich etwas ganz anderes: Die Menschen hören doch tatsächlich auf ihn. Im Buch Jona heißt es: „Die Leute von Ninive glaubten Gott. Sie riefen ein Fasten aus und alle, Groß und Klein, zogen Bußgewänder an.“ (Jona 3,5) Die Menschen stellen ihr Verhalten um – und das große Unglück bleibt tatsächlich aus. In der Bibel hat das natürlich direkt mit Gott zu tun, der bereut, was er tun wollte. Das lässt sich auf heute ganz sicher nicht übertragen, ich würde nie sagen: angedrohte Katastrophen sind angedrohte Strafen Gottes. Aber was ich schon spannend und ähnlich finde: Da glauben Menschen den Propheten, sie ändern ihr Verhalten – und können die Katastrophe abwenden.

Es ist doch gar nichts passiert

Diese abgewendete Katastrophe übrigens: Für die Propheten ist das gar keine so wunderbare Sache. Denn jetzt tritt ja nicht ein, was sie angekündigt hatten. Und das ist für die Glaubwürdigkeit von Propheten ein Problem. Wie oft mussten sich das die Virologen in den letzten Wochen anhören: Es ist doch gar nichts passiert! Ihr redet von drohenden überfüllten Krankenhäusern und tausenden Toten – und all das ist ausgeblieben. Dann können die Virologen noch so oft antworten: Ja, genau. Es ist ausgeblieben, weil wir gewarnt und wir alle zusammen etwas geändert haben. Für die Propheten fühlt sich ihr Erfolg immer irgendwie auch an wie eine Niederlage.

Der Prophet Jona damals hat das offensichtlich auch so empfunden. Als Ninive gerettet wird, ist er darüber keineswegs glücklich. Die Bibel erzählt: „Das missfiel Jona ganz und gar und er wurde zornig.“ (Jona 4,1) Er wirft seinem Gott vor: Ich wusste es! Du bist viel zu gnädig und barmherzig und lässt das Unheil nicht geschehen.

Propheten ahnen: Von einem Happyend haben sie persönlich wenig. Selten gibt’s dafür großen Dank. Aber wie wichtig ist es trotzdem, dass es diese Propheten gibt. Menschen, die sich trauen, Gefahren klar zu benennen und vor ihnen zu warnen.

Propheten von damals und heute

Ich finde sie beeindruckend, diese Propheten damals und heute. Menschen, die einen klaren Blick für das Hier und Jetzt und für die Zukunft haben. Die Gefahrenlagen erkennen. Und das, was sie erkannt haben, dann auch aussprechen und öffentlich machen. Auch, wenn es unangenehm wird. Wenn sie dafür Ablehnung und Angriffe riskieren. Meistens sind die Propheten ja ihrer Zeit voraus. Sie sehen Entwicklungen, die wir noch nicht sehen. Aber nicht, weil sie in eine irgendeine Glaskugel schauen, sondern eben: weil sie die Zeichen der Zeit zu deuten wissen. Jetzt rund um den 8. Mai ist wieder viel zu lesen und zu sehen über den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus. Ich staune dabei immer wieder, wie früh Menschen gesehen haben, was Hitler im Schilde führt, auch Kirchenleute wie der Dominikaner Laurentius Siemer oder der evangelische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer. Sie haben deutlich gewarnt, schon Anfang der 30er Jahre. Sie waren Propheten in ihrer Zeit.

Die schweren Folgen der Klimakrise

Genau hinsehen, was gerade passiert, und vor dem warnen, was passieren könnte. Das ist zu allen Zeiten eine wichtige Aufgabe. Ich muss heute dabei nicht nur an die Virologen denken, die uns warnen vor den möglichen Katastrophen von Corona. Ich denke auch an die Menschen, die beharrlich warnen vor den Folgen der Klimakrise. Sie sagen: „Ändert euer Verhalten! Nehmt einen neuen, einfacheren Lebensstil an! Sonst ist diese schöne Erde bald kaum noch bewohnbar für uns Menschen!“ Auch Papst Franziskus übrigens redet so, in seiner großen Umweltenzyklika zum Beispiel, die vor ziemlich genau fünf Jahren veröffentlicht wurde. Für mich ist auch er ein Prophet, ein Prophet für Klima-Gerechtigkeit.

Prophetischer Kampfgeist

All diese Propheten sind für mich auch Vorbilder. Jona und Jeremia. Bonhoeffer und Papst Franziskus. Und auch Christian Drosten. Sie kämpfen gegen Krisen und Katastrophen. Weil sie das Gegenteil wollen: Gesundheit, Heilung und Heil für die Menschen. Von diesem prophetischen Kampfgeist will ich mir eine Scheibe abschneiden.

 

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