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In der Schule eines Adlers
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In der Schule eines Adlers

Marcus Vogler
Ein Beitrag von Marcus Vogler, Leitender katholischer Pfarrer der Pfarrei St. Bonifatius Amöneburger Land
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In meinem Urlaub in Florida habe ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Weißkopfseeadler in freier Wildbahn gesehen. Mit einer Größe von 85 cm und einer Flügelspannweite von ca. 2.30 m hat er schon gewaltige Ausmaße. Der Adler im Allgemeinen ist ein sehr kluges Tier. Kaum das die Sonne aufgeht, kann man den Adler beobachten, wie er sich auf einem Felsen niederlässt, um in aller Ruhe und Gründlichkeit sein Gefieder zu pflegen. Was das für eine Riesenaufgabe ist, sieht man daran, dass der Adler pro Flügel sagenhafte 1.200 Federn (!) hat. Bei diesem morgendlichen Ritual hetzt sich der Adler aber nicht, sondern er geht gründlich und systematisch vor. Angeblich zieht er sich jede einzelne Feder durch seinen Schnabel und haucht sie mit seinem Atem an. Anschließend ölt er sie mit Öl aus seiner Drüse in der Nähe seines Schwanzes. Diese ganze Prozedur dauert täglich etwa eine Stunde. Auf diese Weise gelingt es dem Adler, dass er sein Gefieder fit macht für die kommenden Flüge des Tages. Es wird wasserundurchlässig. Nur wenn der Adler sich jeden Tag die Zeit nimmt, um sich auf diese Weise auf den Tag vorzubereiten, nur dann kann er überleben und nur dann bleibt er voll einsatzfähig.

Für mich ein großartiges Vorbild für mein christliches Leben. Der Adler hilft mir zu erkennen, welch wertvoller Schatz in mir ruht. Ich spüre wie wichtig es ist, mir auch regelmäßig Zeit für mich selbst zu nehmen, um in meinem hektischen Alltag zu überleben. Die Botschaft des Adlers lautet für mich: Ruhe dich regelmäßig aus. Nimm dir Zeit für dich selbst. Lerne, dich selbst zu lieben. Nimm dir Zeit, den Tag zu genießen, zu feiern, fröhlich zu sein. Horche regelmäßig in dich hinein. Übergehe deine Bedürfnisse nicht. Und: So wie der Adler sich am Morgen für den Tag vorbereitet, so schaffe dir auch eine Zeit, um dich mit Gott zusammen auf die Aufgaben des Tages vorzubereiten.

Aus gutem Grund vergleicht die Bibel den Gläubigen an verschiedenen Stellen mit einem Adler. So schreibt z.B. der Prophet Jesaja im Alten Testament: „Die aber auf den Herrn hoffen, empfangen neue Kraft, wie Adlern wachsen ihnen Flügel. Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt.“ (Jes 40,31). Hier wird deutlich: Adler sind unermüdlich im Fliegen. Wenn sie ihre Flügel blockieren, können sie so stundenlang schweben, ohne zu ermüden. Adler nutzen die Thermik, um sich zu erholen und ihre Kraft zu erneuern. Ein schönes Bild für meinen Alltag, vor allem dann, wenn es mal wirklich schwer wird. Ich darf mich als gläubiger Mensch von Gott getragen wissen. Das Gebet verstehe ich als eine Einladung, mich immer wieder zu Gott empor zu erheben. Der Adler ist manchmal sogar eine Annäherung an ein Bild über Gott selbst. So hatten die Menschen in der Bibel das feste Vertrauen, dass Gott über ihrem Volk war, wie ein Adler, der über seine Jungen schwebt und seine Fittiche über sie ausbreitet (vgl. Dtn 32,11). Wenn die Jungen fliegen lernen sollen, werden sie einfach aus dem Nest geworfen. Der Adler fängt sie auf, falls die Jungen in Schwierigkeiten geraten. Für mich ist das eine mutmachende Glaubensaussage: Gott trägt mich, er hält mich aber nicht zu fest, sondern schenkt mir auch Freiheit: Die Freiheit, mich auszuprobieren, zu lernen und flügge zu werden. Manchmal hilft es mir „von oben“, d.h. mit ein wenig Abstand auf mein Leben und meine Probleme zu schauen. Dadurch bekomme ich oft eine andere Sicht und kann dann vieles in einem anderen Licht erkennen. Deshalb wünsche ich Ihnen heute die Ruhe und die Gelassenheit eines Adlers.

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