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Digitales Warten
Bildquelle: rawpixel/Pixabay

Digitales Warten

Karl Waldeck
Ein Beitrag von Karl Waldeck, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Heute ist der Dienstag zwischen dem 2. und dem 3. Advent. In vierzehn Tagen ist Heilig Abend, Weihnachten. Advent heißt übersetzt – Ankunft. Zur Ankunft gehört – oft zumindest – Warten.
Über das Warten sind in jüngster Zeit zwei Bücher geschrieben worden. Glaubt man ihnen, so steht es um das Warten nicht gut. „Warten – Erkundungen eines ungeliebten Zustands“ heißt das eine, das andere, jüngst erschienen, „Warten – eine verlernte Kunst“. Ungeliebt und verlernt − so das Fazit beider Bücher.

Auf viele Dingen muss man heute ja nicht einfach warten: Das liegt an der Digitalisierung des Alltags. Ich muss – auch am Sonntag − nicht mehr warten, bis die Geschäfte am Montag öffnen, um mir von zu Hause oder unterwegs ein paar Schuhe oder ein Buch zu kaufen – Onlineshops machen es möglich. Produktion, Handel und Konsum sind inzwischen zeitlich so getaktet, dass das Warten weitestgehend vermieden werden kann.

Der Wunsch, das Warten im digitalen Zeitalter verschwinden zu lassen, folgt dem alten Gedanken: „Zeit ist Geld“. Dieses Motto aus analogen Zeiten gilt auch heute. Doch ist der Verzicht aufs Warten eindeutig ein Gewinn? Mich stimmt nachdenklich, dass – subjektiv empfunden – die Zeit immer noch ein knappes Gut ist, ja dass sie womöglich immer knapper zu werden scheint. Die Beschleunigung aller Lebensverhältnisse hat die Zeit nicht vermehrt. Zudem muss auch in digitalen Zeiten weiter gewartet werden: im Stau, auf Ämtern, in Praxen, im Restaurant, bei vielen Dingen, wo wir auf ein reales Gegenüber angewiesen sind. 

Das Warten lässt sich in digitalen Zeiten nicht ganz abstreifen, doch unsere Kommunikation und die Erwartungskultur haben sich verändert: Das Briefeschreiben ist aus der Mode gekommen. Es dauert zu lang − und dann noch auf Antwort zu warten, scheint unzumutbar. Wieso Warten − und über den Urlaub erst nach der Rückkehr in Ruhe berichten, wo ich doch per Klick Urlaubsort, Wetter, Strandleben im Sekundentakt teilen kann? Prompte Reaktion gilt dabei als Selbstverständlichkeit. Ich ertappe mich bei dem Gedanken: Wenn ein Referent, den ich per E-Mail zu einer Tagung eingeladen habe, nicht innerhalb von 10 Tagen geantwortet hat, dann wird er wohl nicht kommen, denke ich und wundere mich, wenn es dann doch anders kommt. Geduld, ein langer Atem, eine Kunst des Wartens sehen anders aus.

Die Adventszeit kann das Warten nahebringen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in den Wochen bis Weihnachten mit Gelassenheit die Kunst des Wartens erlernen und pflegen können − ein wenig zumindest.

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