Die andere Wange hinhalten…
Vor kurzem fiel mir wieder eine alte chinesische Ballade in die Hand, die mich in ihrer Einfachheit und mit ihrer dennoch tiefsinnigen Aussage schon früher beschäftigt hatte. „Ein alter chinesischer Kaiser hatte vor, das Land seiner Feinde zu erobern und sie alle zu vernichten. Später sah man ihn mit seinen Feinden speisen und scherzen. `Wolltest Du nicht Deine Feinde vernichten?´ fragte man ihn verwundert. Der Kaiser antwortete: `Ich habe sie vernichtet. Ich machte sie zu meinen Freunden.´ Eine verblüffende Antwort, wie ich finde. Passt sie doch so gar nicht in das allgemein verbreitete Denken vom Umgang mit Feinden. Ich meine nicht nur die großen Konflikte in der Welt, wo uns dies tagtäglich mit kaum zu übertreffender Grausamkeit vor Augen geführt wird. Ich meine auch die vielen alltäglichen Kriege, die Menschen untereinander führen: am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Familie. Wenn mir einer dumm kommt, wenn mir seine Art nicht passt, dann muss ich mich durchsetzen, muss ich den anderen kleinkriegen. Und da gibt es viele Mittel und Wege, die langsam aber sicher zum Erfolg führen. Mobbing nennt man das in der Arbeitswelt. Und diese Kriege machen allen das Leben schwer, denen, die sie führen, und erst recht denen, gegen die sie gerichtet sind. Wie wäre es denn, wenn man einmal dem Beispiel des Kaisers zu folgen versuchte? Den anderen nicht vernichten, sondern sich ihm zuwenden, ihn sich zum Freund machen. Eigentlich zutiefst christlich. „Ihr habt gehört“, sagt Jesus in der Bergpredigt, „dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen,...“. (Mt 5, 43 f.) Geht doch gar nicht, höre ich sagen, das ist doch weltfremd! Doch: Die Erzählung vom chinesischen Kaiser zeigt, dass eine solche Haltung nicht weltfremd ist. Sie ist solgar sehr klug! Einen Versuch wäre es wert!
